Erlösung

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Sie setzt einen Fuß vor den anderen. Langsam und mit bedacht, trotzdem mit Zuversicht.

Zuhause, was sie seit langen nicht mehr ihr Zuhause nennt, ist ein Brief für ihre Mutter. Dort steht drinn, dass ihre Mutter nicht schuld ist, wie es enden wird. Alles ist in diesem Brief erklärt, dass mit Lukas und was für Gedanken sie plagen.

Eines hat sie nicht in diesem Brief geschrieben, eine Entschuldigung.
Denn ihre Mutter hat vor langer Zeit einmal zu ihr gesagt: Schatz, entschuldige dich nie für Entscheidungen, die du für richtig hälst. Egal, ob du sie nur gut findest. Rechtfertige dich nicht. Solange du das machst, was für dich gut ist, dann ist alles in Ordnung.

Und daran hält sie sich, doch ist ihre Mutter nicht schuld an dem, was die Teenagerin in ein paar Minuten macht.

Auch für Lukas hat sie ein Brief geschrieben. Seit langem hat sie ihre Gefühle offenbart. Die Liebe, die Eifersucht, die Traurigkeit, das Mobbing.

Mel gesteht ihm die Liebe, im Wissen, dass er es nicht erwidert. Sie traut sich endlich mal die Wahrheit zu sagen.

Auch für ihren Vater hat sie einen Brief geschrieben. Dieser befindet sich in ihrer Hosentasche. Wenn sie in den Himmel kommt, gibt sie den Brief ihrem Vater.

Schwungvoll schwingt die blonde ihre Beine über das Geländer. Unter ihr das Wasser mit gefährlicher Strömung und Tiefe. Es ist ihr Todesurteil, wenn sie runter springen würde. Genau, das hat die blauäugige auch vor.

Sich selbst das Ende geben.
Vor ihren Problemen wegspringen, sich einmal wieder frei fühlen.

Frei hat sich das Einzelkind noch nie gefühlt. Einfach frei. Frei.

Ein letztes mal schaut sie in den Horizont, wo die verschiedenen Sternen stehen. Ein letztes Mal schließt sie die Augen. Ein letztes Mal erinnert sie sich an die grausamen Ereignisse.

Mit gestreckten Armen springt sie kopfüber in ihre Freiheit, in ihr Todesurteil, zu ihrem Vater in den Himmel.

Dialog mit der Magersucht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt