Hohe Häuser und bunte Kleidung stechen mir in die Augen. Alles ist sauber und wunderschön. Ganz anders als in Gebiet 8.
Die Menschen sehen gepflegt aus und tragen die schrillsten Klamotten. Viele tragen Make-up um noch schöner auszusehen, als sie es ohnehin schon tun. Niemand hier hat auch nur den kleinsten Makel.
Als ich die Rampe des Flugschiffes hinuntersteige, natürlich flankiert von den beiden Kontrolleuren, spüre ich unzählige Blicke auf mir. Verächtlich betrachten mich die Einwohner der Gemeinschaft.
Einer ruft sogar: "Was will die hässliche Schrulle denn hier?!"
Überall in der Menge wird gemurmelt und getuschelt.
Ich senke den Kopf. Also hatte ich Recht. Ich bin nicht hübsch.
Die Kontrolleure ignorieren die schaulustige Menge geflissentlich und bugsieren mich durch die Menschen hin zu einer hohen Mauer. Auf den ersten Blick sieht sie genauso aus wie die, die die Gebiete von der Gemeinschaft trennt. Aber eine Sache ist anders. Diese hier besteht nicht aus Beton sondern aus Marmor. Ein goldenes Tor ist darin eingelassen, welches von weiteren Kontrolleuren in roten Anzügen bewacht wird.
Meine beiden Kontrolleure schleifen mich weiter. Ein paar Mal stolpere ich fast, weil sie so schnell gehen.
Als wir ankommen, öffnen die Wachen das Tor.
Einfach so. Sie verlangen nicht mal ein Passwort. Aber gleich darauf, weiß ich wieso nicht. Sie brauchen keins.
Als ich durch das Tor hindurchtrete, spüre ich, wie es in meinem Nacken vibriert.
Sie nutzen den eingesetzte Chip, den jeder von uns hat, um genau zu überwachen, wer hier ein und ausgeht.
"Willkommen im Zentrum, Alyson Maryland.", ertönt eine weibliche Stimme.
Ich sehe mich verwirrt um, kann aber niemanden entdecken.
Die Kontrolleure führen mich weiter auf ein großes, imposantes Gebäude zu. Es ist größer als alles was ich bisher gesehen habe. Größer als alle Häuser unserer Siedlung in 8 zusammen.
Das muss das Regierungsgebäude sein, schießt es mir durch den Kopf.
Hier sitzen all die Zentrumskontrolleure und überwachen über den Chip jeden einzelnen unserer Schritte, unsere Vitalwerte und wer weiß, was noch.
Das Gebäude besitzt eine gläserne Kuppel auf dem Dach und ist, genau wie die Mauer, die es umgibt komplett aus weißem Marmor erbaut. Die Treppe, die zur Eingangstür führt, wird von zwei Säulen flankiert.
Und es gibt keine Fenster. Niemand soll sehen, was dort drinnen geschieht.
Warum bringen sie mich hierher?
Als wir die Treppe erreichen, drehe ich mich kurz um.
Doch anders als ich erwartet hatte, befindet sich Michael nicht hinter uns.
"Wo ist Michael?!", frage ich meine beiden Kontrolleure. Doch die beachten mich nicht, sondern sehen einfach weiter geradeaus.
"Warum bringt ihr mich hierher?"
Keine Reaktion.
Ich gebe es auf Fragen zu stellen. Ich werde sowieso keine Antwort darauf bekommen. Nicht von den beiden.
Das weiße Eingangsportal schwingt auf, noch bevor wir es erreichen.
Ein Gang, der so lang ist, dass ich sein Ende nicht erkennen kann mit so vielen Türen, dass ich sie nicht zählen kann umd, die genau gleich aussehen, kommt zum Vorschein.
Die Kontrolleure schieben mich hinein und ehe ich es mir versehe schlägt die Marmortür hinter uns zu. Ich bin gefangen. Gefangen mit tausenden, vielleicht sogar millionen von Kontrolleuren, die wer weiß was mit mir anstellen könnten.
Angst macht sich in mir breit.
Unsere Schuhe klackern auf dem Marmorboden, als wir den Gang entlang schreiten. Das ist das einzige Geräusch auf dem langen Flur. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir endlich am Ende des Ganges angekommen sind und die Kontrolleure eine Tür aufstoßen.
Sie bugsieren mich in den Raum dahinter hinein und ich traue meinen Augen kaum. Vor mir steht die Frau von der Bühne. Aber diesmal ist sie kein Hologramm. Sie ist echt.
Ich bleibe stocksteif stehen.
Jetzt, wo sie direkt vor mir steht und mich mit ihren wunderschönen Augen mustert und mir ihre schneeweiße Uniform auffällt, erinnere ich mich an etwas, was mir meine Großmutter früher einmal über die Kontrolleure des Zentrums erzählt hat.'Hüte dich vor ihnen', hat sie gesagt.
'Sie können dich manipulieren. Sie können deinen Chip manipulieren und seltsame Dinge mit dir anstellen.'Meine Grandma hat mir früher viele Geschichten erzählt, aber ich erinnere mich nur an die wenigsten.
Auch an diese Warnung konnte ich mich bis vor kurzem nicht erinnern. Warum, weiß ich nicht. Sie ist mir beim Anblick der Frau einfach durchs Gehirn geschossen wie ein Deja-vu und sie ist ziemlich merkwürdig.
Was meint sie mit 'seltsamem Dingen'?
Und was machen sie mit meinem Chip?
Ich kann mich noch daran erinnern, dass Grandmas Stimme sehr ernst geklungen hat und sie mich mit ihren alten, wissenden Augen eindringlich angesehen hat, so als wolle sie, dass ich dies auf keinen Fall vergesse. Und doch hatte ich es bis gerade eben getan..."Hallo, Alyson. Willkommen in der Gemeinschaft.", begrüßt mich die Frau mit ihrer nervigen Stimme und befördert mich damit wieder zurück in die Gegenwart.
Ich sehe sie nur stumm an. Ich weiß weder, was ich sagen, noch was ich tun soll.
Also bleibe ich still.
Vielleicht hat Grandma Recht gehabt.
Vielleicht sollte ich mich vor ihnen in Acht nehmen.
Die Frau mustert mich eindringlich, so als ob sie direkt in mich hineinsehen könnte. Als ob sie meine Gedanken lesen könnte.
Vielleicht kann sie das auch... , meldet sich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf zu Wort.
Das macht die Situation noch gruseliger, als sie ohnehin schon ist.
Als mir die Frau direkt in die Augen blickt, läuft mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinab.
Am liebsten würde ich einfach abhauen, aber die beiden Kontrolleure, die mich her gebracht haben, stehen immer noch dicht neben mir und ich weiß, dass sie das unter keinen Umständen zulassen würden.Weil die Frau nicht aufhört mich mich ihren Blicken zu durchbohren, und weil sie nicht weiterspricht, beschließe ich, die Frage zu stellen, die mir schon die ganze Zeit im Kopf herumspukt, seit ich dieses Gebäude betreten habe.
"Was haben sie mit mir vor?"
Der Mund der Frau verzieht sich zu einem Lächeln. Es ist kein nettes Lächeln.Sie dreht sich um und sagt: "Folge mir."
Ich habe kein gutes Gefühl.
Als ich mich nicht vom Fleck bewege, ergreifen die beiden Kontrolleure mich wieder an den Armen und führen mich weiter.
Die Frau geht auf eine eine weitere Tür zu, die mir bisher gar nicht aufgefallen ist.
Sie ist dick und besteht vollkommen aus Stahl, was nicht besonders dazu beiträgt, das ich mich besser fühle.
Die Frau muss ihre ganze Kraft aufwenden, um die Tür zu öffnen. Quietschend gleitet sie auf.
Dahinter kommt ein kleines Zimmer zum vorschein. Die Wände bestehen aus kahlem Beton und er wird nur von einer einzigen, großen Neonleuchte erhellt. Es gibt keine Fenster.
In der Mitte des Raumes steht eine ungepolsterte Liege.
Um sie herum befinden sich unzählige, seltsame, elektronische Gerätschaften mit Schläuchen durch die bunte Flüssigkeiten laufen und mit vielen verschiedenen Knöpfen in allen Formen und Farben. Die Geräte piepen und blinken.
Die Frau Tritt zur Seite und weist mit ihrer Hand auf die Liege.
Natürlich bewege ich mich keinen Zentimeter.
Also greifen mich die Kontrolleure kurzerhand an Armen und Beinen, heben mich hoch als wöge ich nichts. Ich stoße einen hihen Schrei aus, strampele und versuche mich zu befreien, jedoch ohne Erfolg. Sie legen mich auf die Liege und schnallen mich mit breiten Gurten an Armen und Beinen fest, sodass ich mich kein bisschen mehr bewegen kann.
Die Frau nickt ihnen zum Dank zu und gibt ihnen dann ein Zeichen, dass sie den Raum verlassen sollen.
Die Tür schlägt mit einem lauten Knall zu und ich bin mit der Frau allein.
Das mulmige Gefühl in meinem Magen wir noch stärker, fast unerträglich.
Jetzt zieht sie sich einen Mundschutz und Gummihandschuhde an.Erneut blitzt in meinem Gedächtnis eine Erinnerung an eine Geschichte meiner Grosmutter auf. Und wieder konnte ich mich bis in diesem Moment nicht daran erinnern.
Einmal hat sie mir erzählt, dass es früher Leute gegeben hat, die anderen Menschen geholfen haben, wenn sie krank waren. Ärzte hat sie sie genannt. In unserer Zeit, wenn niemand mehr ernsthaft krank wird brauchen wir solche Menschen nicht mehr.
Es gibt nur die Medici, die einem helfen, wenn man verletzt ist, zum Beispiel nach einem Unfall.
Genauso, wie meine Grandma diese Ärzte beschrieben hat, sieht die Frau jetzt aus.Sie klebt mir ein paar Elektronen an den Kopf und vor allem in den Nacken, direkt auf die Stelle, wo sich mein Chip befindet.
Die Plättchen fühlen sich eiskalt auf meiner Haut an.
"Was soll das?!", bringe ich entrüstet hervor, "Was machen sie mit mir?!"Die Frau ignoriert mich und macht mit ihrer Arbeit weiter. Sie nimmt etwas in die Hand, was ich noch nie zuvor gesehen habe.
Es besitzt vorne eine spitze Metallnadel und durch die Plastikhülle schimmert eine bläulich, fluoreszierende Flüssigkeit.
"Was...?", setzte ich an, doch noch bevor ich den Satz zu Ende führen kann, spüre ich, wie sich die Nadel in meine Halsschlagader gräbt und die Flüssigkeit durch Druck in meine Blutbahnen befördert wird.
Meine Augen weiten sich und meine Glieder beginnen unkontrolliert zu zucken. Stärker und immer stärker. Ein brennender Schmerz macht sich in meinem Körper breit, als die Flüssigkeit durch meine Adern strömt.
Ich beginne zu schreien. Aus voller Kehle.
Doch urplötzlich erschlafft mein Körper und mein Sichtfeld färbt sich in der selben Farbe, wie die Flüssigkeit.
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Oblivion [PAUSIERT]
Fiksi IlmiahSie haben mir alles genommen. Meine Heimat. Meine Familie. Meine Freunde. Meine Erinnerungen. Sie haben mich zu der Gemacht, die ich für sie sein sollte.