Die Sommerferien sind schlicht und ergreifend das Schlimmste hier auf dem Internat, der London Boarding school for education. Es ist der mit Abstand langweiligste Abschnitt eines jeden Schülerlebens hier, obwohl der Sommer, gerade für hormongesteuerte und partybesessene Teenager, ja eigentlich etwas total Tolles ist. Jede Menge Partys, Mädchen, die mit ihren viel zu kurzen Hotpants jede Menge Haut zeigen, jede Menge Alkohol, jede Menge Sonne und jede Menge gute Laune. Einfach jede Menge Spaß. Es ist der letzte Ferientag der Sommerferien hier in England und ich und meine beiden Freundinnen Maddison und Alice sitzen in der riesigen Schulbücherei, das mit Abstand Beste hier in diesem Internatsgebäude. Zur Abwechslung regnet es heute mal nicht und die Sonne strahlt in jede Ecke des wirklich großen Grundstückes . Am kommenden Montag fängt das neue Schuljahr an, was für mich, Maddison und Alice bedeutet, dass wir in die 9. Jahrgangsstufe kommen. Natürlich bin ich schon bestens vorbereitet und habe mir schon die Bücher für die 9. Klasse besorgt. Auch über den Stoff habe ich bereits ein Auge geworfen und ich habe das Gefühl, das kommende Schuljahr wird vom Notendurchschnitt her eines meiner besten, das ich je hatte. Was soll man auch schon anderes machen, wenn man die gesamten 6 Wochen der Ferien auf dem Internat verbringen muss? Ja, richtig gehört. Ich zähle zu den bemitleidenswerten Leuten hier, die nicht mit ihren Eltern oder ihrer Familie verreist sind. Während andere Bewohner hier mit ihren Familien Dinge unternehmen, verreisen und einfach Zeit miteinander verbringen können, sitze ich jeden Tag in der Schulbücherei und schreibe Gedichte oder lerne einfach nur. Während andere Jugendliche sich dann am Strand begnügen, auf Partys gehen und sich fast totsaufen, muss ich mich dann wohl mit Büchern und dem Geruch von alten Internatsmöbeln zufrieden geben, statt dem Geruch von Sand und Meer. Aber ich komme damit klar, zumindest weil ich hier ja nicht alleine bin. Auch Maddison, meine beste Freundin, bleibt über die Ferien hier und mit ihr ist eigentlich alles ziemlich amüsant. Maddison ist schon zwei Jahre früher als ich auf der London boarding school for education. Ich bin erst seit genau einem Jahr hier und wurde damals von ihr in den Alltag des Internats eingewiesen. Sie war meine erste richtige Freundin hier und seitdem sind wir wirklich unzertrennlich. Maddison kommt aus einer verlassenen und abgekommenen Gegend in der Nähe von Bristol und ihre familiären Verhältnisse lassen deutlich zu Wünschen übrig, das liegt wohl vor allem an dem übermäßigen Alkoholkonsum ihrer Mutter. Sie ist freiwillig hier her gekommen, im Gegensatz zu den Meisten hier. Viele sind einfach nur hier, weil ihre Eltern zu wenig Zeit, dafür aber deutlich zu viel Geld haben, und deshalb ihre Kinder hier herschicken. Ich bin ebenfalls freiwillig hier, das liegt aber nicht daran, dass es mir zuhause schlecht ging, im Gegenteil sogar. Ich bin hier, weil ich Abwechslung brauchte, Abwechslung von meinem eigenen Leben. Auch der Tod meines Vaters vor etwa einem Jahr hat mich ziemlich aus der Bahn gerissen und zu Hause waren einfach zu viele Einflüsse, die mich an ihn erinnerten. Meine Mutter war natürlich erst einmal schockiert als sie von meinen neuartigen Plänen hörte, und auch mein kleiner Bruder Charly war wirklich traurig, aber sie haben es akzeptiert, wofür ich ihnen unendlich dankbar bin. Der Abschied fiel mir wirklich schwer damals, doch ich habe mich hier sehr schnell eingelebt und fühle mich immer wohl. Außerdem bin ich hier, um einen guten Schulabschluss zu machen, denn das war mir schon immer wichtig. Die Schüler hier haben jedes zweite Wochenende die Chance, nach Hause zu ihren Familien zu gehen und das Wochenende mit ihnen zu verbringen, ich allerdings bin häufig mit Lernen und Lesen beschäftigt, sodass meine Mutter es gewohnt ist, nur ein paar Nachrichten von mir zu erhalten, wo ich ihr erkläre, dass es mir gut geht und dass sie sich keine Sorgen machen muss. Das tut sie nämlich oft.
