Zwanzig

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Nachdem die Dosen geleert sind, scheint nur noch fahles Mondlicht durch die vergilbten Fenster und lässt die Umrisse in der großen Halle silbrig schimmern.
Wir haben kein neues Gespräch angefangen und irgendwann entferne ich mich mit einer Flasche Wasser und meinen Badsachen von der Gruppe, um mir die Zähne zu putzen und außerdem pinkeln zu gehen.
Ich entferne mich nicht zu weit, allerdings außer Sichtweite, um wenigstens etwas Privatsphäre zu haben.
Ich hoffe in Dysia gibt es ordentliche Sanitär-Anlagen.
Als ich nach ein paar Minuten zurückkehre, herrscht immer noch Schweigen und ich lasse mich wieder auf meinem Platz nieder. Keith hat sich auf der anderen Isomatte wieder ausgestreckt, diesmal mit dem Rücken zum Feuer. Seine Atemzüge sind so ruhig und gleichmäßig, dass ich annehme, dass er bereits schläft.
Alysanne hat einen Ast in der Hand und stochert ab und zu im Feuer, um es am Leben zu erhalten.
Ich binde meine Haare hoch, um sie aus dem Weg zu haben und packe meine Sachen dann wieder zusammen. Irgendwie ist es seltsam mit so wenigen Dingen unterwegs zu sein, aber noch seltsamer, dass genau das mir jetzt auffällt, wo ich doch so viel mehr hätte, über was ich mir Gedanken machen könnte oder vielleicht sollte.
Alysanne übernimmt die erste Wache, weswegen ich mich auf die zweite Isomatte lege und mich in meine Jacke kuschle, die ich wieder als Decke verwende.
Mein Gesicht wende ich den orangeroten Flammen des Lagerfeuers zu, die sich tanzend Richtung Decke strecken.
Eine Weile lausche ich dem Knistern des Feuers und Keiths ruhigen Atemzügen, ehe ich die Augen schließe, um endlich etwas Schlaf zu bekommen.
Doch eine leise Stimme lässt mich sie wieder öffnen.
»Miena«
Ich sehe zu Alysanne, doch die schaut nur ins Feuer. Ihr Mund bleibt geschlossen, als die Stimme das nächste Mal ertönt. Sie scheint es nicht zu hören.
»Miena«
Ich runzele die Stirn und sehe zu Keith, doch dessen Schultern heben sich genauso ruhig wie zuvor.
Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter.
»Miena...Miena...Miiiena«
Ruckartig setze ich mich mit klopfendem Herzen auf und blinzele in die Dunkelheit, versuche mehr auszumachen, als nur schemenhafte Umrisse.
Ich kann nicht sagen, aus welcher Richtung die Stimme kommt, sie scheint überall her zu kommen, aber zugleich auch nirgendwo her.
Ich zucke heftig zusammen, als Alysanne sich zu Wort meldet.
»Miena? Was ist los?«,fragt sie verwirrt, aber sanft, fast so als wäre sie ein wenig besorgt um meine geistige Gesundheit.
Ich sehe sie einen Moment still an, bevor ich zittrig die Luft aus meinen Lungen entweichen lasse. Die andere Stimme schweigt.
»Ich dachte ich hätte etwas gehört«,murmele ich und füge noch leiser, fast tonlos hinzu:»Oder Jemanden.«
Ich will mich gerade wieder hinlegen, dann ist die Stimme wieder da.
Ein Kichern das unterdrückt wird.
Wieder wirbelt mein Kopf herum und ich versuche eine Gestalt auszumachen.
»Ich bin hier.«
Direkt neben mir.
Ich kann gerade so einen Aufschrei unterdrücken, als ich aufspringe und in die Richtung sehe, aus der die Worte kamen. Doch ich sehe immer noch nichts.
»Hier unten«
Meine Augen folgen der Stimme und als ich sehe was da zu meinen Füßen sitzt zucke ich erneut heftig zusammen.
»Was schaust du denn so? Hab ich was an der Schnauze?«
Von der anderen Seite des Feuers kommt ein leises, aber herzhaftes Lachen.
Verständnislos sehe ich zu Alysanne, die dadurch nur noch mehr lachen muss.
