Ankunft

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Amalia war gerade dabei ihren Koffer zu schließen, als es an ihrer Tür klopfte. „Ja?" Die Tür öffnete sich und im Türrahmen stand ihre Mutter. „Was gibt's, Mum?" Ihre Mutter trug einen warmen grauen Strickpullover und doch wirkte sie, als wäre ihr kalt. Sie hielt ihre Arme fest umschlungen um ihren Körper und schaute trüb drein. Die langen Haare waren lieblos in einen Dutt zusammengesteckt. „Amalia, mein Schatz. Hast du kurz Zeit für mich?", fragte sie, stets im Türrahmen stehend. Verwirrt legte Amalia den Kopf schief. „Klar." Daraufhin setzte sich ihre Mutter zu ihr aufs Bett. Sie schwieg. Plötzlich nahm sie ihre Tochter rasch in den Arm und drückte sie fest. Völlig überrumpelt blieb sie erst einmal starr, bevor sie sie langsam zurückumarmte. Zu ihrer Überraschung spürte sie etwas feuchtes an ihrem Hals. Weinte ihre Mutter etwa? „Was ist denn los, Mama? Ist etwas passiert?" Ein Schluchzen. „Ach mein kleiner Schatz, bitte pass auf dich auf. Gib gut auf deinen Bruder und dich Acht. Versprich mir das!" Amalia runzelte die Stirn. „Aber Mum, wir sehen uns doch bestimmt in den Ferien wieder. Das dauert doch nicht lang." Wieder Stille, wieder schluchzen. „Sarah, Amalia. Sie sind da." Ihr Vater stand plötzlich im Türrahmen. Auch er machte ein bedrücktes Gesicht. Ihre Mutter nickte und löste sich von Amalia. „Hier mein Engel. Das wird dich beschützen und dich an uns erinnern", mit verweinten Augen suchte sie nach einem kleinen Päckchen, was wohl auf ihrem Bett gelegen hatte. Es war länglich und mit schwarzem Samt überzogen. Dann plötzlich stand ihre Mutter auf. „Bitte trage sie zu jeder Tageszeit." Sie wandte sich ihrem Vater zu, dieser nickte. „André wird auf sie aufpassen. Doom hat ihn bestmöglich trainiert. Er weiß Bescheid", murmelte er leise. Amalia stand auf. „Dad?" Er lächelte. „Komm her, meine Kleine. Lass dich drücken."

Wenig später klingelte es ungeduldig. Ihr Vater ging zur Tür. Als er sie öffnete strömte die eisige Kälte von draußen zu ihnen ins Haus. „Hallo, Mister Johansson. Ich möchte ihren Sohn und ihre Tochter abholen. Im Auftrag des Collêge, versteht sich." In der Eingangstür stand ein glatzköpfiger Mann im schwarzen Anzug. Er war mittelgroß und setzte eine ernste Mine auf. Zwei weitere Männer in dunklen Anzügen hielten sich im Hintergrund. „Sicher." Ihr Vater blickte mitleidig zu Amalia und André herüber, die gerade kurz auf der Treppe saßen.

„Kommt schon ihr zwei, es ist Zeit." Ihre Mutter stand zittrig im Türrahmen und starrte den Mann an der Tür an. Amalia wusste nicht, was sie fühlen sollte oder ob sie überhaupt etwas spüren sollte. Sie fühlte sich leer. Roboterartig stand sie einfach auf, zog sich ihren grauen Mantel an und schnürte ihre dunklen Winterschuhe. André war bereits bei ihrer Mutter und umarmte sie fest. Er hatte schon seit einer Weile bereit auf der Treppe neben Amalia gesessen. Nun ging Amalia zu ihrer Mutter und umarmte sie ebenfalls. Als sie sie loslassen wollte, flüsterte sie kaum hörbar in ihr Ohr: „Haltet durch." Verwirrt sah sie ihre Mutter an, doch diese hatte mit den Tränen zu kämpfen.

„Miss Amalia Johansson. Ich muss sie bitten, nun mitzukommen. Ihr Bruder hat bereits ihre beiden Koffer zum Wagen gebracht", ertönte es im strengen Ton hinter ihr. Oh. Das hatte sie nicht mitbekommen. War die Zeit so eilig vergangen? Amalia drehte sich zu ihrem Vater und drückte ihn.

Dann ging sie mit dem Mann, welcher auch zuvor an der Tür geklingelt hat, zum Auto. Einer der beiden anderen Männer öffnete die Tür. Als sie einstieg, hatte André bereits die Augen geschlossen und lehnte am Fenster an. Die Autotür schloss sich. Sie blickte zu ihrem Haus zurück. Sie sah die beiden Männer die Türschwelle überschreiten. Doch es wirkte so, als rückte ihr Haus in weite Ferne. Ein dunkler Schleier legte sich über sie und schon bald verlor sie sich im Schwarzen...

Als Amalia aufwachte, lag sie auf einem Bett. Die bordeaux-rote Tagesdecke war kratzig an ihrer Wange. Sie starrte geradewegs auf eine bleich gestrichene Wand. Sie lag quer auf dem dunklen Holzbett. Ihre Klamotten hatte sie immer noch an. Kraftlos versuchte sie sich aufzurichten, doch alles, was im Bereich des Möglichen lag, war sich auf den Rücken zu drehen. Als sie sich umblickte erschrak sie. Eine Frau in hohen Lackschuhen und engem Etuikleid stand vor ihr. Ihre schwarzen Haare waren zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden. Ihre schwarzen Augen mit dem weiß leuchtenden Ring darin starrten sie förmlich an. Sie stand an einen dunklen Schreibtisch gelehnt. Amalia blickte sich weiter im Raum um. Sonst war er recht klein. Eine Dachschräge, die sich neben dem Schreibtisch hochzog, verbrauchte den meisten Platz. Sonst befanden sich noch zwei Kommoden darin, ebenfalls aus dunklem Holz. Der bordeauxrote Teppichboden wurde von einem schwarzen schnörkeligen Muster verziert. Die Vorhänge am Fenster bei dem Schreibtisch waren ebenfalls im gleichen roten Farbton.

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