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Chloé wurde durch das regelmäßige Klopfen des Regens geweckt, der laut gegen das dünne Fenster prasselte. Als sie plötzlich bemerkte, wo sie sich befand, stieß sie einen erstickten Schrei aus. Sie hielt sich augenblicklich die Hand vor den Mund, um ihren Bettnachbarn nicht zu wecken, der sich allerdings schon unruhig bewegte. Schnell suchte sie ihre Klamotten zusammen, zum Glück trug sie noch ihre komplette Unterwäsche, und versuchte so schnell wie möglich aus Nicks Zimmer zu verschwinden.
Erleichtert atmete sie aus, als sie vor der Tür stand. Es war vielleicht gerade mal 8 Uhr, wenn nicht sogar früher, denn es schien noch zappenduster draußen zu sein. Schnell hastete sie nach ganz oben in ihr beschauliches Reich. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie hatte sich gestern nicht mal mehr bei ihrer Mutter gemeldet, wie sie versprochen hatte. Sie hatte sowieso schon ein ziemlich schlechtes Gewissen, dass sie sich gestern an ihrem ersten Tag besoffen hatte, aber dass sie jetzt mit einem ihrer Mitbewohner womöglich geschlafen hatte, zerstörte ihr ganzes Selbstbild.
Um sich zu beruhigen, nahm sie drei tiefe Atemzüge und sprach zu sich selbst, dass das gestern nur ein Ausrutscher gewesen war und dass sie sich jetzt einfach auf das Studium konzentrierte.

Als sie wieder aus dem Bad kam und vollkommen in Gedanken versunken die knarzende Treppe nach oben stieg, stieß so plötzlich mit jemanden zusammen, wodurch sie fast hinfiel und gleichzeitig versuchte sie ihr Handtuch krampfhaft festzuhalten. "Guten Morgen", grunzte eine verschlafene Stimme. Es war Haiden. "Morgen", sagte sie peinlich bestürzt und rappelte sich so schnell wie möglich auf, um im ihren Zimmer zu verschwinden.
Konnte der Morgen eigentlich noch schlimmer werden?
Dann klingelte ihr Handy. Nur wo? Was, wenn es ihre Mutter war? Sie musste es definitiv finden, bevor es aufhörte zu klingeln, ansonsten würde sie sich wieder unnötige Sorgen machen. Sie durchsuchte sämtliche Taschen und verwüstet gefühlt das ganze Zimmer, obwohl sie noch nicht einmal eingezogen war. Da, endlich. Was machte es bloß unter dem Kopfkissen?
Kurz bevor die Mailbox ertönte, nahm sie ab. "Hallo?", rief sie außer Atem.
"Chloé, ich bin's!" "Hi, Mum. Bevor du mir einen Vortrag hältst, es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr gemeldet hatte. Ich war noch mit meinen Mitbewohner...innen essen und dann wurde es doch relativ spät und ich wollte dich nicht stören. Ich hoffe, du bist nicht sauer."
"Ach, Schatz. Ist schon in Ordnung. Ich hoffe einfach nur, dass es dir gut geht? Aber wenn jetzt die Uni anfängt, geht so etwas in Zukunft nicht mehr verstanden? Ich will nicht, dass du am Wochenende auf irgendwelchen Parties mit betrunkenen Männern abgibst. Das ist nicht dein Niveau. Und am besten, du lernst morgen schon ein paar aus deinen Vorlesungen kennen wegen den Lerngruppen. Ansonsten sind die besten sofort weg."
"Ja, Mama, du hast ja recht. Ich muss jetzt noch meine restlichen Sachen auspacken, sonst werde ich bis morgen nicht fertig." "Gut. Ich bin immer erreichbar, falls du dich einsam fühlen solltest. Aber du bist ja jetzt schon ein großes Mädchen. Küsschen!" Damit hing sie den Telefonhörer auf und Chloé war froh, dass das Gespräch endlich vorbei war. Ihre Mutter war schon immer viel zu fürsorglich. Sogar so sehr, dass sie teilweise außerordentlich genervt war, was sie vor ihrer Mutter natürlich auf gar keinen Fall zeigen konnte.
Schließlich bemerkte sie, dass sie immer noch in dem Handtuch gewickelt herum stand. Aus ihrem Koffer suchte sie irgendetwas halbwegs gemütliches heraus; sie würde ja das Haus heute sowieso nicht mehr verlassen.
Einige Kisten mit ihren persönlichen Sachen hatte sie bereits vorgeschickt, aber sie wusste trotzdem nicht, ob sie sich hier überhaupt irgendwann wohlfühlen werde, auch wenn das Zimmer recht nett eingerichtet war.
Der hellgraue Holzboden passte perfekt zu den weißen Möbeln und Wänden. Durch das Fenster drang ungehindert das warme Sonnenlicht, dass das gesamte Zimmer in ein gelb-orange tauchte. Unter dem Fenster befand sich ein schmales Doppelbett, das nur aus einem Bettkasten und einer daraufgelegten Matratze bestand. "Man könnte es schön mit Kissen und einer Tagesdecke dekorieren", überlegte sie sich. Dann fing sie an, ihre ersten Kisten zu öffnen und mit dem Auspacken zu beginnen; es würde ein langer Tag werden.
Es begann bereits zu dämmern, als sie immer noch damit beschäftigt war, ihre Sachen zu verstauen, neu zu ordnen und zu dekorieren. Bei dem Eifer, den sie an den Tag legte, kreisten ihre Gedanken plötzlich um den Zusammenstoß mit dem attraktiven Fremden, der sich als ihr Retter herausstellte. Immer wieder sah sie seine grünen, durchdringenden Augen vor sich, die sich beim Lächeln zu Halbmonden formten. Sie erinnerte sich, wie er seine Stirn runzelte, während er sie musterte, wobei sie komplett erschaudert war. Plötzlich klopfte es an der Tür.
Zögerlich rief sie: "J-ja? Was gibt's?" "Ich bin's, Nick." Sofort fing ihr Herz an schneller zu schlagen. "Kann ich kurz rein kommen?" Chloé stimmte zu und die alte Holztür öffnete sich knarzend. Er lief durch das Zimmert, bis er plötzlich ganz nah vor ihr stand.
"Hey.", sagte er schließlich, wobei er ihr einen Strähne aus dem Gesicht strich. "Hi", erwiderte sie und schaute betreten nach unten. "Ich wollte mit dir über gestern Abend reden." Dabei schnellte ihr Kopf sofort nach oben und riss die Augen weit auf. "Naja, ich weiß, dass ich gestern Abend auf keinen Fall bereue.. aber ich habe erst seit neuestem eine Beziehung. Und es ist was Ernstes."
Oh, verstehe. "Wir haben aber nicht... oder?" "Nein, haben wir nicht, soweit ich mich noch erinnern kann. Du bist sofort weggedöst." Oh Gott, wie peinlich! "Zum Glück, ich hoffe, ich habe dich nicht belästigt." "Nein, das auf keinen Fall. Ich wäre dir trotzdem sehr dankbar, wenn das unter uns bleiben könnte. Ich will das mit ihr nicht versauen, verstehst du?" Oh, ja.
"Natürlich. Bei mir ist alles sicher!" "Danke!" Er umarmte sie plötzlich und sprang förmlich aus der Tür.
Jetzt war sie ernsthaft verwirrt. Erst kreisen ihre Gedanken um die seltsame Begegnung am Flughafen und jetzt das! Hoffentlich würde morgen, ihr erster Tag, besser verlaufen

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