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- zehn Jahre später

Übermüdet schreckte ich von meinem Schreibtisch auf und musterte für einen kurzen Moment meine Umgebung. Erst nach einem Augenblick verstand ich, wo ich mich gerade befand und vor allem, wie spät wir es im Moment hatten.

Neun Uhr morgens.

Fluchend sprang ich aus meinem Drehstuhl und hechtete die Treppe herunter. Wahrscheinlich war ich gestern Abend bei meinen Arbeiten, welche ich bearbeitet hatte, eingeschlafen. Ich war viel zu spät dran.

Unten in der Küche rannte ich direkt in Jimins Arme, der beinahe seine Kaffeetasse aus diesem Grund fallen gelassen hätte.
„Warum bist du noch hier? Müsstest du nicht schon längst auf der Arbeit sein?", fragte ich hektisch und wollte mich gerade an ihm vorbei zwängen, da hielt er mich an meinem Oberarm fest.
„An einem Sonntag?", amüsiert hob er eine Augenbraue und setzte mich an den Küchentisch. „Du hast gestern bis tief in die Nacht hineingearbeitet, kein Wunder, dass du mit der Zeit durcheinander kommst. Werde erst mal wach, ich mach dir einen Milchkaffee." Einige Sekunden herrschte Stille zwischen uns, nur das Rauschen der Kaffeemaschine war zu vernehmen. Die Stille war ungewöhnlich.
„Wo ist Minjae?", ich musterte Jimins Rücken und wartete auf eine Antwort.
„Jungkook hat ihn vor gut einer Stunde abgeholt. Minjae hat ihn schon seit Tagen zugenölt, dass er ihm unbedingt das Aufnahmestudio von Mi zeigen soll.", er lachte.
„Wenn er heute Abend nach Hause kommt und plötzlich ein Superstar werden will, dann weißt du, wer ihm diese Flausen in den Kopf gesetzt hat." Lächelnd stellte er mir die Kaffeetasse auf den Tisch und gab mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich mir gegenüber in den Stuhl fallen ließ. Ich seufzte, während ich das warme Gefäß umfasste.
„Diese Flausen hast du ihm schon lange in den Kopf gesetzt. Du darfst nicht vergessen, er ist dein Sohn."
Neckisch betrachtete ich Jimin.

Den Mann, der mir vor gut elf Jahren unsympathisch gewesen war.
Den Mann, in welchen ich mich verliebt hatte.
Den Mann, mit dem ich ein Kind großzog.

„Jetzt ist er wieder mein Sohn. Du weißt schon, dass du an der Produktion dieses Balgs mit beteiligt warst, richtig?", schief lächelnd sah er mich an, wie ich mich an meinem Milchkaffee verschluckte und versuchte, den Inhalt nicht wieder heraus zu prusten, da ich mich vor Lachen kaum halten konnte. „Aber wenn du mit ihm vor anderen prahlen kannst, dann ist es wieder dein Sohn. Enya, man kann sich nicht nur die Rosinen herauspicken." Ich grunzte leise, er wollte Krieg. Den konnte er meinetwegen haben. Aus Schutz stellte ich die Tasse ab und überschlug meine Beine.
„Wenn ich mir nur die Rosinen herauspicken würde, dann hätte ich doch nicht elf Jahre meines Lebens mit dir verbracht." Getroffen fasste er sich ans Herz und verzog gespielt seine Miene. Ich grinste siegessicher.
„Aua, der hat gesessen." Er griff nach meiner Hand, zog mich etwas über den Tisch zu sich heran, sodass wir nur einige Zentimeter voneinander entfernt waren. Wartend hob ich eine Augenbraue und versuchte das Lächeln aus meinem Gesicht zu verbannen. „Ich denke, das musst du wieder gut machen."
Ich küsste ihn ohne eine weitere Sekunde nachzudenken.

In meinen Augen war alles perfekt.
Ich war glücklich.
Ich hatte eine Familie.
Eine Familie, für welche ich alles aufgeben würde.

__

Er hatte nur für einen kurzen Moment die Augen geschlossen.
Zum falschen Zeitpunkt. Er hatte die Kreuzung übersehen, ebenso wie den kleinen, schwarzen Wagen, welcher von rechts gekommen war.
Verzweifelnd umklammerte er das Lenkrad des LKWs, seine Unterlippe zitterte. Es war seine Schuld gewesen.

__

„Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,
Vieles geht in unseren Gedanken und Gefühlen durcheinander in diesen Tagen – Trauer, Schmerz, Ratlosigkeit, Ohnmacht, Verzweiflung, Wut, Zorn – und da sind Fragen.
Was ist das für ein Leben, das solche Schicksalsschläge bereit hält? Was ist das für eine grausame Welt?"

Gedankenlos starrte ich ins Leere. Die Worte der Pastorin nahm ich gar nicht mehr wahr. Fest umklammerte ich die Hand, welche die meine gar nicht mehr loslassen wollte. Mein Halt, mein Leben. Heiße Tränen stiegen mir in die Augen, ich wollte es nicht fassen, es war ein schrecklicher Alptraum, welcher nicht enden wollte.
Ich schloss meine Augen und sah eine Szene vor mir, mit Leben gefüllt und von lautem Lachen umgeben. Keiner sagte mir, das hier sei ein Alptraum, keiner hörte meine Schreie, keiner reagierte.
Wieder ein Schluchzen, klar und deutlich, direkt aus meiner Kehle. Das Zittern, welches ich versucht hatte, zu unterdrücken, gewann an Oberhand. Ich ließ es gewinnen, denn ich hatte schon lange verloren. Eine Hand legte sich auf meine Wange und strich die Tränen weg.
Keiner wollte mich aufwecken, keiner wollte mir den Schmerz nehmen.
Denn sie selbst verspürten ihn genauso deutlich und erstickend, wie ich es tat.

__

In einem Augenblick hatte sich alles verändert.
Man konnte nur zusehen wie diese Welt in sich zusammenbrach.
Und keiner konnte diese Ruinen wieder restaurieren.
Es war sinnlos.

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Ich habe nicht viel zu sagen, da ich tapezieren soll. Meine Schwester kriegt eindeutig nichts auf die Reihe.

Von mir, schöne Ostern.

Und ganz viel Liebe
Zweater Paws❤

Die Maske - Sweet Pea | JiminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt