6.

2.2K 115 53
                                    

„Mina! Jetzt komm endlich!", rief ich die Treppe hinauf und seufzte lediglich, als das fünfzehnjährige Mädchen ein bejahendes Murren von sich gab. Neben mir stand Dayeon, die sich leise lachend an mich lehnte. Vorsichtig harkte sie ihren Arm in meinen und blickte mit einem Wimpernschlag auf.
„Das muss bei euch wohl in der Familie liegen. Dein Vater ist auch nicht die Pünktlichkeit in Person. Kannst du dich erinnern, als er uns zum Abiball fahren sollte?" Sie lachte bei diesem Gedanken auf und klammerte sich an meinen Unterarm. Meine Augen fanden ihre.
„Wir kamen zwei Stunden später an, als eigentlich geplant. Hyun war außer sich gewesen.", fügte sie hinzu und auch meine Mundwinkel hoben sich leicht. Gleichzeitig war es unfassbar. Die Zeit ist so schnell vergangen. Mit siebzehn habe ich Dayeon kennengelernt, als ich meinen Biologiekurs wechselte. Sie war mit Abstand die größte Niete in diesem Fach gewesen, die ich gesehen hatte. Es hat mich amüsiert, wie sie schräg vor mir gesessen hatte, die Hände tief in den Haaren vergraben, während sie verzweifelt versuchte, dem Unterricht zu folgen. Jede Stunde lagen meine Augen auf ihr, beobachteten sie und schlangen begierig jede geschmeidige Bewegung von ihr auf. Irgendwann aber ergriff ich die Initiative und fragte sie, ob ich ihr Nachhilfe geben solle. So begann eine Beziehung, die hauptsächlich aus Neckereien und irgendwelchen Pannen bestand, die sich nicht vermeiden ließen. Meist sorgte Dayeon für den Humbug, doch das interessierte sie recht wenig, wenn es mich gab, ihren Idioten an Freund, der liebend gerne hinter ihr aufräumte. Und so war es auch. Ich war vernarrt in das Mädchen, was vergaß den Herd auszumachen, ihr Portemonnaie an der Kasse liegen ließ oder ihre Müslischalen nie abwusch.
Mittlerweile waren wir seit vier Jahren zusammen, nachdem ich nach drei Jahren Freundschaft über meinen eigenen Schatten gesprungen war, und ihr meine Liebe gestanden hatte. Dieses Verhältnis erinnerte mich oft an meine eigenen Eltern, und ihrer irrwitzigen Geschichte, wie sie zueinander gefunden hatten. Mein Vater sprach gerne davon, er erzählte es mit so viel Liebe, dass ich, als ich noch ein kleiner Junge gewesen war, meinen Vater um meine Mutter beneidete und immer davon geträumt habe, später selbst so schöne Geschichten erzählen zu können.
Meine Familie war das größte für mich, sie haben mir immer gezeigt, dass ich nicht alleine bin und auch nichts alleine durchstehen muss. Dass das Füreinander-da-sein für eine Familie essentiell ist.
„Minjae? Bist du noch da?" Eine Hand winkte vor meinem Gesicht herum und ich blinzelte benommen. Vor mir stand Mina und blickte mich skeptisch an. Sie hatte ihre Augenbraue gehoben und eine Hand in die Hüfte gestellt. Sie erinnerte mich an Mama, mit ihren blonden Haaren, braunen Augen und der übergroßen Brille auf der Nase war sie das Abbild dieser zu jungen Jahren. Meine Großmutter hatte mir oft Bilder von Mama gezeigt, obwohl ihr das nicht gefiel. Sie mochte diese Bilder nicht, da sie sich auf diesen immer zu einem Lächeln gezwungen hatte, auch wenn ihr zu weinen zu Mute gewesen war. Doch ich liebte diese Bilder, sie zeigten mir, dass auch Eltern schwere Zeiten haben und nicht immer diese starken Helden sind, für welche sie sich immer versuchen auszugeben. Durch diese Bilder wurde meine Mutter nur noch schöner, als sie es ohnehin schon war.

________________

„Mama?", ich blickte bei diesen Worten besorgt auf, da Minjaes Stimme zitterte. Selten vibrierte seine Stimme derart stark und voller Trauer, sodass mir das Blut in den Adern gefror. Das letzte Mal hatten meine Alarmglocken so schrill geläutet, als wir für Nächte seinen Elefanten nicht gefunden hatten und er kaum schlafen konnte. Später fanden wir ihn im Vorratsschrank, da Minjae sich immer dort versteckte, um nicht früh schlafen zu müssen. Doch diesmal ging es nicht um Ele, da er diesen fest gegen seine Brust drückte
Stumm legte ich den roten Korrekturstift an die Seite und drehte mich mit meinem Drehstuhl in seine Richtung. Langsam lief er auf mich zu und als er in die Reichweite meiner Arme kam, zog ich ihn mit einem Satz auf meinen Schoß. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum und lehnte sich gegen mich. Ich musterte ihn eindringlich und fuhr ihm durch seine dunklen Locken, die definitiv von Jimin waren.
„Was ist los, hm?", fragte ich liebevoll und stupste ihm vorsichtig in die Wange. Er presste die Lippen aufeinander und sah mich aus seinen braunen Augen an.
„Kann ich morgen mitkommen? Ich möchte Tante Eunmi unbedingt besuchen.", seufzend zog er einen Schmollmund und zupfte abwesend an den Ohren seines Elefanten. „Papa sagte, ihr ginge es nicht so gut. Deswegen habe ich ihr in der Schule etwas gebastelt. Darf ich morgen bitte mit? Ich werde auch ganz lieb sein und alles machen, was du oder Papa von mir wollt, versprochen!", wie auf Befehl schoss seine Hand hervor und er streckte mir seinen kleinen Finger entgegen. Aus großen, flehenden Augen betrachtete er mich und wartete auf meine Reaktion. Mir war bewusst, dass Jimin das nicht gefallen wird, da wir Minjae dies eigentlich noch nicht zu muten wollten, doch wir konnten ihn auch nicht von ihr fernhalten. Dafür mochte er Eunmi viel zu gerne und hatte leider Gottes auch den dicken Schädel seiner Eltern geerbt. Ich verhakte unsere kleine Finger miteinander.
„Na gut, aber du musst ganz vorsichtig sein, okay? Sie sitzt jetzt im Rollstuhl und ist schnell erschöpft."
„Alles was du sagst!", sagte er freudestrahlend und fiel mir plötzlich um den Hals. „Ich habe dich ganz dolle lieb." Ich drückte meinen Sohn müde lächelnd an mich und schloss für einen kurzen Moment meine Augen, ehe ich mich wieder von ihm löste.
„Aber jetzt gehst du wieder ins Bett, morgen nach der Schule fahren wir drei zu Tante Eunmi. Klingt das nach einer Idee?" fragte ich und beobachtete ihn dabei, wie er von meinem Schoß sprang und sich eine Strähne aus der Stirn strich. Er nickte eifrig und drückte sein Kuscheltier wieder an die Brust.
„Gute Nacht, habe dich lieb!", murmelte er und flitzte keine Sekunde später aus meinem Arbeitszimmer in sein Kinderzimmer, was sich auf der anderen Seite des Flurs befand. Ich konnte ihm nicht einmal richtig antworten, da hörte ich schon die Tür ins Schloss fallen, gefolgt von einer erdrückenden Stille. Bevor Minjae gekommen war, hatte ich Eunmi und das ganze Debakel gut ausgeblendet gehabt, da ich mich in meine Arbeit geworfen hatte und Berge an Matheklausuren korrigierte. Doch jetzt drängte sich wieder das Bild von Eunmi in mein Gedächtnis, wie sie im Krankenhausbett lag und nur weinend an die Decke starrte, als sie realisierte, dass sie nie wieder laufen konnte. Sie war von nun an, an einen Rollstuhl gekettet, der sie den Rest ihres Lebens begleiten würde. Ihr war eine Freiheit genommen worden, welche wir als selbstverständlich ansahen. Zwar versuchte sie jedes Mal, wenn ihre Eltern oder wir uns nach ihr erkundigen, uns weiß zu machen, ihr ginge es gut, aber wir wussten es besser. Das aufgesetzte Lächeln war falsch und das Lachen schlecht vorgetäuscht, doch wir akzeptierten ihre stille Bitte, sie nicht zu bemitleiden.
Wir alle versuchten so oft, wie möglich sie zu besuchen, ihr Trost zu schenken und sie vielleicht auch etwas abzulenken.
Oft saß ich nachmittags bei ihr auf dem Zimmer, bereitete den Unterricht vor und lenkte sie mit Leckereien und irgendwelchen Geschichten aus der Schule ab, bis ich Minjae aus der Schule abholen musste, oder Jimin mich anrief. Die Jungs hatten sich bereit erklärt, ihre ehemalige Wohnung zu räumen. Eunmi konnte schlecht in dieser bleiben, da sie im dritten Stock gehaust hatte, ohne irgendeinen Fahrstuhl. Jedoch hatte Emma schnell eine Rollstuhlgerechte Eigentumswohnung im Erdgeschoss gefunden, die Eunmis Eltern sofort gekauft hatten. Aus diesem Grund hatten Joshua, Jimin, Taehyung und Yoongi alle Hand mit dem Umzug zu tun. Nur Jungkook war der einzige, der nicht Recht wusste, wie er dem Mädchen helfen sollte. Wir alle hatten gemerkt, dass die Stimmung zwischen ihnen eisiger als die Temperaturen in Alaska war, doch das mussten die beiden unter sich ausmachen. Natürlich sprach ich mit Eunmi oft über Jungkook, doch sie hatte mir nicht erklärt, warum sie ihn wie Luft behandelt, obwohl er ihr deutlich zeigte, dass er selbst die Welt aus den Angeln heben würde, wenn sie nur mit den Fingern schnippte. Ich verstand es nicht, keiner tat es.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 15, 2018 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Die Maske - Sweet Pea | JiminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt