Ich sitze in der Küche und starre auf die Uhr. Man hört nichts, bis auf das Ticken des Sekundenzeigers.
Dreißig Sekunden noch.
Schon seit einer Viertelstunde zählt mein Kopf den Countdown, das entspricht bereits achthundertsiebzig Sekunden.
Man könnte meinen, ich sei alleine in der Dunkelheit, doch das bin ich nicht.Über mir, an der ausgeschalteten Leuchte hängen drei Fledermäuse.
Was sie wohl gerade reden?Noch zwanzig Sekunden.
Ich wurde in einer Mondnacht geboren,genau wie alle in meiner Familie.
Um vier Uhr und dreitausenddreihunderteinundfünfzig Sekunden.
Gleich ist es soweit.Noch zehn Sekunden.
Panisch möchte ich fliehen. Wegrennen vor dem, was da auf mich zukommt.Fünf Sekunden.
Ich sitze still auf meinem Platz.Vier.
Ich schließe die Augen.Drei.
Ich atme tief ein.Zwei.
Angstvoll stoße ich sie wieder aus.Eins.
Hektisch schnappe ich noch einmal nach Luft.Null.
Hallo, wo bleibt -
Es gibt keine Worte, die diesen Schmerz beschreiben können.
Alle Knochen scheinen aus den Gelenken zu springen, alle Sehnen scheinen zu zerreißen.
Meine Augen versagen.
Meine Ohren versagen.
Mein Körper versagt.
Ich spüre etwas an meinen Füßen.
Um mich herum höre ich Gekreische und Geflattere.
Unaufhörlich, in grausamst hohen Tönen.Achtzehn Jahre-
Ein Körper kracht gegen Meinen und ich kralle mich mit meinen Füßen fest, da ich sonst kopfüber hinabgestürzt wäre.
„Happy Birthday!", kreischt die zugehörige Stimme. Obwohl sie unzählige Oktaven höher ist, erkenne ich sie sofort: Meine große Schwester.
Blinzelnd öffne ich meine Augen.
Warum ist sie grün?Ich breite meinen linken Flügel aus.
Türkisblau.
Ich verstehe.
Das Türkis meiner Augen.
Mein Name.Ockergelb und Nachtschwarz - meine Eltern.
Als hätte ich nie etwas anderes gemacht, schwinge ich mich in die Luft und fliege einige kleine Runden über den Küchentisch.
Dann folge ich meinen Eltern und meiner Schwester hinaus aus dem Fenster in die mondlose Nacht.Zum ersten Mal seit Langem fühle ich mich mal wieder so richtig frei.
So ist es also, eine ausgewachsene Kambjari zu sein.
So fühlt es sich also an, zu fliegen;eine Fledermaus zu sein.
Auf den Straßen ist viel los, da ich im Stadtviertel „Nachtgrube" wohne, wie alle anderen nachtaktiven Kambjari.
Meine Familie lässt mich ziehen; ich kenne mich hier schließlich aus.
Außerdem haben sie mich in meinem ganzen bisherigen Leben wirklich gut auf meine Zukunft vorbereitet, die mit meinem heutigen achtzehnten Geburtstag einsetzt.Staunend betrachte ich die Häuser von oben; schwebe über die Dächer hinweg auf den Wald zu.
Von hier oben wirken die riesigen Eichen und Tannen lächerlich klein.
Von hier oben wirkt alles lächerlich klein.In der Ferne höre ich Wölfe den Mond anheulen, der gerade hinter den Wolken auftaucht und alles in ein geheimnisvolles silbernes Licht taucht.
Genau in diese Richtung wende ich mich und flattere Zielstrebig auf das Gejaule zu.
Neben einer Lichtung hänge ich mich in einen Baum und betrachte das geschäftige Treiben auf der freien Fläche.
Ein Wolfsrudel unter sich.Ich halte Ausschau nach Lilarot, meinem Freund.
Wo ist er denn?
Dort.
Dort ist er, hinter dem Haselnussstrauch.
Diese Farbe würde ich immer und überall erkennen.
Ich werfe mich in die Luft und bin mit einigen Flügelschlägen bei ihm.Auch er scheint zu wissen, wer diese kleine türkisblaue Fledermaus ist, die um seinen Kopf flattert.
Mir wird bewusst, wie viel Liebe in seinem Blick liegt.
Er liebt mich wirklich.
Ich liebe ihn.
Nur ihn.„Türkisblau!", jault er meinen Namen.
Alle erstarren in ihren Bewegungen und schauen ihn an, doch er wedelt mit dem Schwanz und die Wölfe wenden sich wieder ihrer Arbeit zu.
Auch ich will ihm etwas zurufen, doch er hört es nicht.
Natürlich.
Fledermäuse sprechen im Ultraschall.Enttäuscht flattere ich in der Luft herum und warte darauf, dass er etwas sagt.
Ein dunkelblauer Wolf tritt auf ihn zu, anscheinend sein bester Freund.
„Eine Fledermaus also.", spricht Dunkelblau belustigt „Hast du mir ja gar nicht erzählt."Es ist nicht normal, dass sich verschiedene Tierarten ineinander verlieben.
Lilarot hebt stolz seinen Kopf und blickt mich an: „Ja."
Er springt auf einen Stein und blickt über die Lichtung.
Schlagartig wird es still; das Rudel schaut zu ihm auf und er beginnt zu reden.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass er der Alpha ist.
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Nur, weil jemand anders aussieht oder anders spricht, ist sein Charakter nicht anders.
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Care - Kurzgeschichten & Mehr
ContoHier will ich so kleines Zeugs wie Kurzgeschichten und Gedichte hochladen. Nichts regelmäßiges also! Wenn ihr irgendwelche Ideen habt, was ich umsetzen sollte, könnt ihr mich gerne damit nerven, ich würde mich freuen!^^