'Wieso?', fragten sich alle.
Wieso konnte Jasmin ihre Narben nicht mehr verstecken?
Wieso hinterließ Jonah nur sieben Worte?
Wieso fanden Amelias Freunde Nachrichten vor ihren Haustüren?
Wieso tauchten in Skyes Umgebung Poesiebruchstücke auf?
Wieso bekam May eine Panikattacke?
Wieso verschwanden Aidans Koffer?Niemand von ihnen gab auf. Sie alle hatten keine Kraft mehr in sich, um zu kämpfen. Sie verloren nicht. Sie brauchten Veränderung.
Jasmin war ausgelaugt. Ihr Lächeln, ihre Intensität, lösten sich langsam auf. Sie verschwamm immer mehr. Außer dem einzigen, was nicht verschwinden konnte. Ihre Narben.
An Armen und Beinen und ihren zu deutlich sichtbaren Rippen. Ihre Haut, von der man fürchtete, dass sie bei der nächsten Bewegung reißen würde.
An diesem Tag beschloss sie, kurze, enge Kleidung zu tragen. Sie hatte es leid, das zu verstecken, wofür sie so hart gekämpft hatte. Sie war bereit für die Blicke. Jasmin lächelte wieder. Und dann zerbrach sie.
Jonah wollte ein Zeichen setzen. Wenn schon ein Abgang, dann mit Stil und Aufmerksamkeit. Wir unterhielten uns einmal darüber, wie egoistisch Selbstmord sei. Heute denke ich oft an dieses Gespräch zurück. Dass er mir nichts versprach. Ich ahnte es schon damals, aber ich konnte nichts tun. Es stellte sich heraus, dass Jonah der egoistischste Mensch der Welt war.
Jonah erhängte sich an einem Montagmorgen. Genau, wie er es damals mit einem großen Wenn angekündigt hatte, fand man in dem Brief die alles entscheidenden Buchstaben. Das Wort Vater sprang förmlich heraus. Ich weigerte mich, Schuldgefühle zu haben. Da war einfach nur Vermissen, Trauer und Wut. Und so viel Schmerz.
Amelia wählte einen unauffälligeren Weg. Sie schrieb Briefe. Ich habe heute noch ihre Nachricht vor Augen. Sie lächelte in die Kamera. Endlich, las ich. Sie verlor innerhalb weniger Tage, vielleicht sogar Stunden, all die Freunde, die sie jemals berührt hatte. Aber es war schön.
Amelia liebte ihre Familie über alles. Aber an jenem Tag verabschiedete sie sich von ihnen. Mit dem Versprechen, jedes zweite Wochenende zu Besuch zu kommen. Sie zog schließlich nach London. Mit mir. Und den anderen Menschen, die sie so sehr liebte.
Skye war das oberflächliche Leben leid. Sie entschied sich gegen eine direkte Konfrontation mit ihren vermeintlichen Freunden und lebte still und heimlich ihre Leidenschaft. Wo früher noch irgendwelche Telefonnummern mit Beleidigungen und abstoßenden Zeichnungen prangten, standen nun kleine Texte. Fragen. Und ein paar kleine Sterne.
Skye wollte etwas ändern, aber nicht an sich, sondern an der Welt. Ihr pechschwarzer Edding begleitete sie ab diesem Zeitpunkt ständig. In der Schule, am Bahnhof, im Park. Sie setzte stumme Zeichen und hoffte, dass sie erkannt wurden. Und die Sterne. Für den Himmel und die unendliche Weite. Und für Skye.
Mays Veränderung erzwang ihr Körper. Nach acht schlaflosen Stunden schickte er ihr nichts als Angst und Schmerzen. Der Druck von allen Seiten. Ihr Weinen wurde verzweifelter. Sie hatte es versucht, aber sie schaffte es nicht allein. An jenem Tag rief sie mich an und sagte mir, dass es nicht länger so weitergehen könne.
Am nächsten Tag ging sie in Therapie. Am übernächsten zu einer Beratungsstelle. Sie bekam eine Diagnose und lernte, loszulassen. Zumindest ein wenig.
Und dann war da noch Aidan. Er ging einfach durch die Tür, kein großer Abschied, ganz nach seiner Art. Ich weiß nicht, wo er im Moment ist. Das sagt er mir nicht. Nur, dass es ihm gutgeht. Ab und zu schickt er mir eines seiner Werke. Irgendwie hat er sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut.
Und er hat eine Freundin gefunden. Ich weiß nichts über sie. Aber so wie ich Aidan kenne, ist sie ebenfalls eine Galaxie.
Ich vermisse sie. Die, die gegangen sind und die, die nicht aufhören konnten, sich selbst zu zerstören. Wie gerne würde ich die Scherben wieder zusammensetzen. Aber manche Splitter sind nicht dazu bestimmt.
Ich vermisse Jasmins Lächeln.
Ich vermisse Jonahs Angeberei.
Ich vermisse mit Amelia ihre Familie.
Ich vermisse Skyes Offenheit.
Ich vermisse Mays Unbeschwertheit.
Ich vermisse Aidans Umarmungen.Aber am meisten vermisse ich das, was hätte sein können. Manche Geschichten haben kein Happy End, so sehr sie es auch verdienen. So wie Jonah und Jasmin. Andere nehmen es mit einem dankbaren Lächeln entgegen. Und dann gibt es noch die, die sich ihre Zukunft selbst malen. Wie Amelia. Wie Skye. Wie May. Wie Aidan.
Und mich.
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Runaways
Tiểu Thuyết Chung✓Ihr Leben war perfekt. Und dann wieder nicht. Bis zu jenem Tag. [18/01/17 - 02/02/17] Cover von der wundervollen @dqrkblue