kapitel 1

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„Ach komm, es is' so lächerlich!"
Meine Mutter tritt mir unter dem Tisch gegen den Fuß, aber ich probier' gar nicht erst ihr zu erklären, warum genau die Auswertung lächerlich ist. Das hatte ich schon seit langem aufgegeben. Genervt schließe ich auf meinem Handy den Browser mit den Bewertungen der VBT-Runden, starte stattdessen einen Gameboy-Emulator und spiele Pokemon. Okay, ich spiele es eigentlich nicht, ich verzweifle nur daran. Ich hab' Pokemon nie in der Kindheit gespielt und es jetzt zu versuchen, ist noch lächerlicher als das VBT.
Das Schlimme ist, eine bessere Beschäftigung habe ich gerade nicht, denn meine Mutter ist für ein Gespräch unbrauchbar geworden, seit wir uns hier ins Restaurant gesetzt haben.
„Ich will, dass du ihn kennenlernst" - hatte sie gesagt. So aufgedreht, wie ich sie schon ewig nicht mehr erlebt habe. Ihren tollen neuen Freund soll ich kennen lernen, der, weil er sonst zu weit weg wohnt, schon bald bei uns einziehen soll. Und ich dachte immer ich wäre ungeduldig.
Ich hatte mir nur gedacht, 'Komm schon Stegi, wie schlimm kann es schon sein? So ein kurzes gemeinsames Essen.'
Ich höre das Schmatzgeräusch ihrer Lippen, nachdem sie sich zur Begrüßung geküsst haben.
GG Stegi, wie schlimm kann das schon sein?
Ich sperre meinen Handybildschirm wieder, stecke es gerade in meine Hosentasche zurück, als meine Mutter dem anderen die Hand gibt und ihn mit „Du musst Tim sein" begrüßt.
Ach ja, der Sohn von dem Kerl, der ja im gleichen Alter ist und mit dem ich mich bestimmt anfreunden könnte. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst, während ich aufsehe.
Ich erwarte ein Muttersöhnchen, einen von der Sorte, die man zwar ganz nett findet, aber trotzdem lieber auf Abstand hält. Der mit Brille und Dauerpanikausdruck mich verunsichert ansieht und danach sucht, akzeptiert zu werden. Das war die Art von Typen, dessen Väter meine Mutter mochte. Ich seh' mir den Kerl an. Ob sich meine Vermutung bewahrheitet?
Naja nicht ganz.
Vor mir setzt sich ein großgewachsener, ordentlich gut gebauter Kerl hin, dessen dunkelbraune Haare an manchen Stellen rebellisch abstehen. Okay, wenn ich ehrlich bin, sehen meine vermutlich nicht besser aus. Nur sieht es bei ihm sogar irgendwie gut aus, ein Kontrast zu seinen tiefbraunen Augen, die übertrieben ruhig und entspannt wirken.
Er lächelt mich an - aber eher dieses freundliche Verkäuferlächeln, dieses gezwungene. Also da sieht meins mit Sicherheit netter aus.
„Tim", meint er knapp und fügt dann noch, etwas freundlicher lächelnd, „Und du?" hinzu.
Na sehr gesprächig ist er wohl nicht. Seine Stimme passt zu seinen Augen - ruhig, tief. Aber mir vergeht das Lächeln etwas, weil ich bemerke, dass meine Mutter ihnen nicht meinen Namen gesagt hat. Inzwischen hat sie wohl auch kapiert, dass er etwas sehr einfallsreich ist. „Stegi."
Und - da ist er. Der verwirrte Blick. „Stegi?", wiederholt er verwirrt.
Sprech' ich vielleicht undeutlich?
„Ja. Stegi", antworte ich deutlich betont und richte meinen Blick auf die Speisekarte. Er muss ja nicht unbedingt wissen, dass er mich jetzt schon ankotzt. Meine Mum und Tims Vater setzen sich nun auch und ich bemerke, dass Tim mich immer noch ansieht. Ich hebe meinen Blick wieder von der Speisekarte und fixiere ihn. À la, 'Hey du Arsch, ich weiß, dass du mich anstarrst'. Aber anstatt wegzusehen, fängt er nur an zu grinsen.
Nicht dieses gespielt freundliche oder peinlich berührte. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt, es ist selbstgefällig.
Mir wird fast schon unwohl unter seinem Blick, doch spricht mich dann meine Mutter an und als ich das nächste Mal zu ihm sehe, sieht er seelenruhig die Speisekarte durch.
Mir hätte da schon bewusst sein müssen, dass mit dem Kerl was nicht stimmt.

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