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Sie hasste Wecker. Sie waren hinterlistig, gemein und vollkommen ungnädig! Und jeden Morgen auf's Neue einfach nur lästig. Wer hatte das überhaupt erfunden?
Das unerträgliche Piepen ihres Weckers riss sie aus dem Schlaf und im ersten Moment wusste sie gar nicht, wo sie sich befand. Sie ging die Ereignisse der letzten paar Tage durch und plötzlich dämmerte es ihr: Heute war ihr erster Tag als Studentin! Mit plötzlichem Elan schwang sie ihre Beine über die Bettkante und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Draußen kündigte sich bereits der Morgen mit lautem Vogelgezwitscher und einem orange-roten Himmel an. Es schien ein schöner und sonniger Tag mit angenehmen Temperaturen zu werden, weshalb sie sich für einen schwarzen Maxirock mit einem rosanen Strickpulli entschied. Sie huschte schnell in ihrem alten und viel zu kurzen (man konnte mittlerweile fast ihren Po sehen) Morgenmantel, den sie noch aus ihrer frühen Kindheit besaß. Aber sie war so in das immer noch weiche Frottee verliebt, dass sie ihn, trotz der Proteste ihrer Mutter, nicht hergeben wollte oder konnte.
Das Bad der WG war erstaunlicher Weise ordentlicher, als sie gedacht hatte. Es war wohl vor kurzem erst renoviert worden, denn die Ausstattung schien ziemlich neu und modern zu sein.
Chloé streifte ihren Mantel ab und tapste in die Dusche. Das warme Wasser, das in sanften Strahlen auf ihre blasse Haut prasselte, erfüllte sie mit Zufriedenheit und positiver Zuversicht. Es wusch die Erinnerungen der letzten Tage komplett weg und sie hatte das Gefühl endlich wieder atmen zu können. Die Distanz zu ihrer Mutter belastete sie zwar sehr, aber dennoch war sie froh, dass sie sich abnabeln und aus ihren Fängen lösen konnte. Sie wollte Chloé stets behüten und traute ihr keine Selbstständigkeit und Verantwortung zu. Dennoch fühlte sich heute alles so federleicht an, sodass sie sämtliche Sorgen einfach vergaß.
Die Jungs schliefen noch längst, als sich Chloé ihr Frühstück zubereitete. Sie beeilte sich zunehmend, um auf keinen Fall zu spät zu kommen. Denn bei dem verwirrenden Plan der Vorlesungssäle brauchte sie bestimmt erstmal einige Zeit, um sich zurecht zu finden.

Schließlich erreichte sie das Uni-Gebäude auf dem Campus und war heilfroh, dass sie es bis hierhin geschafft hatte. Ihr Orientierungssinn entpuppte sich jedes Mal als tückisch. Beim Betreten des Backsteingebäudes konnte sie vor Staunen kaum noch gerade laufen. Der Eingangsbereich war mit viel zu vielen Studenten gefüllt und alle wollten sich über Organisationen und Vereine informieren. Das hatte sie schon alles hinter sich gebracht. Allerdings war bis auf die Campuszeitung kaum etwas Interessantes dabei gewesen. "Hey, pass doch auf!!", rief ihr plötzlich eine typisch Mädchengruppe mit Cheerleaderkostümen entgegen, während sie planlos durch die Halle lief, der Plan vor ihrer Nase klebend. Sie stieg die Treppen hoch in den ersten Stock, wie es auf der Beschreibung stand, und ging nach rechts wie ebenfalls beschrieben. Doch dann stand sie plötzlich in einem komplett dunklen Gang und die Angst, dass sie sich verlaufen hatte, beschlich sie enorm. Schnell drehte sie sich zur Seite um, aus der sie gekommen war, aber der Gang schien endlos zu sein. Plötzlich hörte sie seltsame Geräusche aus einer nahegelegenen Tür. Sie bewegte sich intuitiv in die entgegengesetzte Richtung; und tatsächlich befand sie sich kurze Zeit später wieder im Treppenhaus.
"So, Chloé, jetzt schau' dir den Plan ganz genau an!" Sie versuchte die verschiedenen Symbole zu entziffern, doch umso mehr sie drüber nachdachte, desto mehr verwirrte sie sich selbst. Ohne Nachzudenken bewegten sich ihre Füße, während sie weiterhin den Plan studierte. Plötzlich wurde sie unerwartet von jemandem angerempelt, sodass sie stolperte und sich ihre ganzen Zettel auf dem Boden verteilten. "Kannst du nicht aufpassen?'" Die Stimme des Fremden kam ihr unheimlich bekannt vor. "Ich glaube, wir haben uns schon mal getroffen!", platzte sie unüberlegt heraus. Er musterte sie mit dem gleichen Blick, wie beim ersten Mal und wandte sich dann den Blättern zu. "Ich denke nicht.", erwiderte er grimmig. Chloé kniete sich neben den Mann und begann ihren Kram zusammen zu suchen.
"Danke!", sie lächelte. "Kein Problem. Schau nur das nächste Mal hin, wo du hinläufst." Und damit war er schon um die nächste Ecke gebogen und sie stand immer noch ratlos vor ihrem Plan. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie den Vorlesungsraum gefunden und war wie zu erwarten zu spät. Zwar waren es nur Einführungsvorträge, aber diese wollte sie ebenfalls auf keinen Fall verpassen. Sie schlich in den hinteren Teil des Saales, wo sie sich auf einem der unbequemen Klappstühle niederließ. Sie lauschte gespannt den Zweitsemestern, die einen Vortrag über den Ablauf von Prüfungen, etc., hielten. Währenddessen machte sie sich vorbildlich Notizen, so wie es ihr ihre Mutter geraten hatte. Ein Junge, beziehungsweise eher Mann, linste herüber und quiekte amüsiert auf. Sie starrte ihn böse an: "Gibt es ein Problem?" "Ich will ja nichts sagen, aber-", plötzlich stockte der Fremde. Er schaute hinter sie und verstummte augenblicklich.
Chloé drehte sich aus Neugier um, sodass sie dem Etwas, oder besser gesagt der Person, direkt in die Augen sah. Diese verengten sich beim Aufeinandertreffen. Sie schaute schnell wieder nach vorne und klappte ihren Notizblock zu, um keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihr Herz raste. Die besagte Person ließ sich neben ihr nieder und war so nah, dass sie sein Aftershave deutlich riechen konnte. Das kann doch kein Zufall sein, dachte sie und musste der Versuchung widerstehen, zu ihm zu schauen. Stattdessen richtete sie ihren Blick konzentriert nach vorne, aber sie spürte seinen Blick auf ihr. Genau so kritisch wie beim ersten Treffen beäugte er sie, sodass sie unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte.

Endlich gongte es zum Ende der Vorlesung und sie konnte der unangenehmen Situation entfliehen. Eine andere Studentin stand ratlos an der Tür und tippelte von dem einen Fuß auf den anderen.
"Ist alles in Ordnung?", fragt Chloé die Fremde freundlich. "Ja, ich suche nur jemanden...", das Mädchen reckte den Kopf, um über die Menschenmassen hinweg schauen zu können. "Also... wenn du noch nichts vor hast, und dein Date nicht mehr auftauchen sollte; hast du vielleicht Lust eine Kleinigkeit zu essen?"
Jetzt hatte Chloé ihre ganz Aufmerksamkeit. "Gerne!", antwortete sie strahlend. Gemeinsam gingen die Richtung Ausgang.
"Ich bin übrigens Hannah." "Chloé!" Sie lächelten sich gegenseitig an und man konnte spüren, dass es nicht nur bei diesem Mittagessen bleiben würde. Plötzlich klingelte ihr Handy. Schnell kramte sie in ihrer vollgestopften Tasche und nahm ab, als sie es endlich in den Händen hielt.
"Odair, hallo?" Nick meldete sich mit seinem Namen, aber sie wusste schon vorher, dass er es war. "Ich bin gerade auf der Suche nach einem Café... wo bist du denn? ... okay, wir kommen dahin. ... ja, ich denke, das finden wir. ...Bis gleich!"
Hannah schaute sie fragend an und wackelte auffällig mit ihren Augenbrauen. "Und?"
"Nichts und. Das ist nur einer aus meiner WG. Er hat gefragt, ob wir mit ihm was essen wollen. Er kennt sich hier schon ziemlich gut aus und meinte, er kenne eines der besten Restaurants hier am Campus. Ein Geheimtipp, versteht sich.."
"Dann los, würde ich sagen! Du weißt, wohin?"
"Ja, er hat es mir beschrieben."
Gemeinsam machten sich die zwei zum beschriebenen Ort. Kurze Zeit später sahen sie schon das große, blinkende Schild des Imbiss, das hoch in den Himmel ragte. Als sie um die nächste Ecke bogen, sahen sie auch schon Nick, der lässig an einer zerschrammten Laterne lehnte. Als sie näher kamen, blickte er auf und ein strahlendes Lächeln umspielte seine Lippen.
Chloé bemerkte, wie Hannah hörbar nach Luft schnappte und sich durch die Haare fuhr, um Ihre Haare aufzulockern. "Seh' ich gut aus?", flüsterte sie steif. Chloé nickte und gab ihr einen kleinen Stups, als sie immer langsamer würde. "Wieso hast du nicht gesagt, wie gut er aus-?"
"Hallo, ihr zwei!", begrüßte er sie und umarmte beide herzlich, aber kurz. Chloé konnte sein Parfum riechen und seufzte bei dem Geruch. Doch, er erinnerte sie plötzlich an etwas, beziehungsweise an jemanden. Sie konnte es jedoch nicht einordnen.
"Ihr werdet es lieben", versicherte er ihnen und ging voran. Er schien die Bedienung bereits zu kennen, da sie ihm nur zunickte und er sofort wusste wohin. Anscheinend kam er öfter hierher. Wie ein Gentleman half er beiden beim Jacke ausziehen und schob ihnen den Stuhl heran. Chloé bemerkte, wie er Hannahs Schulter kurz drückte, was ihr einen Stich versetzte.
Wie konnte er bloß erst etwas mit ihr anfangen und sich dann sofort an die nächste ran machen?

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