Kapitel 4

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Madison versuchte, Nadie so schnell wie möglich​ die englische Sprache beizubringen. Sie war sehr verwundert über die Lernfähigkeit der kleinen Indianerin. Die beiden waren inzwischen sehr gute Freundinnen geworden, auch wenn es so einen großen Altersunterschied gab. Oft erzählte Nadie Madison Geschichten von den Indianern, welche grob waren, doch zugleich auch ein großes Herz hatten. Nadie hatte in den letzten zwei Monaten, seitdem ihre Mutter nicht mehr bei ihr war, wirklich schnell und viel gelernt. Aus bloßen Wortfetzten wurden immer verständlichere Sätze.
Als Carry an diesem Morgen aufgeregt zu Madisons Wagen gelaufen kam, spührte diese, dass Carry ihr etwas ganz erfreuliches berichten wollte.
„Oh Madie, hast du einen Augenblick Zeit? Es ist etwas wunderbares passiert, oh ich muss es dir einfach als erstes erzählen! Selbst Steward weiß noch nichts davon! Oh Madie, Gott hat meine Gebete erhört, ich bin schwanger!"
Madison ließ ihre Häkelarbeit fallen und umarmte liebevoll ihre Freundin. Sie war im Moment ganz beschäftigt bei ihrer Arbeit gewese, für ihr Baby einige hübsche Jäckchen und Kleidchen herzustellen. Carry hatte es ihr beigebracht und nun funktionierte es immer besser.
Doch dieses Kleidchen würde sie wohl nicht mehr gebrauchen können, war es doch so schmutzig vom Fall in den Staub geworden. geworden. Madison war sich sicher, dass ihr Baby ein Mädchen werden würde. Sie betete sogar darum, doch würde sie natürlich auch über einen Jungen hoch entzückt sein. Madison war es peinlich, dass sie ihrer Freundin ihr großes Geheimnis erst in den letzten Monaten anvertraut hatte. Doch Carry schien es erst gar nichts auszumachen. Sie war ja so begeistert über die neue Nachricht ihres Glücks, dass sie kein Gehör für andere Nachrichten hatte. Obwohl Carry und Steward sich nun mit dem alten Planwagen von einem netten Mann in Charleston zufrieden geben mussten, ging die Fahrt flüssig voran. Es würden noch viele Tage und Nächte ins Land gehen, doch das Ziel lag in erreichbarer Nähe. Die Hoffnung brannte in ihren Herzen, manchmal mehr, manchmal weniger. Aber nie verlosch sie ganz.

Madison hatte sich in Charleston ein kleines Heft gekauft in das sie jeden Tag eine Zusammenfassung des Tages schrieb, um jeden Moment für die Ewigkeit festzuhalten.

"Und jeder Tag gleicht einem Traum,
wir fliegen davon
In den Schwingen.
Vom Morgen bis tief in die Nacht
In Hoffnung auf Unendlichkeit
sind wir bereit für unser Glück.
Das Leben unser Zukunft."

Hatte Madison auf das erste Blatt diesen Heftchens geziert. Sie lächelte zufrieden und strich sanft mit ihrer Hand über das bräunliche Papier. Schon lange hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als sich wieder in das Land ihrer Fantasie zu stürzen und ihre Gedanken auf Papier, in Form eines Gedichts, zu bringen.

Es war schon am dämmern, als plötzlich einige Schüsse hinter dem Treck abgelassen wurden. Am lauten Schall konnte man erkennen, dass sie aus weniger als huntert Metern stammten. Alle Farbe wich aus Madisons Gesicht. Dieses mal war es glasklar- Indianer.
Ein Gebrüll ging wenige Sekunden später los, die Männer trieben ihre Pferde an, die Frauen schrien aus Angst um ihr Leben. Man hörte Hufgetrampel aus geringer Entfernung. Madison wagte es, sich umzudrehen und zurückzuschauen. Sie sah eine Staubwolke, was bedeutete, dass es kein Spaß sein sollte. Mit so einem Angriff war wirklich nicht zu Spaßen. Ein Blick in Nadies Gesicht genügte- es war Ernst, sehr Ernst. Kein Traum. Plötzlich hörte Madison ein lautes Wiehern und die Kutsche verlangsamte. Crown, Jeff's Lieblingshengst, hatte sein Bein an einem Stein verletzt und war nicht fähig, weiterzulaufen. Madison spührte, wie das Blut in ihren Adern zu Eis gefror. Sie war verloren. Dann wurde alles schwarz vor ihr.

***

Von einem lauten Gesang wachte Madison aus ihrem Schlaf auf. Ihr Kopf schmerzte unerträglich.
„Oh Jeff, mein Kopf! " zischte sie schmerzhaft. Keine Antwort.
„Jeff, schläfst du? " langsam wurde Madison klar, was hier für ein Spiel gespielt wurde. Langsam kamen ebenfalls die Erinnerungen zurück. Es waren Indianer, die diesen Krach machten. Sie feierten ihren Beutezug und den Erfolg und dankten ihren Göttern dafür. Madison wusste, dass sie jetzt auf keinen Fall weinen durfte, das würde ihrem Herz die letzte Kraft rauben.
Als eine Sioux- Indianerin Madison erblickte, lief sie schnell zu ihr hin. Sie musterte Madison von Kopf bis Fuß. Dies schien sehr interessant zu sein, denn sie schaute mehrmals von oben nach unten.
„Tókhel máni hé niš? "sagte sie plötzlich, während sie schelmisch auf Madisons Bauch zeigte. Madison wusste nicht auf diese Frage zu antworten, also schwieg sie lieber, versuchte dabei aber, ein möglichst fragendes Gesicht aufzuweisen. Die Indianerin verstand sofort und ging darauf hin wieder. Madison schaute sich um. Die Männer, welche schreiend und trommelnd um das heiße Feuer liefen, warfen beängstigende Schatten auf die Planen der vielen Tipis. Sie alle trugen variierend viele Federn auf dem Kopf, dazu waren ihre tiefschwarzen Haare jeweils zu zwei Zöpfen geflochten. Zudem besaßen sie braune Lederjacken, welche der ebenfalls hellbraunen Lederhosen angepasst waren. Madison fiel jetzt der Mann in der Mitte auf. Er trug deutlich mehr Federn auf seinem Kopf und auch seine Kleidung unterschied sich von den der anderen. Es war offensichtlich, dass das der Häuptling dieser Gruppe war. Langsam wurde der Lärm für Madison unerträglich.
Plötzlich schoss es ihr durch den Kopf. -Jeff! Ob ihn die Indianer ebenfalls mitgenommen hatten? Nein, hier war er sicherlich nicht!
„Oh Herr, lass es ihm doch gut gehen!" betete Madison in ihrer herzzerreißenden Angst. „Herr, lass ihn doch hier sein, ich kann nicht ohne ihn! " Madison fühlte sich so allein wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie hatte Angst vor der Wahrheit. Ob Jeff überhaupt noch am Leben war? Sie würde es ja bald herausfinden. Erstaunt darüber, dass keiner sich um sie kümmerte, nahm Madison ihr kleines Heft und notierte:

Der Traum zerbrochen,
Das Glück zerstochen.
Was in Träumen so schön,
das werd' ich niemals sehn.
Was mir wurd genommen,
Seh ich bloß verschwommen
vor mir ;
Ich will nur zu dir.
~Jeff

Madison konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten und ließ ihnen darauf hin freien Lauf.
Was würde nun auf sie zukommen- und was war mit dem Baby? Madison spührte, dass sie nicht mehr lange auf den ersehnten Tag warten müsste.

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Dieses Kapitel wollte ich gerne meiner Schwester @evangeline100 widmen, die mich für die Handlung in diesem Kapitel inspiriert hat 😘

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