Saturday, 7:30 PM

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Wir bahnen uns einen Weg durch die unglaubliche Menschenmasse, die auf dem ganzen Grundstück verteilt ist. Ich habe das Gefühl, dass ich mich heute Abend mindestens einmal in diesem wirklich unglaublich großem Getummel verlaufen werde. Das Haus ist in vielen Räumen beleuchtet und es dröhnt laute Musik heraus. Ich bewundere noch immer das gigantische Anwesen mit all den vielen Menschen und Lichtern. Wir haben mittlerweile die Hälfte des Weges hinter uns. Weiter bestaune ich, wie unterschiedlich die Leute hier alle sind. Sie sind alle etwa in unserem Alter, jedoch unterschiedlicher Ausstrahlung. Einige Menschen, die unter einer großen Eiche sitzen und den Klängen einer Akustikgitarre lauschen. Einige, die einfach auf der Wiese sitzen und Bier trinken. Manche stehen auch einfach nur herum und unterhalten sich. Viele liegen sich bereits betrunken in den Armen. Um diese Uhrzeit? Es ist nicht mal acht Uhr.
Als Amy plötzlich an einer Gruppe von Leuten stehen bleibt, bin ich zuerst verwundert, erkenne dann jedoch einige Gesichter. Es sind ein paar protzige Typen aus unserem Internat, zusammen mit ein paar knapp bekleideten Mädchen, die mir allerdings nicht bekannt vorkommen. Scheinbar kommen sie nicht von hier.  Die Typen sind alle blond und groß und haben einen kräftigen, aber muskulösen Körperbau. Sie begrüßen Amy mit einer Umarmung, nicken mir und Maddison jedoch nur kurz zu, worüber ich auch ehrlich gesagt froh bin. Diese schmierigen Typen sollen mich bloß nicht anfassen. Als sie Amy einen roten Becher in die Hand drücken und sie an diesem ohne zu zögern sofort nippt und anschließend wie ein Honigkuchenpferd grinst, runzel ich verwundert die Stirn. "Was war da drin?" frage ich Maddison verdutzt. Ich achte darauf, nicht zu laut zu sprechen. Maddison antwortet mir nicht und reißt ihr stattdessen gierig den Becher aus der Hand. Sie trinkt einen großen Schluck daraus und lächelt Amy danach genüsslich an. "Gut, oder?" Sie kichert. Maddison nickt und nimmt gleich noch einen Schluck. Es wird immer voller und lauter und ich will ehrlich gesagt nicht weiter hier draußen herumstehen, ich möchte einen Blick in das riesige Haus werfen. Meine Neugier überkommt mich also mal wieder. Ich seufze. Amy bemerkt meine Ratlosigkeit und hält mir den Becher vor die Nase. "Jetzt du, Raven!" Richtig, jetzt du, Raven!
hallt es in meinem Kopf mehrere Male. Oh nein. Ich werde garantiert nicht trinken. Was ist da überhaupt drin? Was auch immer sich in diesem roten Becher befindet, ich werde es nicht runterbekommen. Ich habe noch nie Alkohol getrunken und habe definitiv nicht vor, auf einer irgendeiner Party, mit irgendeinem billigen Vodka meinen Einstieg in die Welt der Spirituosen zu wagen. Amy schaut mich flehend an, ich schüttele jedoch nur heftig mit dem Kopf. Ich greife zwar nach dem Becher, allerdings nur um daran zu riechen. Vorsichtig schnuppere ich an der durchsichtigen Flüssigkeit im Becher. Kann es sein, dass es auf jeder Party diese roten Becher gibt?
Der Geruch sticht extrem in der Nase, mit viel Mühe kann man allerdings einen Hauch von künstlicher Vanille wahrnehmen. Scheint Vodka zu sein. "Was ist das für ein Zeug?" frage ich angewidert und rümpfe die Nase. Amy lächelt stolz. "Vanilla Vodka, das beste Getränk hier weit und breit."
"Wenn jeder Alkohol so riecht, dann werde ich das Zeug wohl für immer  verabscheuen." kichere ich. Maddison und Amy verdrehen erst ihre Augen, lachen aber dann. Beide nehmen noch einen kräftigen Schluck. Wenn ihr Konsum innerhalb der nächsten Stunden noch weiter ansteigt, wird das keine angenehme Zeit hier. Amy drückt den Becher wieder in die Hand von einen der schmierigen Machos und küsst ihn kurz auf die Wange. Daraufhin johlen sie dem Glücklichen zu  und klopfen ihm auf die Schultern. Er wird rot.
Als wir endlich unseren Marsch in das Hausinnere fortführen, greife ich nach der Hand von Maddison. Ich werde immer nervöser, es sind einfach zu viele Menschen hier und wenn das so weitergeht drehe ich durch. Sanft drückt sie meine Hand. "Komm runter, es wird alles gut." Ich weiß, dass Ihre Worte nur lieb gemeint sind, allerdings kann ich ihnen nicht wirklich glauben. Wir laufen über die Wiese, direkt auf einen riesigen Pool zu. Um ihn herum sitzen viele Menschen, die ihre Beine und Füße in ihn baumeln lassen und mit dem Wasser herumspritzen. Ich mache einen großen Bogen um die Reichweite der Spritzer und hoffe, dass mein neues, weißes Kleid nicht nass wird. Unmittelbar neben dem Pool befindet sich eine kleine, provisorische Getränkebar, bestehend aus einem langen, einfachen Tapeziertisch, auf den Maddison und Amy natürlich sofort zusteuern - und mich im wahrsten Sinne des Wortes mitschleifen. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?
Jetzt komm' schon, Raven... Trink' doch einfach mit, sei nicht so ein Spaßverderber.
Mein innerer Teenager ist also auf der Jagd nach Sünden, wie ich merke. Naja, vielleicht ist ja heute wirklich der Tag gekommen, an dem Raven Scott aus sich herauskommt und endlich mal ein paar Gläser Alkohol intus hat, sich locker macht. Normales Teenagerleben halt. Schließlich muss sich ja irgendwann mal was ändern, das habe ich selbst so beschlossen. Kaum habe ich meinen stillen und heimlichen Gedankengang beendet, wird mir auch schon ein roter Plastikbecher in die Hand gedrückt. Das war also die Antwort auf meine Frage. Ja, heute werde ich es tun. Kein zurück mehr. Die Flüssigkeit ist mal wieder durchsichtig, also wahrscheinlich Vodka. Okay, jetzt oder nie. Ich atme tief durch, setze meine Lippen an den Becherrand, schließe die Augen und bete insgeheim darum, dass er nicht wirklich so übel schmeckt, wie einem Vodka halt beschrieben wird. Starker, hochprozentiger Alkohol, der wie Feuer in der Kehle brennt und eigentlich niemandem richtig schmeckt, nur dazu da, um möglichst schnell betrunken zu werden. Ich ignoriere die Spur von Angst und nehme rasch einen kräftigen Schluck. Meine Übermut wird nicht belohnt, im Gegenteil. Meine Hals brennt wie Feuer und dort macht sich ein Würgereiz breit. Meine Augen fangen an zu tränen und ich spucke mehrmals auf den Rasen, nur um diesen widerlichen Nachgeschmack des trinkbaren Höllenfeuers aus meinem Mund zu bekommen. Wie kann man so ein schreckliches Zeug nur trinken? Maddison scheint meinen gescheiterten Versuch, dem Club der anonymen Alkoholiker beizutreten, bemerkt zu haben, denn sie kichert amüsiert. ,,Wirklich süß, Raven."
Auch sie hält, genauso wie Amy und gefühlt jeder andere auf dieser Veranstaltung, einen roten Becher gefüllt mit dem ungenießbaren Teufelsgebräu in der Hand. Noch immer frage ich mich, wie man so etwas genießen kann. Ich seufze und stelle den Becher zurück auf den Tisch. Maddison streicht mir liebevoll über den Rücken, lacht allerdings immer noch. ,,Das üben wir noch.", verspricht sie mir mit einem Augenzwinkern. Ich schenke ihr ein sarkastisches Lächeln. ,,Na super, noch mehr von den Zeug?"
Ihr Lächeln wird breiter. "Was hast du denn gegen das Zeug? Ich finde es eigentlich ganz gut im Vergleich zu dem anderen Scheiß, den die hier manchmal anbieten. Was Alkohol angeht ist Ethan wirklich vorsichtig.", erklärt sie mir, "liegt wohl daran, dass er nicht so gute Erfahrungen damit gemacht hat in seiner Vergangenheit."
Ethan? Meint sie damit vielleicht den Gastgeber?  Ich werde neugierig. "Ethan?"
Ihre Augen werden plötzlich groß und eine Spur von Verwunderung ist darin zu erkennen. "Du kennst Ethan Crapp nicht?", fragt sie dann lachend. "Das ist der Gastgeber hier, ein ziemlich guter Freund von Hiko." Hiko wohnt ebenfalls in der London boarding school, genauso lange wie Maddison und Amy, und ich verstehe mich relativ gut mit ihm. Er ist ein eher zurückhaltender, aber weiser Mensch und man kann gut über alle möglichen Dinge mit ihm reden. "Hab' ihn nur ein paar mal gesehen, aber er scheint wirklich nett zu sein.", ergänzt sie. Das heißt diesem Typen gehört das gesamte Anwesen hier? Ich hoffe, er ist nicht so ein reicher, geiziger Schnösel, wie man es aus Filmen kennt. Aber, wenn das hier seine Party ist, müsste er dann nicht mitten im Getümmel stehen und sich mit den anderen Leuten unterhalten? Sind das überhaupt alles seine Freunde? "Ist er hier draußen irgendwo?", frage ich Maddison verwundert. Sie nippt kurz an ihrem Becher und runzelt die Stirn. "Glaube ich nicht. Der sitzt wahrscheinlich drinnen in seinem Zimmer und zockt mal wieder." vermutet sie und zuckt mit den Schultern. Ein Gastgeber, der nicht selbst an der Party teilnimmt? Wo gibt es denn sowas? Plötzlich muss ich an Mr. Gatsby aus dem Roman Der große Gatsby denken. Ob dieser Ethan also auch so introvertiert ist? "Man kann ihn gut an seinem rot-schwarzen Iro erkennen, den sieht man von tausend Metern Entfernung." kichert Maddison. Ich stimme in ihr Lachen ein. "Hey, wo ist eigentlich Amy?" fragt sie mich plötzlich. Ich sehe mich nach ihr um und analysiere kurz das Grundstück. Amy steht neben einer Gruppe von Jungs, alle mindestens zwei Köpfe größer als sie. Es sind die Jungs von vorhin, erkenne ich. Sie hat ihren Arm um die Schulter eines Jungens gelegt und schmachtet ihn sichtbar angetan an. Ich erkenne den gut gebauten blonden  Kerl  .Es ist Blake Mephews, der Quarterback des Footballteams unseres Internats. Er ist der männliche Jahrgangsschwarm und mit seinen braunen Augen und dem Sunnyboy Lächeln scheint es so, als sei er auf dem Weg, das neue Calvin Klein Unterwäsche zu werden. Es ist offensichtlich, dass Amy eine kleine Schwärmerei für ihn entwickelt. Vielleicht auch eine etwas größere Schwärmerei, als sie es zugibt. Ich rolle mit den Augen." Hat dieses Mädchen nichts anderes im Kopf als Flirten? ", frage ich Maddison lachend. Sie grinst und sieht zu ihr herüber. "Naja, es ist Blake. Lassen wir sie mal machen." Es kommt mir so vor, als würden wir über einen kleinen Welpen reden, wenn wir uns über die  übermäßige Flirtaktivität von Amy unterhalten. Wieder muss ich lachen. Wirkt der Alkohol etwa schon? Der kleine Tropfen wird doch wohl nicht gewirkt haben... Als ich mich zu Maddison umdrehe , sehe ich vom Weiten, wie sie sich mit zwei großen Typen , etwa in unserem Alter, unterhält. Der Größere von beiden ist mindestens 1,90 Meter groß und trägt blondes Haar. Als ich mir den etwas kleineren genauer ansehen will, muss ich zweimal hinschauen. Er hat einen schwarz-rot gefärbten Irokesen-Haarschnitt und trägt ausschließlich schwarze Kleidung. Genauso  wie Maddison den Gast-... Oh ,warte. Das muss wohl Ethan sein, der Gastgeber und Hausbesitzer. Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, ich sei nicht ein wenig eingeschüchtert vom ersten Eindruck der beiden Typen. Ich sehe mich nervös um und hoffe, dass ich mich  unbemerkt aus dem Sichtfeld der drei schleichen kann. Doch zu spät - Gerade in dem Moment, als ich mich nach einem Rückzugsort umsehen wollte, dreht sich Maddison um und zeigt mit ihrem Finger auf mich. Die Blicke der Jungs folgen, woraufhin ich nur nervös und unsicher winke und kurz lächele. Maddison winkt mich zu ihnen. Okay Raven, rede mit ihnen. Du musst neue Kontakte knüpfen und Spaß haben...Spaß haben...einfach nur Spaß haben. 

Poison boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt