»Dass ich nicht lache!«,spottet er und kommt auf mich zu.
»Ich hab gesagt komm nicht näher!«
Sein zuvor triumphierendes Grinsen verblasst und weicht erst einer erschrockenen, dann einer angsterfüllten Miene, die mir schrecklicherweise eine kleine Genugtuung verschafft. Dann ertönt der Knall und das Bild verschwimmt vor meinen Augen.
Die tiefschwarzen Silhouetten von Bäumen umgeben mich, Wind pfeift durch die Baumkronen und durchbricht als einziges Geräusch die Stille. Mein Blick wandert nach oben. Vom Nachthimmel scheint hell und klar das kalte Mondlicht und wirft unheimliche Schatten auf den unebenen Waldboden. Langsam drehe ich mich im Kreis und widerstehe dem Drang laut »Hallo?« zu rufen. Plötzlich leuchten mir zwei rote Augen aus dem dunklen Dickicht entgegen, lauernd und bedrohlich. Angst macht sich in meiner Brust breit, mein Herz schlägt von dem einen auf den anderen Moment schneller gegen meine Rippen. Ich blinzele, doch die Augen sind immer noch da. Zögernd mache ich einen Schritt darauf zu, auch wenn alles in mir rät die Beine in die Hand zu nehmen und einfach zu laufen.
Die Augen verschwinden ganz plötzlich und mit ihnen jedes Geräusch. Totenstille macht sich breit und langsam gehe ich wieder rückwärts.
Ein kalter Angstschauer läuft mir den Rücken hinab.
Kleine Äste knacken unter meinen Schuhsohlen.
Ein seltsames Knurren und Schaben hinter mir lässt mich herumwirbeln und augenblicklich entfährt mir ein Aufschrei. Drei rote Augenpaare blitzen mir entgegen, alle mit einem bedrohlichen Schimmern belegt.
»Miena!«
Erschrocken mache ich einen Satz nach hinten, wobei mein Fuß an einer Wurzel hängen bleibt und mich abrupt von den Füßen reißt.
Mein Kopf schlägt hart auf dem Boden auf, dann wird alles schwarz.»Miena!«
Eine Hand an meiner Schulter reißt mich aus dem Schlaf und damit aus dem Alptraum.
Nach Luft schnappend fahre ich hoch und stoße dabei fast mit Yesko zusammen.
»Wow!«,entfährt es diesem, während er mir noch gerade so ausweichen kann. Meine Hand fährt in meine zerzausten Haare und ich versuche meinen panischen Atem zu verlangsamen, während Yeskos Hand sich beruhigend auf meinen Rücken legt. »Alptraum?«,fragt er besorgt und ich spüre seinen Blick auf mir, erwidere ihn aber nicht.
»Wie spät ist es?«,entgegne ich, ohne seine Frage zu beantworten.
»Fast halb Sieben«,meint er und geht neben meinem Bett in die Hocke, um mich besser ansehen zu können.
»Gut, dann hab ich dich ja nicht geweckt«,murmele ich und lasse die Hände in den Schoß fallen. Er schmunzelt leicht. »Nein, hast du nicht.«
Ich erwidere das leichte Lächeln, ehe er aufsteht.
»Mach dich fertig, Mum macht Frühstück«,lächelt er und geht zur Tür. Ich grinse leicht. »Endlich mal wieder kein verbrannter Toast«,necke ich ihn und schiebe die Beine aus dem Bett, während der Traum fürs Erste in einer hintersten Ecke meines Gehirns verschwindet.
»Das nächste Mal kannst du dir deinen Toast gern selbst machen«, ruft er nur im Hinausgehen. Ich lache leicht und stehe dann auf, um mich anzuziehen, kurz durchs Bad zu huschen und dann die Treppe hinunter zu traben, in die Küche. Tatsächlich steht heute mal wieder Mum am Herd und macht dem Geruch zu Folge Rührei. Als ich herein komme, dreht sie sich herum und lächelt.
»Morgen«,begrüßt sie mich und wendet sich wieder dem Frühstück zu. »Morgen«,entgegne ich ebenfalls und setze mich an den bereits gedeckten Tisch.
»Ich hab dich schreien gehört, schon wieder ein Alptraum?«,fragt sie und in meinem Kopf tauchen sogleich wieder unheimliche Bilder der dunklen Schatten im Wald auf.
»Mhh«,brumme ich nur bestätigend und nehme schnell einen Schluck von dem Orangensaft, den ich mir zuvor eingegossen habe, um vorerst nicht mehr sagen zu müssen.
Obwohl meine Augen auf die Tischdecke gerichtet sind, spüre ich ihren prüfenden Blick auf meiner Haut brennen, als sie zum Tisch kommt, um das Rührei auf die drei Teller zu verteilen.
»Wieder von der Nacht der Schlägerei?«,hakt sie dann nach. Die Pfanne stellt sie wieder auf dem Herd ab und schaltet ihn aus, während ich antworte.
»Ja«,meine ich und zögere kurz, bevor ich weiter rede,»Und noch etwas anderes. Ich war in einem dunklen Wald und da waren rote Augen, die mich beobachtet haben«
Als ich merke wie seltsam es klingt, füge ich schnell hinzu: »Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat. In letzter Zeit passieren viele seltsame Dinge.«
Zum Ende hin wird meine Stimme leiser. Mum sieht mich nur mit einem undefinierbaren Blick an, doch bevor sie etwas entgegnen kann, kommt Yesko in die Küche, was auf ein stummes Zeichen hin das Ende der Konversation ist.₪
»Rote Augen, die dich beobachtet haben?«,wiederholt Amber in einer ungläubig-skeptischen Tonlage.
»Ja«,seufze ich und rolle mit den Augen bei ihrem Misstrauen.
»Mhh. Bestimmt hatte der nichts zu bedeuten, jeder hat doch mal einen seltsamen Traum«,spekuliert sie, woraufhin ich mit den Schultern zucke.
»In letzter Zeit ist alles so seltsam, es würde mich wundern, wenn der Traum nichts zu bedeuten hat.«
Mir kommt wieder der gestrige Abend in den Sinn. Ich öffne gerade dem Mund, um ihr auch davon zu erzählen, da ringt jedoch die Schulglocke, was bedeutet, dass die Pause vorbei ist. Ich seufze und schnappe mir meinen Rucksack, ehe ich mich vom Tisch schiebe und mit Amber das Klassenzimmer in Richtung Chemieraum verlasse.Chemie war noch nie mein Lieblingsfach. Ich wurde aus Reaktionsgleichungen und verschiedenen Reaktionsarten einfach nicht schlau. Auch wenn Yesko mir schon oft versucht hatte, das Ganze beizubringen.
»Mhh, das sieht nach Experimenten aus«,meint Amber als wir den Raum betreten. Tatsächlich stehen auf den Tischen schon allerhand Reagenzglashalter und Erlenmeyerkolben und unser Chemie-Lehrer hantiert vorn schon mit mehreren Behältern, gefüllt mit Chemikalien.
»Na klasse«,kommentiere ich Ambers Feststellung mit einem sarkastischen Unterton und steuere auf unsere Bank zu.
»Ach komm, das wird bestimmt witzig«,grinst meine beste Freundin und folgt mir,»Und es ist spannender als normaler Unterricht.«
»Stimmt auch wieder«,entgegne ich monoton.
Während Mr. Wade erklärt, was wir machen müssen, bin ich größtenteils abwesend. Die seltsamen Ereignisse der letzten Tage lassen mich schon die ganze Zeit ständig abdriften. Das Ganze kommt mir immer noch nicht wie die Realität vor. Ich sollte sowas nicht können. Niemand sollte sowas können. Ich meine Blut in Flammen aufgehen lassen? Sowas kann nicht real sein. Sowas -
Ambers Ellenbogen reißt mich zum dritten Mal heute aus meinen Gedanken. Alle um uns herum holen geschäftig Chemikalien von vorn und verschiedene Geräte.
»Was müssen wir machen?«,wende ich mich desinteressiert an das Mädchen, woraufhin sie mir das Experiment in Kurzform wiedergibt und mich dann nach vorn schickt, damit ich die Chemikalien - verdünnte Säuren, wie ich herausgefunden habe - hole. Seufzend schnappe ich mir drei Reagenzgläser und mache mich auf dem Weg nach vorn.
Unerwartet stellt sich mir jedoch auf dem Weg nach vorn ein Fuß in den Weg, weshalb ich stolpere und mir eines der Reagenzgläser aus der Hand rutscht. Klirrend zersplittert es auf dem Boden, was kurz die Aufmerksamkeit von ein paar Schülern auf mich zieht, bevor sie weiterarbeiten. Mit einem genervtem Blick fahre ich herum, um zu sehen, wer mir gerade das Bein gestellt hat. Als ich sehe wer dort am Tisch sitzt und mich selbstgefällig angrinst, kann ich nicht anders, als die Augen zu verdrehen. Jim Eliot. Einer der größten Vollidioten der ganzen Highschool, wenn man mich fragt. Seit ich ihm in der Middle School einen Korb erteilt habe, ist er mir gegenüber ein noch größeres Arschloch, als sowieso schon.
»Witzig, Jim«,knurre ich und hocke mich dann hin, um die groben Scherben aufzusammeln.
»Vergiss keine«,ertönt es spottend, während sein Stuhl über den Boden schabt, als er aufsteht und an mir vorbei geht. Dabei kann er es natürlich nicht lassen, mich noch einmal anzurempeln und damit aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich fange auch den zweiten Beinahe-Sturz ab, allerdings landet dabei eine meiner Hände direkt in den zuvor entstandenen Scherben. Ich ziehe zischend die Luft ein, als sich die spitzen Glaskanten tief in meine Handfläche graben.
»Ups«,höre ich Jims scheinheilige Stimme, der ein Lachen folgt. Ich spüre warmes Blut meine Haut entlanglaufen, dort wo sich die Splitter in meine Hand gebohrt haben. Ich schließe kurz die Augen und atme tief ein, um Jim nicht vor dem ganzen Kurs anzuschreien.
Doch zu dem einfachen Willen mich zu beruhigen, kommt ein ganz anderer Gedanke, als ich den metallischen Blutgeruch wahrnehme. Ich darf nicht wütend werden. Nicht hier. Nicht vor dem ganzen Kurs. Mein Herz beschleunigt sich leicht, während die Angst und meine Wut sich in mir duellieren. Ich versuche mit aller Kraft meine Wut über dieses Arschloch zurückzuhalten, doch es hat in etwa den gleichen Effekt, wie wenn man versucht ein aufkommendes Lachen zurückzuhalten. Ich beiße meine Zähne krampfhaft aufeinander, doch es scheint rein gar nichts zu bewirken.
Der ganze Prozess dauert anscheinend nur ein, zwei Sekunden, denn Jim steht noch nah bei mir und macht einen großen Satz nach hinten, als die Stichflamme aus dem kleinen Scherbenhaufen, beträufelt mit meinem Blut, schießt. Meine Hände ballen sich schnell zu Fäusten, um die Flammen dort zu ersticken und ich rutsche ebenso erschrocken nach hinten, bis ich mit dem Rücken an das nächste Tischbein stoße. Abgesehen von dem leichten Zischen und Fauchen des Feuers ist es plötzlich unheimlich still. Nur zögernd lasse ich meinen erschrockenen Blick durch den Raum schweifen. Ausnahmslos alle Augen sind entsetzt auf die langsam versiegenden Flammen gerichtet - und auf mich.
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Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlich
FantasyBlut ist gefährlich, Blut ist schön, Blut ist mächtig und nur Blut ist ewig. Dass ein Abend und eine Schlägerei zu einem Wendepunkt in ihrem Leben werden könnten, hätte Miena niemals geahnt. Und doch verfolgt sie seit dieser Nacht das Gefühl, dass h...