Familie ➰

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Amalia saß zusammen mit ihren Eltern auf dem schwarzen Ledersofa im Wohnzimmer. Der Fernseher, der vorhin noch lief, war verstummt. Im Hintergrund spielte leise Weihnachtsmusik. Das Zimmer roch nach den Zimtplätzchen, die zu jeder Adventszeit stets frisch gebacken auf dem gläsernen Wohnzimmertisch standen. In einer Ecke des Raumes strahlte der Weihnachtsbaum in all seiner Pracht. Der rot-goldene Schimmer unterstrich die unwirkliche gemütliche und beruhigende Stimmung im Raum. Denn die Stimmung war momentan ganz und gar nicht weihnachtlich. Sie war eigentlich bedrückend und kühl. Noch nie hatte sie sich so fremd in der Nähe ihrer Eltern gefühlt.

„Und da, mein Spatz, das sind du, André und Jake", ihre Mutter lächelte und deutete auf ein Bild auf einer der Seiten im Fotoalbum. Es war sorgfältig gepflegt und jedes Bild war äußert ordentlich an seinem Platz aufgeklebt. Auf dem Bild sah sie offenbar sich selbst. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so ausgesehen zu haben. Sie hatte dunkle, sogar fast schwarze Haare auf diesem Foto. Sie trug auch recht dunkle Klamotten und hielt sowohl Jake als auch André an ihren Händen. Sie strahlte. André hingegen warf einen skeptischen Blick zu Jake hinüber, welcher ebenso wie Amalia unschuldig in die Kamera grinste. André hatte auf dem Foto ebenfalls fast pechschwarze Haare, doch hatte sie keinerlei Erinnerungen daran, ihren Bruder je mit gefärbten Haaren gesehen zu haben. Er hatte eigentlich, genau wie ihr Vater einst, kräftiges braunes Haar. Nur Jakes früheres Selbst hatte dieselben dunkelblonden Haare, wie auch vorhin.

Amalia huschte ein kleines Lächeln übers Gesicht. „André konnte Jake nie richtig leiden, da er befürchtete, dass er seine kleine Schwester an ihn verlieren würde", klärte ihr Vater sie mit einem Schmunzeln auf. „Aber du hattest sie beide gleich lieb. Jake war für dich mehr als nur ein Freund. Er war dir ebenso ein Bruder wie André es war." Amalias kurzes Lächeln erstarb. „Aber... ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe ihn nicht wiedererkannt, als er vor mir stand. Er war mir völlig fremd... Ich fühlte mich, naja, eher unwohl in seiner Gegenwart. Irgendwie hat er mir Angst gemacht...", Amalia erschauderte bei dem Gedanken an den Jake, den sie heute kennen gelernt hatte. Er war ihr kaltherzig vorgekommen. Roboterartig. Dieser Junge auf dem Foto hatte keine Ähnlichkeit mit ihm, bis auf das Aussehen. Sie war verwirrt. Ihre Mutter blätterte weiter. Einige Fotos fehlten auf den nächsten Seiten. Stets waren Amalia und André zu sehen, doch Jake tauchte nirgends mehr auf. Plötzlich erblickte sie ein Foto, wo ihre Mutter gerade dabei war, ihr die Haare abzurasieren. Amalia sah wütend aus; vor allem traurig. André hatte bereits keine Haare mehr und stand grinsend mit zwei Daumen hoch neben dem Geschehen. „Was ist da passiert?", fragte Amalia misstrauisch. Ihre Mum schluckte schwer. „Das ist der Tag... an dem..." sie stockte und sah hilflos hinüber zu ihrem Dad. Er schüttelte den Kopf. „Das ist der Tag deines Unfalls. Wir haben dir und deinem Bruder die Haare abrasiert, damit man euch nicht erkennt. Wir mussten wieder umziehen. Ihr hattet vorher schwarze Haare, weil wir sie euch gefärbt hatten. Damit sie euch nicht erkennen. Dann bist du auf dei Straße gerannt, weil du so sauer warst und hattest den Unfall. Wir konnten uns das nie verzeihen... Hätten wir das nicht gemacht, wärst du nicht sauer geworden und aus dem Haus gerannt..." Ihr Vater war voller Reue.

Eigenartige Stille breitete sich aus. Amalia fühlte sich nicht wohl. Sie fühlte sich allein. „So kam es zu dem Unfall. Deshalb hast du die Narben am Arm..." Ihre Mutter nickte, sah jedoch nicht auf. Amalia zog ihren Ärmel hoch. Mehrere Narben in ‚X'-Formen zierten ihren gesamten rechten Arm. Es waren bestimmt 10 Stück. „Mum, Dad... wieso habt ihr mir nie etwas gesagt? Wieso habt ihr auch noch André weggeschickt? Als ich die Schule gewechselt habe... ich habe ihn gebraucht... Seht mich an, ihr wisst, wie sehr ich die Schule hasse..." Ihre Eltern warfen ihr einen mitleidigen Blick zu. „Amalia... wir wissen, wie sehr dich das mitgenommen hat und wir wissen auch, wie sehr du deinen Bruder geliebt hast. Allerdings hatten wir keine andere Wahl, um euch beide zu schützen. Das Internat, auf das er geht, ist auf unserer Seite. Wir haben mit der Internatsleiterin einen Pakt geschlossen. Sie ist selbst ein Dämmerlicht. Hätten wir euch beide dorthin geschickt, wärt ihr aufgeflogen. Das Ministerium hätte euch... unschädlich gemacht. Entweder hätten sie euch beseitigt oder... wie Jake, zu einem ihrer Sklaven gemacht." Ihre Mutter sprach das Wort ‚Ministerium' mit Mühe aus. Nun übernahm wieder ihr Vater. „Jake ist genau wie du nicht normal. Er gehört, wie du, nicht eindeutig zur Seite der Nacht. Er hat nicht nur eine Fähigkeit. Und er ist nicht darin beschränkt nur eine jemals zu erlernen. Genau wie du, Amalia. Und genau wie André. Das macht euch unberechenbar und vor allem unkontrollierbar. Ihr stellt eine Gefahr für die Nachtwelt dar, findet das Ministerium. Allerdings stimmt das nicht. Ihr seid einzig und allein eine Gefahr für das Ministerium. Würdet ihr akzeptiert, würden sie die Kontrolle verlieren."

Lost Magic - Sie wissen, dass du anders bist.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt