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Freitag, 03.02.2017
Ich dachte wirklich, ich würde heute in der 1. Stunde etwas hinkriegen, aber irgendwie sitze ich gerade in der Turnhalle und gucke einem Fußballturnier zu. Keine Ahnung, wie das passiert ist, aber ich finde das nicht so geil, weil ich einen Tisch zum Schreiben brauche. Fußball ist auch einfach so irrelevant und es herrscht Anwesenheitspflicht. Die wird nicht mal kontrolliert. Man, meine arme Freistunde. Wenigstens sind Miri und Nele bei mir. Und auch Natalie, die auch gerne mein Tagebuch liest. Nochmal danke dafür.
Ich hab mir eigentlich vorgenommen, etwas zu schaffen. Etwas zu schaffen, worauf ich stolz sein kann. Wobei ich nicht denke, ich bin eine Verschwendung. Eine Verschwendung von Zellhaufen. Ich hab noch so viel Zeit. So viel Zeit in meinem Leben. Aber sie rennt. Rennt mir davon. Rennt jedem davon. Rennt so schnell, sie rennt sich selbst davon. Jeder macht sich Stress, keiner weiß was sie tun sollen, mit der ganzen Zeit. Und ich? Was soll ich tun, was will ich? Ich erreiche schon wieder nichts, stehe auf der Stelle, komme einfach nicht weiter. Und mein Sexleben? Okay, nein, das ist von Hannah geklaut. Miriam, wenn du das liest: DU TUST MEINEN OHREN WEH! Okay, tut mir leid.
Nein, tut es mir nicht, sie war laut. Ich bin schon wieder so enttäuscht von mir selbst. Ich wollte wirklich Dinge schaffen. Wie zum Beispiel meine neue Geschichte weiterschreiben, aber ich komme da nicht zu. Keine Lust, keine Motivation, keine Zeit. Gerade habe ich Zukunftsängste. Verdammte Zukunftsängste. Alle sagen mir, ich hätte das Zeug dazu, es wirklich zu etwas zu bringen. Sie sagen, ich kann Schriftstellerin werden. Sie sagen, ich kann locker damit Geld verdienen. Ich sage, ich keine Ausdauer und kein Talent. Meine Geschichten sind scheiße. Sie sagen, ich kann Lektorin werden. Als wäre es leicht. Ich würde das Studium nicht schaffen. Und wenn doch, würde ich keine Stelle finden. Es ist nicht leicht. Ich würde es trotzdem gerne wollen. Ich mach einfach weiter. Auch ohne Aussicht auf Erfolge, ich will es nur versuchen. Selbst der Versuch ist eine Menge wert.
Ich bekomme auch so viele Komplimente. Für meistens das, was ich hier tue, oder meine Schrift. Ich weiß nicht wohin damit. Ich weiß nie, wie ich reagieren soll. Ich glaube auch, ich hab es nicht verdient, doch meine Arbeit sagt was anderes. Reicht auch, wenn es nur einer sagt. Ich bin nun gar nicht mehr so enttäuscht von mir.

Ich war wieder beim Veganer. Bei diesem Ort, wo ich immer willkommen bin. Sein Zimmer hat wirklich einen gewissen Geruch, der in mir ein Gefühl der Geborgenheit auslöst. Zuhause fühle ich mich nicht so geborgen. Ich fühle mich nicht einmal willkommen. Mein Zeugnis ist schlecht, okay? Es ist das Schlechteste, was ich je hatte. Aber es ist das erste Halbjahr und ich kam von einer Hauptschule. Dieser Stress um Noten, dieser ganze Druck, das ist doch alles nicht nötig. Ich habe zwei 5en und das ist alles, was meine Eltern sehen. Scheiß auf die Zweien in Englisch, motherfucking Französisch, was ich zum ersten Mal habe, und Kunst. Und nun wollen die Sonntag mit mir sprechen. Dass ich dieses Gespräch schon mit mir selber hatte, ich bin nämlich nicht zufrieden damit, ist ja egal. Die können mir nichts sagen, was ich nicht schon weiß. Sonntag mache ich einfach meine Hausaufgaben. Ich mache sie. Und ich mache sie gut. Frau H wird sich freuen.
Beim Veganer war alles toll. Wir hatten eine tolle, kuschelige Zeit. Und wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt. Es war so spaßig. Hannah hat Lea einen Schrank ausgespannt. Ich war unter Menschen, die ich liebe. Und dann kam eine Nachricht von der Frau, die sich meine Mutter nennt und plötzlich: Realität. Alles scheiße.

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