Dann sehe ich zurück zu dem Wesen am Ende meiner Isomatte.
»Das ist ein...sprechendes Wiesel«,murmele ich, nur um es mir selbst zu verdeutlichen und raufe mir mit einer Hand die Haare.
Das kleine braun-weiße Wesen schaut mich so an, als hätte ich den Verstand verloren.
Warum bekomme ich diesen Blick in letzter Zeit so häufig zugeworfen und nun sogar schon von einem Tier?
»Es gibt keine sprechenden Wiesel«,widerspricht es mir und wendet dann den Kopf Alysanne zu, die runden Knopfaugen allerdings immer noch auf mir.
Was du nicht sagst.
»Du sagtest mir nicht, dass sie ein wenig neben der Spur ist«,flüstert es in die Richtung der rothaarigen Hexe.
Ich kann meinen Blick unterdessen nicht von dem absurden Bild vor mir nehmen.
Es sitzt aufrecht auf dem Ende der Matte, die Vorderpfoten an die helle Brust gezogen.
»Sei nicht so hart zu ihr, sie weiß noch nicht viel von unserer Welt, Arséne«,entgegnet Alysanne, immer noch sichtlich amüsiert.
»Oh«,meint Arséne und wirkt fast schon enttäuscht, rappelt sich dann allerdings schnell wieder auf.
»Nun denn, deine rothaarige Begleiterin hat mir die Möglichkeit mich selbst vorzustellen nun schon genommen, aber das ignoriere ich hiermit gekonnt: Mein Name ist Arséne Silvestre und ich bin kein sprechendes Wiesel, sondern ein Gef. Freut mich dich endlich selbst kennenzulernen!«
Damit hält das kleine Tier eine winzige Pfote vor sich und erwartet anscheinend, dass ich sie schüttele.
Ich blicke erneut unsicher zu Alysanne, die mir allerdings nur lächelnd zunickt.
Langsam knie ich mich also wieder auf die Matte vor Arséne und halte ihm dann zögerlich den Zeigefinger hin.
Die kleine Pfote schließt sich um meinen Finger und er schüttelt ihn mit einem Grinsen.
Ich wusste nicht, dass Wiesel grinsen können.
»Siehst du, ich beiße nicht. Also das könnte ich, aber...«
»Arséne, ich glaube das ist genug«,schmunzelt Alysanne und das Tier seufzt nur leicht und lässt sich dann auf die Vorderpfoten fallen, um zu der Hexe hinüber zu tappen.
Und ich dachte schon nach den letzten zwei Tagen würde mich nichts mehr verwundern.
»Halt, woher kennst du eigentlich meinen Namen?«,rutscht es mir heraus und ich sehe Arséne verwirrt an.
Das Gef ist schon bis auf Alysannes Knie geklettert und sieht zu mir.
»Oh, hier in der Wesenwelt bist du bekannt, Mademoiselle«,grinst er, bevor er schneller als meine Augen folgen können, auf Alysannes Schulter ist, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern.
Die Ähnlichkeit mit dem, was Alysanne schon gestern zu mir gesagt hatte, verwirrt mich.
Warum sollte hier jeder meinen Namen kennen?
Keith muss einen ziemlich tiefen Schlaf haben, denn selbst während des Trubels, ist er noch nicht aufgewacht.
Wenn er allerdings ebenso erschöpft war wie ich, kann ich es fast nachvollziehen.
Alysanne nickt leicht, ehe sie etwas in der alten Sprache sagt.
Dann klettert Arséne auch schon wieder von der Bluthexe herunter.
»Freut mich deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Mademoiselle«,sagt er mit einer kleinen Verbeugung, bevor er eilig in der Dunkelheit verschwindet.
Ich runzele verwirrt die Stirn.
»Was genau...war das jetzt?«,frage ich perplex, den Gedanken an das sprechende Wiesel immer noch nicht verarbeitet.
Alysanne schmunzelt.
»Gefs sind die Boten der Wesenwelt. Und wie du siehst erlauben sie sich auch gerne Scherze«,erklärt sie amüsiert.
»Und von wem war die Nachricht, die er überbracht hat?«,hake ich weiter nach, nun neugierig.
»Tharin Laena, die Königin der Bluthexen. Wenn ich auf Reisen bin, bleibe ich immer auf diesem Weg in Verbindung mit ihr, um ihr Bericht zu erstatten. Sie freut sich schon darauf euch kennenzulernen.«
Meine Augenbrauen heben sich.
»Wir haben eine Königin?«,wiederhole ich überrascht.
Das Wort wir in diesem Kontext zu benutzen, fühlt sich noch seltsam, aber auf irgendeine Weise auch richtig an. Schließlich bin ich ja jetzt ein Teil dieser Welt.
»Königin ist nicht wirklich der richtige Ausdruck, sie trägt auch keine Krone. Wortwörtlich übersetzt bedeutet Tharin 'die Führende'«,erklärt Alysanne, das Feuer mit dem Stock ein wenig schürend.
»Aber warum benutzt man nicht einfach technische Hilfsmittel zur Nachrichtenübermittlung? Oder Magie?«,frage ich verwirrt, auch wenn die Vorstellung von Hexen und anderen Wesen, die sich SMS schreiben, selbst für mich unvorstellbar ist.
»Die Gefs sind eine der schnellsten und sichersten Methoden Nachrichten in der Wesenwelt zu überbringen und das tun sie schon seit Jahrhunderten. Mancher nutzt auch Magie, um anderen Nachrichten zu überbringen, aber für wichtige Informationen oder Konversationen, die nicht zurückverfolgt werden sollen, werden viel häufiger Gefs eingesetzt. Technik ist in der Wesenwelt sowieso selten zu finden, Elektronik kann Magie stören oder umgekehrt, je nachdem wie groß oder stark die Energiequellen sind. Mehr darüber wirst du allerdings noch in deiner Ausbildung erfahren.«
In meinem Kopf fügen sich zwei Puzzleteile zusammen - deswegen sind die Lampen kaputtgegangen.
Langsam nicke ich.
Erst nach ein paar Sekunden Stille öffne ich meinen Mund wieder.
»Und warum kennt mich in der Wesenwelt jeder? Bis jetzt war ich doch noch nie ein Teil von ihr.«
»Deine Mutter war ziemlich bekannt, auch wenn sie nicht lange gelebt hat. Deine leibliche Mutter meine ich«,entgegnet Alysanne und einen kurzen Moment überlege ich, ob ich bereit bin, mehr über sie herauszufinden.
Schließlich siegt meine Neugierde.
»Wie war ihr Name?«,frage ich leise.
»Cassana Perez.«
Ich lasse die zwei Worte kurz auf mich wirken, bevor ich die nächste Frage stelle.
»Kanntest du sie?«
Alysanne hebt leicht die Schultern.
»Kennen wäre zu viel gesagt. Ich hab sie nur ab und zu bei Versammlungen und Zeremonien gesehen. Du siehst ihr ziemlich ähnlich«,erwidert sie und mustert mich, so als würde sie es erst jetzt feststellen.
Tausende Fragen schwirren durch meinen Kopf und es fällt mir schwer, die wichtigsten herauszusuchen, da sie mir alle wichtig erscheinen.
»Warum war sie so bekannt?«
»Sie hatte besondere magische Kräfte, sogenannte wilde Kräfte. Vor deiner Mutter gab es nicht einmal einen Namen dafür, sie war der erste bekannte Fall, den es davon gab. Man vermutet, dass es durch bestimmte genetische Faktoren dazu gekommen ist. Normalerweise funktioniert Magie nur, wenn man bewusst auf seinen Magiestrom zugreift. Vorallem Anfänger müssen sich noch sehr stark konzentrieren, um ihn zu finden. Cassana ging es nicht anders, ich hab sogar gehört, dass sie die schlechteste Magierin ihres Jahrgangs gewesen sein soll. Aber wenn sie von starken Emotionen überwältigt wurde, brach es einfach so aus ihr hervor. Sie musste nicht einmal einen Zauberspruch benutzen, konnte allerdings auch nicht kontrollieren, wann und wie es geschah.«
Mein Gesichtsausdruck muss sich während Alysannes Erklärung in äußerste Sprachlosigkeit verwandelt haben, denn sie nickt mir zu, so als wüsste sie genau was ich denke.
»Ja, Miena, du besitzt auch wilde Kräfte.«

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt