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Man sagt, die schönsten Geschichten schreibt das Leben. Aber das stimmt nicht, denn diese Geschichte ist schrecklich.
Schrecklich wahr.
Zwei verdammte Jahre habe ich dabei zusehen können, wie sich Beths Haut immer straffer um ihre Knochen spannte, wie immer mehr Knochen zu sehen waren. Knochen, von deren Existenz ich bis dahin keinen blassen Schimmer hatte.
Ich habe immer wieder weggeschaut. Mir immer wieder eingeredet, es gäbe keine Beweise. Ich habe alles mir Mögliche versucht, um morgen auf übermorgen zu verschieben. Ich habe meiner Freundin beim Sterben zugesehen.
Diese Geschichte ist bedauerlicherweise schrecklich wahr. Sie wurde erst dadurch ermöglicht, dass ich ein egoistisches Miststück bin. Dadurch, dass ich eine Meisterin darin bin, die Realität zu verdrehen, bis das Ergebnis nichts mehr mit der Wahrheit zu tun hat. Gebt mir ein Argument, ich finde mit Sicherheit ein Gegenargument. Gebt mir etwas, was ihr vergessen wollt, ich werde es so erfolgreich verdrängen, dass ihr es nie wieder zu Gesicht bekommt.
In dieser Geschichte wäre morgen niemals die richtige Entscheidung gewesen. Es gibt nur ein jetzt, das zählt. Ein Handeln, so schnell wie möglich.
In den vergangenen Kapiteln erweckte ich den Anschein, morgen sei eine real existierende Person. Das war eine Lüge; denn es gibt diese Person nicht, die einem in den Hintern tritt, wenn man selbst zu schwach ist.
Das Leben ist ein Arschloch. Das Leben ist verdammt nochmal anstrengend. Eben weil man es alleine schaffen muss, weil man selbst die einzige Person ist, die sich die Augen öffnen kann.
Ohne Selbstreflexion und die Akzeptanz der Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben, gibt es keinen Weg, den man beschreiten kann.
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Morgen helfe ich dir, Beth
Short StoryWie meine Freundin an Magersucht erkrankte und ich wegsah, einfach so