fourth chapter

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Frustriert laufe ich durch die Gassen Manhattans. Ich lebe an der Upper East Side, was bedeutet, dass die Brooklyn Bridge nicht weit von hier entfernt ist.

Da es erst am Anfang des Frühjahrs ist, kühlt sich die Temperatur Abends bis vor den Nullgrad runter. Kleine Rauchwölkchen bezeugen das reflexartige Atmen meinerseits. Die Hände sind tief in meiner Jackentasche der hellblauen Jacke vergraben. 

Als Zeichen gegen die Triste in der kalten Jahreszeit ziehe ich bunte Anoraks an. Ich kann diese Braun- und Grautöne der Mäntel nicht ausstehen. Es macht alles noch trüber als ohnehin schon. 

Meine Schritte hallen an den Wänden der Wohnblocks wieder. Es ist schon fast beängstigen ruhig, doch mich stört das nicht. Ganz im Gegenteil, endlich kann ich meine Gedanken ordnen. Daraufhin verlasse ich die Gassen und setze mich auf eine Bank, die einem Park gegenüber steht. 

Ich krame meine In-Ear-Kopfhörer aus den tiefen meiner Jackentasche. Seufzend entknote ich den Kabelsalat. Für dieses Problem muss ich mir noch eine bessere Lösung einfallen lassen. Plötzlich erhalte ich einen Geistesblitz: Wieso baue ich keine kabellosen Kopfhörer?

Während ich den dazugehörigen Bauplan in meinem Kopf zeichne, den ich eh erst in späterer Zeit aufgrund fehlender Rohstoffe umsetzen kann, ist der Wirrwarr an mit gummiartigen Stoff umhüllten Drähten aufgelöst und ich kann problemlos meine Musik hören. Nicht, dass ich das nicht vorher hätte können, aber ich bin ein kleiner Perfektionist.

Wie immer betätige ich den Knopf für die Zufallswiedergabe und lehne mich zurück. Als nun die beruhigenden Klänge der Musik den Weg durch mein Ohr in mein Gehirn finden, werden immer mehr Emotionen hervorgerufen. Die sanften Klänge von Klavierstücken, das zarte Streifen über Geigensaiten und das gleichmäßige Trommeln erweckt Erinnerungen.

Erinnerungen, die ich eigentlich schon längst hinter mir lassen wollte. Schnell versuche ich die Gedanken daran zu verdrängen, was leider eher so semi-gut klappt. Ich spüre wie die erste Träne seinen Weg über meine Wange bahnt. Sie ist eine der wenigen Dinge, die meine echte Gefühlssituation wiederspiegelt.

Schmerz, Wut, Hass, Trauer und Selbstzweifel werden über so eine kleine, fast unscheinbare, Sache zum Ausdruck gebracht. Chemisch gesehen nur Wasser und Salz, psychisch aber mit großer Bedeutung. Ihrer folgen viele weitere, bis ich die Beine an meinen Körper ziehe, die Knie mit meinen Armen umschlinge und einfach meinen Gefühlen freien Lauf lasse. Es kommt selten vor, dass ich solche Ausbrüche habe, aber ich bin auch nur, man will es kaum glauben, ein Mensch. 

In meinem Trieb aus furchtbaren Erinnerungen und Tränen bemerke ich gar nicht, dass sich jemand neben mich setzt. 

Erst als eine, zugegebenermaßen freundliche, Stimme mich anspricht, nehme ich wieder meine Umwelt wahr:"Ist alles ok bei Ihnen, Ma'am?" Bei dem Madam muss ich leicht schmunzeln, blicke auf und schaue in unendlich tiefe blaue Augen. 

Ein Muskelpacket von Mann sitzt mit ca. einem Meter Abstand Entfernung zu mir und mustert mich besorgt. So unauffällig wie möglich wische ich mir die Tränen weg, ziehe meine Nase höchst elegant hoch und antworte mit brüchiger Stimme:"Na klar, mir ging es nie besser." 

Ein Bilderbuch-Auftritt.

Besser konnte ich keinen ersten Eindruck schaffen. Zudem noch die sarkastische Art und im Allgemein das groteske Erscheinungsbild: Ein heulendes Mädchen auf einer Bank, flennt wie ein Schlosshund und behauptet, alles sei okay. 

Mit dem Gedanken spielend, einfach aufzustehen und den jungen Kerl hier zu lassen, streiche ich mir ein paar braune Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie hatten sich aus dem Dutt, den ich im laufe des Tages gebunden habe, gelöst.

"Ich will Ihnen nicht zu Nahe treten, aber Sie wirken da ganz anders auf mich.", gibt der Mann mit der blau weißen Trainingsjacke, den schwarzen Laufschuhen und der grauen Jogginghose als Antwort. Friert der Typ nicht? 

Ich seufze bevor ich zu einer weiteren Aussage ansetze:"Mir geht es prima. Sieht man doch." Dann komme ich von meinem hohen Ross namens Sarkasmus runter und frage:"Wieso sollte ich mich einem Fremden anvertrauen, wenn ich das nicht schon mit näherstehenden Personen tun könnte?" 

"Weil es manchmal einfacher ist, sich in solchen Situationen völlig unbekannten Menschen anzuvertrauen. Und es ist um einiges besser als alles in sich hineinzustopfen. Aber es ist nur ein Angebot, ich will sie zu nichts nötigen.", spricht er aus. Wo der gute Mann recht hat, hat er eben recht. Ob er immer solche Sprüche auf Lager hat? 

"Kennen Sie diesen Perfektionsdruck? Diesen Druck, alles perfekt machen zu müssen? Obwohl man weiß, dass es unmöglich ist diesen Zustand zu erlangen. Kennen Sie diese Zwickmühle, in der man zwischen gefühlt allem steht?", fange ich an. Er nickt  und fügt ein 'Absolut' hinzu. "Dann wissen Sie auch wie grauenvoll das ist. Man will niemanden enttäuschen, aber man wird es tun. Ungewollt und unwiderruflich. 

Die Personen, die diese Ansprüche stellen, interessieren sich nicht für meine Erfolge, sondern nur für meine Fehler. Jeder einzelne von denen ist fatal und machen mich in ihren Augen zu einem schlechteren Menschen. Ich kann und will es nicht mehr aushalten."  "Dann versuche es erst gar nicht, es denen weiterhin recht zumachen. Niemand darf dich so unter Druck setzen?" "Nicht mal meine Eltern?", frage ich atemlos und leise. "Nicht mal deine Eltern", bestätigt er. 
So sitzen wir eine kleine Weile und schweigen. 
"Lea", sage ich irgendwann. "Steve", kommt es zurück. 

Langsam kriecht die eisige Kälte unbarmherzig meine Gliedmaßen hinauf und spüre meine zunehmende Müdigkeit. Deshalb bedanke ich mich artig bei Steve für die netten Worte und Ratschläge und verabschiede mich mit einem Händedruck. 

Nun tut mir die rechte Hand weh, während ich den Weg zu der Wohnung entlang tigere. Er hat auch einen festen Händedruck. 

Darauf bedacht, keinen Lärm zu verursachen, husche ich  den siebte Stock und öffne die Tür so leise wie ein Ninja. Katzenähnlich verschwinde ich ein meinem Zimmer, ziehe mich um und lege meinen Körper schlafen. Mein Kopf hingegen verarbeitet die Geschehnisse und eine Sache bleibt wieder hängen: Ich werde ein Praktikum bei 'Stark Industries'  machen!

Lost Girl (Avengers FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt