Kapitel 11

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Der Wecker riss Hannah aus den Tiefen ihres Schlafes. Irgendwann war sie gestern in ihr Zimmer gegangen, sie wusste nicht mehr, wie spät es war. Es musste aber schon sehr spät gewesen sein, denn so müde, wie sie jetzt gerade war, hatte sie nur etwa eine oder zwei Stunde geschlafen. Gähnend setzte sie sich auf und kletterte dann aus ihrem Bett. Ihr tat alles weh. Sie zog den Vorhang auf und schaute die Wolken an, die sich draußen am Himmel befanden. Gestern war noch schönes Wetter und jetzt das? Regen. Ihre Laune verbesserte sich nicht wirklich dadurch. Sie stapfte zu ihrem Schrank und öffnete ihn.

Was sollte sie jetzt nur anziehen? Immerhin traf sie sich nach der Schule mit Victor im Café, da konnte sie nicht in Jeans und mit einem flatternden Oberteil antanzen wie in der Schule. Dieses Mal konnte es ihr einfach nicht egal sein. Also kramte sie in ihrem Schrank bis sie endlich ihre weiße Lieblingsbluse gefunden hatte. Dazu zog sie sich noch eine dunkle Stoffhose an. Ihre schicke, goldene Uhr und fertig war ihr Outfit. Das musste reichen. Misstrauisch begutachtete sie sich im Spiegel, doch dann schaute sie auf ihre Uhr und musste feststellen, dass sie fast keine Zeit mehr hatte. Sie musste los zum Bus. Schnell stopfte sie ihre Schulsachen in ihre Schultasche und lief damit die Treppe hinunter. Mike saß schon unten und frühstückte. »Guten Morgen, Mike. « »Moghfehn « Er hatte den Mund voll und musste grinsen. Ihr kleiner Bruder. Hannahs Laune besserte sich, denn wenn ihr Bruder nach gestern nicht mehr Angst vor ihr hatte, konnte alles nur noch halb so schlimm sein. »Mom ist schon weg, oder? « Mike nickte. Sie schmiss ihre Tasche in die Ecke und bestrich sich ein Brot. Bevor sie jedoch hinein beißen konnte, schnappte es sich ihr Dad. »Dad, das ist fies! Es war meins! « Jetzt musste Hannah lachen. Schnaufend nahm sie sich eine neue Scheibe und fing wieder an. »Ich fahre euch heute in die Schule, du kannst dir also noch Zeit lassen, Hannah. « Wieso das denn? Wegen...gestern? Wusste ihr Dad jetzt Bescheid? Ihr Dad sah Hannahs verwirrten Blick und erklärte es ihr. »Es regnet, Hannah, und deine Mom hat mich darum gebeten. Außerdem muss ich sowie so in die Stadt. « Okay. Hannah nickte und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Brot zu.

»Viel Spaß euch zwei und seid bitte vorsichtig. «Ihr Dad ließ sie an der Schule aussteigen und fuhr dann davon – in die Richtung nach Hause, nicht in die der Stadt. Er hatte ihnen also nicht die ganze Wahrheit gesagt. Es klingelte gerade, als Hannah vor ihrem Klassenzimmer ankam. Peinlich. Sie hasste es zu spät zu kommen. Nach dem dritten Mal Klopfen öffnete ihr Herr Gimpfel. Sie hat jetzt Mathe! Das hatte sie ganz vergessen. »MissHammont, mal wieder zu spät « »Entschuldigung, Herr Gimpfel, der Regen hat mich aufgehalten. Und eigentlich bin ich gar nicht zu spät, sie haben mir beim Läuten die Türe vor der Nase zu gemacht und...« »Hannah, es reicht, setz dich bitte einfach auf deinen Platz und sei leise. Wir reden nach der Stunde. « »Aber ich habe doch gar nichts gemacht! « »Hannah! Setz dich! « Toll. Jetzt war ihre Laune wieder im Keller.

Sie hasste Herr Gimpfel, denn er triezte sie immer. Müde ließ sie ihren Kopf auf ihre Arme fallen und starrte ihren Tisch an. Die Stunde flog an ihr vorüber und Hannah bekam nichts davon mit. Sie blieb einfach sitzen. Ignorierte jeden, sogar Mirabelle, die mehrmals versucht hatte, sie etwas zu fragen. Irgendwann hatte sie es einfach aufgegeben. Es war ruhig geworden und auf einmal tippte Hannah jemand auf die Schulter. Ruckartig richtete sie sich auf und schaute in die Augen ihres Lehrers. Niemand war mehr da – anscheinend hatte sie das Klingeln überhört. Oder verschlafen, da war sie sich nicht mehr so sicher. »Hannah? Ist bei dir alles in Ordnung? « Er musterte sie besorgt. Hannah nickte und setzte ein künstliches Lächeln auf. Was kümmerte es dem, das ihr Leben gerade zerbrach? »Ja, Herr Gimpfel, es ist alles in Butter. Tut mir leid, dass ich zu spät war. Kann ich jetzt gehen? « Als er ihr nicht antwortete, stand sie einfach auf und verließ schnell den Raum. Draußen traf sie auf Mirabelle. Sie hatte sich neben dem Klassenzimmer an die Wand gelehnt und anscheinend auf mich gewartet. Als Hannah sie so dort sah, musste sie unweigerlich an das zufällige Treffen in der Stadt treffen. Was wollte sie dort? Was war das für ein Umschlag gewesen? Hannah lächelte ihr zu und setzte ihre Unschuldsmine auf.

Mirabelle stieß sich von der Wand ab und kam ihr jetzt entgegen. »Hey Hannah. Du hast ja heute in der Früh ganz schön aufgelegt. Jetzt bessere Laune? « Sie grinste Hannah an und umarmte sie. Hannah nickte und erwiderte die Umarmung.

Der Rest ihres Schultages verlief ohne weitere Zwischenfälle und als es 13:00 war, verabschiedete sie sich von Mirabelle und ging hinaus. Sie schaute sich um, doch nirgendswo konnte sie Victor erkennen. Sie holte ihr Handy aus ihrer Tasche und öffnete den Nachrichten Messenger.

Victor? Ich stehe vor der Schule, kann dich aber nicht finden. Wo bist du?

Sie drückte auf Senden und ging dann zu einer Bank.

Die Wolken hatten sich verzogen und Sonnenstrahlen schienen Hannah aufs Gesicht. Sie fühlte die Wärme und schloss ihre Augen. Sie genoss die Ruhe und vergaß ihre schlechte Laune vom Vormittag. Die leichte Wärme sickerte jetzt in ihren Körper und Hannah versank darin. Sie bekam nicht einmal mit, wie ein Auto auf den Parkplatz fuhr und ein Mann ausstieg. Sie dachte einfach an nichts. Sie merkte auch nicht, wie sich diese Person neben sie auf die Bank setzte und sie anschaute, aber nichts sagte. Hannah konnte nicht sagen, wie lange sie in diesem Zustand verharrte. Irgendwann öffnete sie ihre Augen und als sie Victor neben sich sitzen sah, erschreckte sie sich so, dass sie beinahe von der Bank gefallen wäre. »Oh, ach du scheiße! Vic? Was machst du denn hier?! Was... Wie lange bist du schon da? Ich hab dich gar nicht bemerkt...«Jetzt musste er lachen. »Tut mir Leid, Hannah. Aber ich konnte dich einfach nicht stören bei dem, was auch immer du gerade gemacht hast. Du hast so entspannt und friedlich ausgeschaut. « Was? Oh nein. Hannah merkte, wie ihr die Hitze in den Kopf schoss und sie drehte sich schnell weg, bevor er es sehen konnte, dass sie rot wurde. Leider hatte er es bemerkt und musste jetzt lachen. »Kein Grund gleich rot zu werden, Hannah! Ist ja nicht schlimm. Komm lass uns ins Café gehen. « Er legte ihr die Hand auf die Schulter und stand auf.                                     

Hannah folgte ihm zu seinem Auto und legte ihreTasche hinein. Dann gingen sie zu Fuß in die Stadt. Nach etwa 20 Minuten kamen sie am Café an – es war das Café, bei dem sie Mirabelle beobachtet hatte. Doch Hannah ließ sich nichts anmerken. Drinnen suchten sie sich einen kleinen Tisch und setzten sich. Sofort war die Bedienung da und nahm die Bestellung auf. Als sie endlich alleine waren, nahm Victor einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seiner Tasche und legte ihn vor sich hin. »Also Hannah. Gibt's irgendetwas Neues? « Ob es was Neues gab? Sie musste beinahe sarkastisch lachen. So konnte man es auch nennen. Sie musste schlucken. »Oh ja, das gibt es. « Jetzt hatte sie Victors volle Aufmerksamkeit. Sein fragender Blick motivierte sie  zu erzählen, also fing sie an und erzählte ihm von gestern – vom Treffen mit ihrer Uroma.

Victor machte sich Notizen und hörte ihr zu. Sie stoppte nur einmal, als die Bedienung ihre Getränke brachte. »...und mehr weiß ich nicht. Weißt du, was das Memorial ist? « Victor grübelte, doch dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir Leid. Ich habe zwar den Begriff schon einmal gehört, kann ihn aber gerade nicht zuordnen. « »Macht nichts. « Sie lächelte ihn an um ihm zu verdeutlichen, dass es ihr wirklich nichts ausmachte. Sie redeten noch über mehrere Sachen und schweiften immer wieder vom Thema ab. Irgendwann brachen sie wieder auf und gingen zurück zum Auto.

Er brachte sie heim und verabschiedete sich von ihr. Hannah musste ihm immer und immer wieder versichern, dass sie ihm alles erzählte und Victor versicherte ihr, dass sie ihm hundertprozentig vertrauen konnte.

Müde fiel sie nach dem Duschen in ihr Bett und schlief auf der Stelle ein. Das Letzte, an das sie dachte, war, als sie sich in der Sonne gesonnt und Victor sie beobachtet hatte...

Time-TurnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt