Kapitel 3

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Es gibt nur wenige Lehrer, die ich echt nicht leiden kann. Mein Sportlehrer - der gehört zu diesen wenigen. Jede einzelne Stunde verläuft normal und langweilig. Manche sind sogar so nett und stellen einen Ventilator auf, wenn es, wie jetzt, über 30 Grad draußen hat. Mein Sportlehrer
tut das nicht.
Der entscheidet spontan mit der Klasse raus zu gehen und Basketball zu üben, weil das Wetter ja so schön ist. Kommt davon, wenn man einen jungen, viel zu aufgeladenen Referendaren abbekommt.
„Es ist doch viel zu heiß", quengle ich Sturmwaffel von der Seite zu und kneife meine Augen gegenüber meinem Erzfeind, der Sonne, zu. Warum haben wir denn in der letzten Stufe auf'm Gymnasium überhaupt noch Sport? Lächerlich.
„So, geht mal in Zweiergruppen zusammen, dann macht ihr erst mal einige Grundübungen", schallt die hochmotivierte Stimme von meinem Lehrer über den eingezäunten Platz. Ich hab' keine Lust!
Genervt gucke ich noch kurz durch die Menge und mir fällt Tim auf, der ein wenig verloren in der Masse steht. Ups. Den hätte ich fast vergessen - der kennt ja niemanden. Zögernd drehe ich mich zu Freddie, der auch sinnlos in der Gegend 'rumstarrt, um.
„Du, ich mach mit Tim. Der Idiot hat sonst niemanden."
Der Blick meines besten Freundes richtet sich wieder auf mich. Ich kann richtig beobachten, wie seine Stirn sich für einen kurzen Moment runzelt. Was ist runzeln eigentlich für ein komisches Wort?
„Ja klar, Stegi. Lass mich nur alleine, kein Ding."
Ich muss leicht lachen und kurz verzieht's ihm auch die Mundwinkel nach oben. Ich weiß ja, dass er es nicht so meint. „Zieh' ab", wirft er mir noch gespielt beleidigt hinterher, bevor ich auf Tim zusteuere.
Und ganz ehrlich? Bei dem Grinsen, dass der schon wieder zieht, so nach dem Motto 'War schon klar, dass du angerannt kommst' würde ich am liebsten gleich wieder umdrehen.
„Such dir mal Freunde." - Das kommt von mir. Aber ich sehe im selben Moment auch, dass Rafael bei Tobi geblieben ist, was wohl der Grund dafür ist, dass Tim hier so vereinsamt rumgestanden hat.
„Mach ich. So viele wie du hast?" Ich sehe ihn genervt an. Haha, du Arsch. Ich muss zugeben, mir halten irgendwie selten Leute gegen, wenn ich Witze reiße. Vielleicht kotzt er mich deswegen ab und zu so an.
„Kannst du Basketball spielen?", frage ich stattdessen und lasse den Ball, den mir der Lehrer vorhin in die Hand gedrückt hat, ein paar mal auf dem Boden hüpfen.
Rafaels weißes Shirt schwitzt sich gerade an seinen Körper..
Huch, hat Tim gerade was gesagt? Er sieht mich erwartungsvoll an. Scheiße. Fuck. Äh..
„Ja?"
Kurzes Schweigen, dann lacht er mich aus. „Alles klar."
„Was hast du gefragt?" „Nichts..", antwortet er grinsend und verfolgt meinen Blick, dann vergeht ihm das Grinsen kurz. „Ey, du guckst in die falsche Richtung. Tobi steht da drüben", meint er und nickt in eine Richtung ein paar Meter weiter weg von Rafael. Ja und? Nur weil Tobi nicht ins Fitnessstudio geht muss ich jetzt auf muskellose Oberkörper stehen oder was? Muskellos ist an der Stelle vielleicht etwas übertrieben, aber im Gegensatz zueinander sind Tobi und Rafael schon Klassenunterschiede.
„Stört's dich?"
Tim sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten kann, dann entspannt sich seine Mimik wieder und er steuert einen der Körbe an. Verwirrt trotte ich ihm hinterher. Das war keine Eifersucht oder so, das war sowas wie.. Betroffenheit? Vorwarnung? Keine Ahnung wieso, aber ich hab' auch nicht viel Zeit, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Zwei Schulstunden dauert Sport.
Mir kommt's vor wie zweihundert in der Hitze.
Tim scheint auf jeden Fall sportlicher zu sein als ich, was auch nicht gerade schwer ist. Kaputt starte ich einen zehnten Versuch, einen Korb zu werfen. Daneben. Ach jo, ich hab' kein Bock mehr auf Basketball! Hatte ich den überhaupt schon mal an dem Tag?
Ich kann Tim unterdrückt lachen hören. „Sorry, dass ich dich so in den Schatten stelle", entschuldige ich mich gespielt überheblich bei ihm und gable mir meinen Ball wieder auf. Mir wird sogar schon kurz schwarz vor Augen, wenn ich mich zu schnell runterbeuge und wieder aufrichte.
„Du siehst eher so aus, als müsstest du dich mal in den Schatten stellen", meint Tim nachdenklich und wirft den Ball beschissen präzise durch die Luft, bevor er wieder durch das Netz fällt. Ich sehe zu, wie er den Ball locker in der Luft wieder auffängt und mich entspannt anlächelt.
„Gib halt an. Ich kann dafür andere Dinge besser", entgegne ich genervt, andere würden es vielleicht als zickig bezeichnen. Ich werfe - daneben. Och man. „Die wären?"
Tim fängt meinen Ball mit der freien Hand auf und wirft ihn mir zurück.
„Gears of War..", murmle ich und muss lachen, allein schon weil er leise losprustet. Und deswegen habe ich noch nie Freunde gehabt, die Sportskanonen sind. Das ist einfach viel eindrucksvoller, als wenn du erzählen kannst, dass du in 'nem Ego-Shooter polarisieren kannst.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du beim Lachen wie ein Delfin klingst?"
Ja. Danke, muss ich kein viertes Mal hören!
Zum Glück verhindert die Stimme unseres Lehrers, dass ich mir eine Antwort ausdenken muss.
„Mädels, wer aus acht Metern Entfernung einen Korb wirft, darf sich die letzte viertel Stunde in den Schatten setzen."
Was ein Scherzkeks, wir sind 'ne reine Jungsklasse. Und von dem äußeren Kreis aus zu werfen ist auch so gut wie unmöglich für mich, weswegen ich mich seufzend wieder zurück auf die Linie schleppe.
Schleppen will. Denn Tim überrascht mich dann doch.
„Wenn ich von der Mittellinie aus treffe - darf ich ihn dann in den Schatten schicken?" - und deutet vage auf mich.
Jetzt starren mich alle an. Geil. Ich glaube der Lehrer ist auch etwas überfordert, schließlich wedelt er mit der Hand in Richtung Mittellinie. Tim wirft sich seinen Ball von einer Hand in die andere, während er dorthin schlendert. Was ist nur mit dem Jungen falsch? Ich fühl' mich wie der letzte Idiot, wie ich hier stehe.
Ich sehe Tim zum ersten Mal heute wirklich zielen und sich konzentrieren, die Lehrkraft fängt an zu lächeln.
„Ich gebe dir drei Versuche."
„Die brauch' ich nicht", antwortet Tim so richtig bosshaft, bevor er wirft, einen Schritt zurück geht und sich das Grinsen verkneift, als der Ball trifft.
Der Lehrer winkt mich verdutzt raus und auch wenn ich mich wie die letzte Pussy fühle, jetzt einfach stehen zu bleiben wäre noch idiotischer. Also nicke ich meinem plötzlich so netten Stiefbruder dankend zu, der, nachdem er sich vom Lehrer abgewandt hat, eine siegreiche Geste mit der Faust macht, und gehe zu dem einzelnen und einzig erreichbaren Baum außerhalb des Feldes.
Gott, tut der Schatten gut!
Ich schließe die Augen und höre wie Tim halbherzigen Applaus erntet. Ich werd' aus ihm einfach nicht schlau. Natürlich bin ich ihm dankbar dafür, aber wieso hat er es überhaupt gemacht? Ich richte mich etwas mehr auf und lehne mich gegen den Baum, sodass ich noch auf das Sportfeld sehen kann. Tim redet gerade mit Rafael und Tobi, nur zu gern würde ich wissen, über was.
So lange dauert es auch gar nicht, da wird der Unterricht beendet. Trotzdem fühle ich mich so viel besser durch diese wenigen Minuten im Schatten, ich hätte Tim küssen können dafür. Der kommt übrigens gerade auf mich zu und ich werfe ihm wortlos seine Wasserflasche zu. Komischer Gedanke - werd' ich ja wahrscheinlich wirklich machen. Den Gedanken daran versuche ich immer noch zu verdrängen.
Tim trinkt ein paar Schlücke aus seiner Flasche und die Klasse geht wieder in Richtung Umkleidekabinen.
...
Okay, jetzt hat er die ganze Flasche ausgesoffen.
„Gib zu. Das war Glück." Tim sieht mich von der Seite an und lächelt dann, während er sich durch die Haare fährt. Er sieht schon echt gut aus. „Etwas Glück ist da immer dabei, Stegi. Aber sagen wir es so, meine Chancen standen nicht schlecht."
„Warum?"
„Ich spiel' schon seit ein paar Jahren Basketball im Verein. Aber du warst ja zu beschäftigt damit zu jammern, um zu bemerken, dass ich kaum daneben geworfen habe", erklärt er lachend und sieht auch deutlich erleichtert aus, sobald wir das kühle Innere des Schulhauses betreten.
„Wie gesagt, Gears of War, Bruder. Ich zieh' dich ab."
Tim lacht - so richtig freundschaftlich gelassen. Und langsam wird mir das Gespräch von gestern immer unglaubwürdiger.

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