Hoffnung

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Meine Augen waren geschlossen. Ich lag auf meiner harten Matratze und versuchte zu schlafen. Vergeblich. Ich konnte auf dieser Matratze sowieso nur sehr schlecht einschlafen, aber dieses Mal war es nicht mein schmerzender Rücken der mich wachhielt.

Als ich heute Nachmittag nach Hause kam, mit dem 100$ Schein in der Hand, trauten die anderen ihren Augen kaum. Doch dann haben sie angefangen zu jubeln und führten einen Freudentanz auf. Wir waren glücklich und lachten gemeinsam.                                                    Fred hatte sogar Tränen in den Augen. "Mein kleines Mädchen.", sagte er ein paar Mal. Leila kam zu mir und drückte mich kräftig. Fred, Bill und David kamen dazu, und kurz darauf waren wir nur noch ein Knäuel aus Menschen, welches sich aneinander festhielt, als würden sie ohne den Halt des anderen zusammenbrechen. Und vielleicht stimmte das ja auch. Vielleicht würden wir ohne einander zusammenbrechen.

Als wir uns dann von der Umarmung lösten, gratulierten sie mir und sagten, wie sehr ich das doch verdient hätte.

Und zum ersten Mal seit unglaublich langer Zeit sah ich etwas in ihren Augen.

Erst konnte ich es nicht richtig zuordnen, da ich diesen Anblick schon fast ganz vergessen hatte. Doch dann erinnerte ich mich.

Es war Hoffnung.

Es war die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die ihre Augen zum strahlen brachte. Es war die Hoffnung auf bessere Zeiten ohne Hunger und Kälte. Und ich spürte wie mein Lächeln sogar noch breiter wurde.

Später waren wir gemeinsam im Supermarkt gewesen, etwas, das wir lange nicht mehr gemeinsam getan hatten.


Und nun lag ich hier und dachte nach. Dachte nach, wann ich das letzte Mal Hoffnung in Augen eines anderen gesehen hatte. 

Es war als ich sechs Jahre alt gewesen war. In unserer Grundschule gab es eine Art Talentshow, wo jedes Kind etwas vorführen konnte. Ich hatte auch daran teilgenommen, mit meiner kleinen Gitarre und meiner damals kindlichen Stimme. Als alle Kandidaten auf der Bühne standen und ein Gewinner verkündet werden sollte, stand neben mir ein Mädchen. Sie war ein Jahr älter und hatte eine Tanz Choreographie vorgeführt.

Meine Knie zitterten wie verrückt und ich wartete gespannt auf das Ergebnis - als ich plötzlich merkte wie jemand meine Hand nahm und sie drückte. Als ich sah wem die Hand gehörte blickte ich zu dem Mädchen hinauf. Doch sie schien es gar nicht zu bemerken. Also zog ich an der Hand, bis sie zu mir hinab sah. Ohne ein Wort zu sagen hob ich unsere Hände hoch.                    "Oh, entschuldige! Ich bin so aufgeregt, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich nach deiner Hand gegriffen habe!", sagte sie und ließ los.

Und ich sah sie an. Und ihre blauen Augen strahlten. Strahlten so hell wie der Himmel an einem heißen Sommertag. Und da wusste ich es: So sah Hoffnung aus. Und ich fragte mich: Strahlten meine Augen genauso? Fanden das andere auch so hübsch wie ich?

Doch das Mädchen gewann nicht. Ich übrigens auch nicht: Es war ein Junge aus der dritten Klasse, der den Preis gewann. Er spielte unglaublich gut Saxofon. Das Mädchen sah wieder zu mir hinunter. "Tja, hat wohl leider nicht funktioniert. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.", sagte sie mir und zuckte mit den Schultern. Doch ich sah, wie das Strahlen langsam aus ihren blauen Augen verschwand.


Es war hell draußen, als ich wieder meine Augen öffnete. Verwundert sah ich mich in unserem Licht durchfluteten Lager um. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich eingeschlafen war. Aus den Augenwinkeln sah ich wie sich auch Bill langsam erhob und sich streckte. Ich legte mich auf meinen Rücken und starrte nun auf die Brücke.

Leider war es hier sehr laut, aber dennoch hätte ich keinen anderen Platz mir erwünscht als diesen. Diese Brücke war ein sehr viel besseres zu Hause für mich, verglichen zu dem Waisenhaus, in dem ich wohnte.

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