Der Traum

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Nachdem ich alles für die Party vorbereitet hatte, kamen die ersten Gäste. Die meisten kannte ich nur vom Sehen. Aber sie schienen mich alle zu kennen. So wie es aussah, war es für sie wohl eine große Ehre, auf meine Party eingeladen worden zu sein.
Als ich den nächsten Gast erblickte, begann mein Herz, schneller zu schlagen. Es war Gabriel! Er hatte sich in Schale geworfen und kam jetzt grinsend zu mir herüber.
„Coole Party", meinte er. „Ich hätte früher schon zu deinen Partys kommen sollen. Denn da habe ich echt was verpasst."
Ich lächelte und wickelte verlegen eine Haarsträhne um meinen Finger. „Naja, so toll sind sie nun auch wieder nicht. Ganz normale Partys eben."
„Seit wann bist du denn so bescheiden?", fragte er und sah mich stirnrunzelnd an. „Oder war dein eingebildetes Getue etwa nur Fassade?"
Ich zuckte die Achseln. „Naja, vor dir muss ich mich jetzt nicht mehr verstellen. Du kennst die Geschichte."
Er nickte. „Ich bin froh, dass du mir jetzt vertraust." Da strich er mit seiner Hand über meine Wange und beugte sich vor, um mich zu küssen.
Für einen Moment lang genoss ich den Kuss. Aber dann fiel mir wieder ein, was ich eigentlich in der Menschenwelt zu suchen hatte. „Gabriel, ich kann das nicht. Tut mir leid."
„Hat es etwas mit deinem Geheimnis zu tun?", fragte er und sah mich mitfühlend an. „Du kannst es mir wirklich sagen."
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe die Zeit an meiner alten Schule längst hinter mir gelassen."
Aber er schien nicht zufrieden zu sein. „Von diesem Geheimnis rede ich nicht. Ich rede von deinem Leben in der Schattenwelt."
Mir gefror das Blut in den Adern, als ich dieses Wort hörte. Woher wusste er davon? Er durfte es nicht wissen! Ich war verloren! Der Älteste würde mich verbannen! Nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Nein!

Plötzlich riss mich ein Hämmern an der Tür zurück in die Realität. Ein wenig verwirrt sah ich mich um. War ich etwa eingeschlafen? Und ich hatte auch noch geträumt. Aber darüber konnte ich gerade nicht nachdenken. Die ersten Partygäste schienen da zu sein.
Schnell rückte ich noch die Tischdecke gerade und lief dann zur Tür. Davor standen Elisabeth und ihre besten Freundinnen Anne und Samantha. „Hi", begrüßte ich sie, „kommt doch rein."
Das taten sie auch. Sie holten sich gleich etwas zu trinken, da sie sich in meiner Wohnung mittlerweile bestens auskannten.
Nach und nach kamen immer mehr Gäste. Um halb acht war bestimmt die halbe Schule da. Es waren hauptsächlich Mädchen, aber hin und wieder konnte ich in dem Gedränge auch einige Jungs erkennen.
Und da sah ich ihn. Genau wie in meinem Traum. Er kam auf mich zu und lächelte. Aber das durfte nicht so laufen wie im Traum.
„Hey Coralie", begrüßte er mich fröhlich und hielt mir eine Schachtel Pralinen entgegen. „Die sind für dich."
„Danke", erwiderte ich, „aber das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen. Du musst doch nichts mitbringen."
Er runzelte die Stirn. „So bescheiden bist du aber selten. Ich glaube, es wird echt Zeit, dass ich die wahre Coralie kennenlerne, denn die macht einen wirklich sympathischen Eindruck."
Oh nein! Das ging viel zu sehr in die Richtung von meinem Traum! Das musste ich ändern! „Die wahre Coralie kennst du schon. Die ist eingebildet und intrigant."
Überzeugt schüttelte er den Kopf. „Das glaube ich dir nicht. Als du mir deine Geschichte erzählt hast, hatte ich einfach das Gefühl, dass du auch nicht so perfekt bist, wie alle immer denken."
Am liebsten hätte ich laut aufgelacht. Ich war kein bisschen perfekt. Aber ich musste meine Fassade bewahren. „Ich bin perfekt! Trotz allem!"
„Jetzt spielst du wieder die Unerreichbare", stellte er fest, „aber das muss nicht sein. Nicht bei mir. Du kannst mir vertrauen."
Da konnte ich nicht mehr klar denken. Alle meine Gedanken überschlugen sich. Wie viel wusste er denn über mich? Kannte er tatsächlich das ganze Geheimnis? Wenn ja war ich wirklich in Gefahr.
„Kann ich das wirklich?", entgegnete ich forschend. „Ich meine, ich kenne dich doch kaum. Und ich habe mit dir auch schon einige schlechte Erfahrungen gemacht."
„Das tut mir leid", entschuldigte er sich. „Aber du hast doch sowieso nicht mehr viel zu verlieren. Dein größtes Geheimnis kenne ich ja bereits."
„Mein größtes Geheimnis?", rutschte es mir heraus. Welches Geheimnis meinte er denn jetzt? Wusste er wirklich mehr über mich, als er zugab?
„Naja, was an deiner alten Schule passiert ist", erklärte er. „Ich weiß, dass du nicht willst, dass jemand davon erfährt und das akzeptiere ich."
Erleichtert atmete ich aus. Er schien von meinem anderen Geheimnis also nichts zu ahnen. Jetzt war ich plötzlich völlig entspannt. Er war mir nicht auf die Schliche gekommen. Vielleicht wollte er ja wirklich nur mein wahres Gesicht kennenlernen. „Ich vertraue dir", meinte ich schließlich. „Und du hast recht. Ich bin nicht perfekt. Kein klitzekleines bisschen."
„Nein, bist du wirklich nicht", stimmte er lächelnd zu, „aber genau deshalb mag ich dich ja auch so gerne." Da zog er mich an sich und küsste mich sanft. Seine Hände vergrub er dabei in meinen Haaren.
Der Kuss war einfach unglaublich. Er war noch wundervoller als im Traum. Aber mein Traum-Ich hatte recht gehabt. Ich durfte das nicht. Doch ich wollte mich nicht von Gabriel lösen. Es war so ein tolles Gefühl, ihm so nah zu sein. Schluss jetzt, Coralie!, sagte ich mir dann und riss mich los. „Gabriel, ich kann das nicht."
Ich sah die Enttäuschung in seinem Blick. „Natürlich. Es war dumm von mir zu glauben, dass du genauso empfindest wie ich. Tut mir leid. Ich denke, ich sollte jetzt besser gehen."
Aber ich wollte nicht, dass er ging. Und ich hatte ihn auch nicht verletzen wollen. Ich konnte ihn nicht einfach gehen lassen. „Nein, Gabriel, so ist es nicht. Wir kennen uns nur einfach nicht so gut und ich finde, dass es zu früh ist."
Überrascht blickte er auf. „Oh, okay. Dann lernen wir uns doch einfach besser kennen. Wir könnten ja morgen zusammen einen Kaffee trinken gehen."
Damit ich mich noch mehr in ihn verliebte? Na vielen Dank auch! Da hatte ich mir ja was schönes eingebrockt! „Okay", erwiderte ich zögerlich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.

Schattenwesen - Der AuftragWo Geschichten leben. Entdecke jetzt