Alice ist ebenfalls eine sehr gute Freundin von mir, obwohl sie erst seit gut einem halben Jahr hier ist. Sie ist recht schüchtern und hat Probleme damit, neue Bindungen einzugehen, weshalb sie, denke ich, ganz froh ist, dass sie zumindest Maddison und mich hat. Alice kommt aus Schottland und auch auch in ihrem Fall war es ihr eigener Beschluss, auf das Internat zu kommen. Ihr Vater ist Anwalt und ihre Mutter Journalistin, die den ganzen Tag um die Welt reist und somit haben beide Elternteile wenig Zeit für sie. Auch ihre ein Jahr jüngere Schwester Jane ist hier auf dem Internat. Somit sind wir also während der gesamten Sommerferien auf dem Internat gewesen und verweilen in der Bücherei, wirklich jeden Tag, außer es war mal, was hier recht selten vorkommt, ein sonniger Tag. Dann saßen wir meistens auf der großen Rasenfläche, die normalerweise für das Hockeyspielen gedacht ist. Heute allerdings war ein besonderer Tag. Nicht nur, weil es mal nicht regnet, nein, heute herrscht wieder für alle Schülerinnen und Schüler Anwesenheitspflicht. Das heißt, dass alle Bewohner wieder auf das Internat zurückkehren, wo auch immer sie sich während des Sommers herumgetrieben haben. Die Bücherei ist, bis auf sehr wenige Ausnahmen, komplett leer und es ist so still, dass man das Umblättern jeder Seite, jedes Buches von jedem Leser hören könnte. Alice ist damit beschäftigt, ihren Skizzenblock mit Gesichtern vollzukritzeln, das ist ihr neuestes Ding. Sie übt, die verschiedensten Gesichtsausdrücke auf Papier zu bringen, was ihr bis jetzt wirklich gut gelingt . Ich bewundere sie insgeheim, aber egal wie oft ich ihr das sage, sie streitet es jedes mal auf Grund ihrer eingetrichterten Bescheidenheit ab. Ihre schokoladenbraunen Haare sind zu einem Dutt zusammengebunden und es sieht wirklich großartig, in Verbindung mit der porzellanfarbenen Haut. Maddison schreibt ein neues Musikstück für ihren Klavierunterricht bei Miss Ashton, und darin ist sie wirklich gut. Sie komponiert eigene Lieder, die sich immer ziemlich professionell anhören und worauf sie auch immer sehr stolz ist. Ich schreibe mal wieder eines meiner unsinnigen Gedichte von bedingungsloser Liebe und Versprechen für die ewige Treue, über die erste große Liebe, über Herzschmerz. Wie gesagt, wirklich kitschig und sinnlos, vor allem,weil ich noch nie in meinem ganzem Leben so richtig verliebt war. Klar, gab es mal die ein oder andere Schwärmerei in der Grundschule, aber mehr als das war es nicht. Ich habe noch nie eine Person richtig geliebt, geschweige denn begehrt und ich hatte auch nie wirkliches Interesse an Beziehungen.
Alice ist seit ein paar Monaten mit einem Junge namens Ben zusammen und Maddison ist zur Zeit single, genauso wie ich. Ich bin aber ehrlich gesagt auch ganz froh nicht verliebt zu sein, das würde mich und meine Moral komplett aus der Bahn werfen und außerdem bin ich viel zu beschäftigt dafür. Ich bin schon genug mit mir selbst beschäftigt, wie soll ich da jemand anderen lieben können?
Als ich seufzend mein schwarzes, abgenutztes Notizbuch zuschlage und meinen Kopf auf den Tisch ablege, wirft mir Maddison einen fragenden Blick zu, ist dann aber wieder sofort in ihre Noten vertieft. Auch Alice schaut mich verwundert an, streichelt mir dann aber nur fürsorglich über den Kopf und grinst mich an. "Ich glaube, du solltest aufhören so viel über die Liebe zusammenzudichten und dein poetische Ader mal ein bisschen zurückhalten." schmunzelt sie, und findet es scheinbar amüsant wie nachdenklich ich zur Zeit bin. Ich wurde dieses Jahr fünfzehn Jahre alt und ich war noch nie so richtig verliebt. Wie kann das noch normal sein? "Ich glaube einfach nicht, dass das normal ist, dass ich noch nie einen Menschen begehrt habe. Dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der mir den Kopf verdreht hat. Das kann nicht normal sein." murmele ich und wieder muss Alice lachen. Maddison kichert ebenfalls und ihre langen, rotbraunen Haare fallen ihr über die Schultern als sie den Kopf anhebt und ihr Blatt Papier aus dem Collegeblock reißt. "Sei froh, zumindest hast du noch kein gebrochenes Herz im Gegensatz zu den meisten Leuten in deinem Alter." sagt sie und Alice nickt zustimmend. "Ist okay, danke für die Moralpredigt." stöhne ich genervt und will gerade mein Notizbuch in meine Tasche stecken, als mich ein schrilles Kreischen, das direkt auf uns zukommt, so sehr erschreckt, dass ich es fallen lasse. "Meine Babyyyss!" schreit das dunkelblonde, braungebrannte Etwas namens Amy Baker und rennt dabei direkt auf unseren Tisch zu. Wir kassieren einen bösen und verwarnenden Blick von der grimmigen Bibliothekarin Miss Shaver und alle Augen sind auf Amy gerichtet, dessen Oberweite sich während der Ferien wohl auf das doppelte vergrößert hat, zumindest scheint es so, als sie fast schon provokant und wie ein Model auf uns zugeschlendert kommt. Ihre Figur gleicht dem eines Victoria Secret Models und man könnte behaupten, sie sei der weibliche Jahrgangsschwarm. Wirklich jeder Junge würde sofort und ohne groß zu zögern mit ihr etwas anfangen. "Ich habe euch ja so vermisst, meine Süßen." ruft sie und grinst dabei wie eine Irre. Wie kann man nur so gut gelaunt sein? Grinsend nimmt sie auf dem leeren Stuhl neben mir Platz und sie klopft erwartungsvoll mit ihren langen, rot lackierten Fingernägeln auf den hellen Holztisch. Sie ist schon genauso lange hier wie Maddison und ist auch eine gute Freundin von mir, obwohl wir so unterschiedlich sind. Ihre lockigen Haare harmonieren mit ihrer karamellfarbenen Haut und mir wird mal wieder bewusst, dass vor uns die wandelnde Perfektion sitzt. Amy Baker ist und bleibt einfach perfekt. "Ihr glaubt nicht was für unglaublich heiße Typen es in Madrid gab..." seufzt sie verträumt und ich würde alles darauf setzen, dass sie mit mindestens einem ihrer Latino-Liebhaber rumgemacht hat. Ich bin im Gegensatz zu Amy, Maddison und Alice noch Jungfrau und hatte noch nie irgendwelchen Kontakt zum anderen Geschlecht, was ich allerdings auch nicht bereue. Ich will mir eben Zeit lassen und auf den Richtigen warten. Maddison verdreht, genervt von Amys Erzählungen, die Augen, und auch Alice scheint ziemlich abgefuckt davon zu sein. "Und?", fragt sie,"wie waren eure Ferien so?" Sie kramt in ihrer viel zu großen blauen Tasche nach ihrem Taschenspiegel und vergewissert sich, ob ihr perfekt gelungenes Make-Up noch sitzt. Sie weiß genau, dass sie mal wieder unwiderstehlich aussieht. Als sie meinen kritischen Blick bemerkt, lächelt sie nur stumm und wendet sich dann wieder an Maddison, die gerade von ihrem neuen Stück berichtet, wird dann aber von ihr unterbrochen. "Ihr seid ja echt Langweiler, meine kleinen Bücherwürmer." kichert sie, und ich hoffe für sie, dass sie das jetzt nicht ernst gemeint hat, ansonsten kriegt sie heute abend ausschließlich meine ignorante Seite zu Gesicht. "Nur weil du den ganzen Sommer auf Partys verbracht hast und mit Alkohol beschäftigt warst?" fragt Alice mit einem sarkastischen Unterton und auch sie packt ihren Zeichenblock und ihre Stifte zusammen, gefolgt von Maddison. Amy lacht nur und auch sie steht auf und schiebt ihren Stuhl wieder an den scheinbar uralten Holztisch. Als ich einen prüfenden Blick aus dem Fenster werfe, erkenne ich viele Schülerinnen und Schüler wieder. Die meisten begrüßen gerade ihre Freunde oder verabschieden sich von ihren Familien. Maddison, Amy und Alice begeben sich schon Richtung Ausgang, um auf unser Zimmer zu gehen, doch ich bleibe noch, völlig in meine Traumwelt versunken, am Fenster stehen und beobachte die Bewohner auf dem Rasen vor dem Gebäude. Ich sehe unzählige Paare, die sich verliebt anstrahlen und sich leidenschaftlich küssen, in die Arme nehmen. Dieses Jahr muss einfach etwas Spannendes passieren. Ich brauche Abenteuer. Ich brauche Spannung. Ich brauche Erinnerungen, unvergessliche Momente. Ich lehne mich gegen die Wand und schließe die Augen. "Es muss einfach etwas passieren." flüstere ich hoffnungsvoll und mir entweicht ein leises Seufzen. Das muss es einfach.
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Poison boy
RomanceWas passiert, wenn das Gute auf das Böse trifft, das Licht auf die Dunkelheit, der Himmel auf die Hölle? Was passiert, wenn Engel auf Teufel trifft? Richtig, ein großes, wunderbares Chaos entsteht. "He is always-always- in my mind; not as a pleasur...