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Ein schrilles, nervtötendes Piepen riss Jason aus dem Schlaf. Acht Uhr, zeigten die roten Leuchtziffern des digitalen Weckers an.

"Verfluchtes Mistding." fluchte er leise.

Seit Tagen konnte er nur noch sehr schlecht schlafen, was vermutlich mit dem Umzug zusammenhing. Das Bett neben ihm war leer. Anna war also schon bei der Arbeit. Sie war Krankenschwester und musste deshalb meistens früher raus, als ihr Mann. Dieser taumelte nun ins Badezimmer. Eine kalte Dusche ließ Jason wieder einigermaßen wach werden. Nachdem er die Rasur halbwegs unverletzt überstanden hatte, musste er in der Küche lächelnd feststellen, dass das Frühstück schon für ihn bereitstand. Zufrieden nahm er Platz. Er schaltete den Fernseher ein und erwartete den üblichen Schwachsinn. Doch dieses Mal war es anders. Zu sehen war eine Luftaufnahme von einer Menschenmenge, darunter der Schriftzug "Schwere Ausschreitungen in London". Nun erinnerte sich Jason auch an die Sondermeldung am vorherigen Abend. Die Kamera fuhr näher ans Geschehen heran. Mark konnte jetzt deutlich den Trafalgar Square erkennen. Unten war die Hölle los. Mehrere Gebäude standen in Flammen, Menschen rannten wild durcheinander und fielen übereinander her. Eine ganze Gruppe griff einen alten Mann an und schlug auf ihn ein. Polizisten versuchten verzweifelt die Leute, die wie Raubtiere auf sie zu liefen, mit den Einsatzschilden und Schlagstöcken auf Abstand zu halten. Man konnte sogar sehen, wie ein langhaariger Mann eine riesige Menge Blut gegen eines der Schilde spuckte. Das waren keine "gewöhnlichen" Krawalle, wie man sie sonst gesehen hatte. Die Leute schmissen nicht mit Molotow-Cocktails oder Steinen und schwenkten auch keine Fahnen. Sie waren auch nicht vermummt. Das waren Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung, die jetzt wie wilde Tiere durch die Straßen Londons stürmten. Und sie verhielten sich nicht einmal mehr wie Menschen. Die verzerrten, blutverschmierten Gesichter, die ruckartigen Bewegungen und das furchtbare Geschrei machten aus ihnen perfekte Figuren für einen Horrorfilm. Und jeder, über den diese Berserker hergefallen waren, war entweder tot, oder wurde selbst zum tobsüchtigen Verrückten. Jason wusste schon, was los war, bevor es im Fernsehen überhaupt angesprochen wurde. Das Bild zeigte nun auch andere Orte in London. Es war überall das Selbe: Menschen flüchteten vor diesen Kreaturen, Polizisten versuchten sie aufzuhalten. Ganze Straßenzüge brannten. Der Fahrer eines Feuerwehrfahrzeuges geriet offenbar in Panik und raste auf einer Kreuzung direkt in eine Menschenmenge. Als der Wagen zum stehen kam, wurde die Frontscheibe eingeschlagen und die Insassen von den Tobsüchtigen hinausgezerrt. Die Polizei begann auf die Leute zu schießen, was die Angreifer aber nicht aufhielt. Ein paar von ihnen gingen zu Boden, doch schon bald hatte die Meute die Männer überrumpelt. Alles war so brutal, dass es fast schon nicht real wirkte. Nach einiger Zeit wurde in ein Studio, zu einer Nachrichtensprecherin geschaltet.

"Die seit den frühen Morgenstunden andauernden gewalttätigen Ausschreitungen haben sich mittlerweile auf weite Teile Londons ausgebreitet. Nach Angaben der Polizei wurde die Königsfamilie evakuiert. Auch der Premierminister soll sich nicht mehr in der Stadt aufhalten. Unseren Außenkorrespondenten können wir seit einigen Stunden nicht mehr erreichen."
Die Frau machte eine kurze Pause und sprach dann weiter:

"Wie ich soeben erfahren habe, ist es uns gelungen, eine Telefonverbindung zum Pressesprecher der Londoner Polizei herzustellen. Herr Carter, was wird die Polizei tun, um der Gewalt ein Ende zu bereiten?"

"Die Londoner Polizei ist für derartige Situationen bestens ausgerüstet und wird die Lage bald unter Kontrolle bringen. Die Bevölkerung wird dringend gebeten, ihre Häuser bis dahin nicht zu verlassen."

Im Hintergrund waren nun Schüsse zu hören.

"Ist es möglich, dass die Randalierer eine Art ansteckende Krankheit haben?"

"Das würde auf immerhin das Verhalten dieser Leute und die schnelle Ausbreitung erklären. Wir halten so etwas sogar für sehr wahrscheinlich. Spekulationen helfen uns aber nicht weiter. Ziel ist es, die Stadt so schnell wie möglich zu sichern", antwortete der Mann.

Ein kurzer Blick auf die eingeblendete Uhrzeit erinnerte Jason daran, dass er zur Arbeit musste. Er schaltete den Fernseher aus und zog sich den Mantel über. Die Sache in London ging ihm aber nicht aus dem Kopf. Er hoffte, dass die Polizei halten würde, was sie versprach. Vor allen Dingen würde er noch seinen Bruder Evan anrufen müssen, der in der Nähe von London stationiert war. Eilig schloss er die Tür hinter sich. Sie wohnten im obersten Stock des Gebäudes. Die Wohnung gegenüber stand schon lange leer, genauso wie die in den beiden unteren Stockwerken, mit Ausnahme der von John, der direkt unter ihnen wohnte. John war schon seit dem Einzug von Anna und Jason mit der Familie befreundet. Die ständige gute Laune und der Humor des Nachbarns machten es fast unmöglich, ihn nicht zu mögen.

Im Büro machte sich Jason zuerst einen Kaffee. Es dauerte nicht lange, bis Luke auftauchte, ein ungefähr einmetersechzig kleines Nervenbündel, das nun aufgrund der aktuellen Ereignisse zu explodieren drohte.
"Jason, du hast doch sicherlich von den Dingen in London gehört. Ich sag dir was, da ist die Kacke am dampfen! Ich sag's dir, da stecken bestimmt die Terroristen dahinter! Du weißt schon, biologische Waffen und sowas. Die bringen uns alle um! Jason!"

Bevor Jason zu Wort kommen konnte, gesellte sich Nicole zu der kleinen Diskussionsrunde. Jason war froh, sich nun nicht alleine mit dem nervenden Luke abgeben zu müssen.
"Ich hab' gerade mit meiner Freundin telefoniert. Die ist gerade in London. Von wegen, alles unter Kontrolle! Die Leute drehen da komplett durch und die Polizei ballert auf alles, was sich bewegt. Morgen nehm' ich die Kinder und fahre zu meiner Schwester aufs Land." Nicole klang wirklich besorgt. Und das war besorgniserregend. Wenn ein Spinner wie Luke den Weltuntergang prophezeite, war das nichts, worüber man sich Sorgen machen musste, aber wenn schon vernünftige Leute wie Nicole über Flucht nachdachten...

Aber wahrscheinlich machte er sich zu viele Gedanken und alles war am Ende wieder harmloser als es aussah. Trotzdem wollte er nicht alles als Panikmache abstempeln.

London Has FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt