Fröstelnd saß ich auf meiner Decke. Ich hatte beide Arme um mich geschlungen und wiegte nach vorne und nach hinten. Meine Zähne klapperten laut aufeinander. Ein paar Tage waren vergangen seitdem ich Mark das letzte Mal gesehen hatte und seitdem war es deutlich kälter geworden. Baden konnte ich natürlich dann auch nicht, auch wenn ich mich langsam wirklich unwohl in meiner Haut fühlte. Der Vorrat den wir uns von den 100$ angelegt hatten neigte sich langsam, aber sicher dem Ende zu.
Alles schien bergab zu gehen. Positiv bleiben. Das ist das, was Leila immer sagte.
Bleib positiv kleine Josie und denk immer daran, egal, wie egoistisch das klingen mag, dass es Leute da draußen gibt, die es noch viel schlimmer als wir haben.
Ich glaubte Leila. Das tat ich seit dem Tag an dem ich sie kennen lernte. Und dennoch war es so schwer. So verdammt schwer.
Ich seufzte und aus meinem Mund kam eine große weiße Wolke. Als ich klein war hatte ich immer so getan, als würde ich rauchen. Die weiße Wolke war mein Rauch und wenn ich eine Salzstange parat hatte, war sie eine Zigarette. Doch seitdem ich David kannte, hatte ich damit aufgehört, da ich gesehen hatte, was Zigaretten und Drogen aus einem machten. Es war nichts zum scherzen.
Plötzlich sah ich verschwommen Schuhe vor meiner Dose. Ich sah hinauf, in das Gesicht einer jungen Frau. Sie lächelte mich mitleidig an, kramte in ihrer Tasche und ließ ein wenig Kleingeld in meine Dose fallen. "Danke.", krächzte ich. Für ein Lächeln war ich eindeutig zu schwach. Die Frau wandte sich wieder ab - vermutlich hatte sie mein Danke nicht einmal gehört - und ich war wieder allein in der menschenleeren Straße.
Ein Auto bog in die Straße hinein und blieb vor den Wohnungen, die bald abgerissen wurden stehen. Es war schwarz, groß und sehr breit. Ich konnte die Marke nicht erkennen und wenn, dann würde ich wahrscheinlich mir sowieso keinen Reim draus bilden können, da ich mich noch nie wirklich für Autos interessiert hatte. Aber was ich aus meinem Wissen sagen konnte war, dass dieses Auto wohl mit das teuerste war, das ich jemals gesehen hatte. Die Beifahrertür ging auf und eine Junge stieg aus - das heißt, er wollte gerade, wurde aber von einer lauten Stimme zurückgehalten. Offensichtlich genervt beugte er sich wieder ins Auto hinunter. Ich hörte zwei Stimmen laut über irgendetwas diskutieren, bis der Junge wieder aus dem Auto herauskam und mit voller Wucht die Autotür zuknallte.
Die arme Tür, dachte ich. Selbst sie war wahrscheinlich ein Vermögen wert.
Dann fuhr das Auto wieder weg und der Junge stand einsam und verlassen vor den Wohnungen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und selbst von einigen Metern Entfernung konnte ich erkennen, wie wütend er war.
Außerdem war es niemand anderes als Mark. Warum sollte sonst irgendein reicher Junge hierherkommen, zu dieser heruntergekommenen Gegend?
Er stand einfach dort, anscheinend unschlüssig, was er nun tun sollte. Warum war er denn überhaupt hier? Heute arbeitete schließlich niemand an den Wohnungen.
Er drehte sich um - genau in meine Richtung - und fing an zu gehen. Mich hatte er noch nicht entdeckt und es war nun auch zu spät für mich, um aufzustehen und wegzugehen, weil ich dann an ihm vorbei müsste. Aber was war denn daran so schlimm, wenn er mich sah? Wollte ich das nicht sogar bis vor ein paar Tagen noch?
Beim gehen guckte er in jedes Schaufenster neugierig hinein. Schließlich blieb er vor einem stehen. Ich lehnte mich nach vorne um das Schild zu erkennen, was an der Wand baumelte. Es war ein Café, wenn auch nicht das Beste. Im Gegenteil - es war ziemlich heruntergekommen und meistens waren dort nur Männer, die ein Bier tranken. Ich war schon mal drinnen um zu betteln und ich werde da ganz sicher nie wieder hineingehen. Doch Mark machte die Tür zum Café auf und war schon darin verschwunden.
Ich atmete erleichtert auf. Und da erkannte ich, warum ich nicht wollte, dass er mich sah - ich schämte mich.
Ich schämte mich für meinen Zustand. Für etwas, dass ich nicht ändern kann. Wofür ich nichts kann. Es war ein schreckliches Gefühl und ich wollte es so schnell wie möglich wieder loswerden.
So schnell es ging erhob ich mich, nahm meine Decke und Dose und machte mich auf den Weg nach Hause. Das Geld reichte zwar nicht für eine Dose Essen aus, aber ich wollte dort nicht mehr sitzen. Ich würde mich wohl mit dem wenigen Vorrat den wir noch hatten begnügen müssen. Hoffentlich hatten die anderen genug gesammelt.
Ich ging schon so schnell ich konnte, doch als ich mich dem Café näherte legte ich noch einen Zahn zu. Ich hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte.
Doch da irrte ich mich, denn nach ein paar Sekunden hörte ich jemanden rufen: "Josie!"
Ich drehte mich langsam um. "Tut mir leid, ich muss schnell nach Hause!", rief ich so laut ich konnte. Er konnte vermutlich sogar hören, wie kalt mir war. "Warte!", rief er, doch ich drehte mich schon um und lief weiter. Endlich kam die Brücke in Sicht. Nach ein paar Metern bog ich nach rechts und schon war ich zu Hause. "Josie... Wie siehst du denn aus?", fragte Leila besorgt. "Wie sehe ich denn aus?", fragte ich verwirrt. "Als ob du einen Geist gesehen hättest! Und völlig durchfroren! Komm, setz dich sofort ans Feuer.", sagte sie, legte einen Arm um mich und führte mich zum Lagerfeuer.
"Josie?"
Leila und ich drehten uns gleichzeitig um.
"Mark? Was machst du denn hier? Bist du mir etwa gefolgt?", fragte ich entsetzt. "Wer ist das Josie?", fragte Leila, ohne auch nur einen Blick von Mark zu nehmen. Mark währenddessen sah sich aufmerksam um. "Das ist Mark ein... Bekannter, denke ich."
Nun sah Mark mich an. Ich starrte zurück. Nach einer Weile seufzte ich.
"Willkommen bei mir zu Hause."
DU LIEST GERADE
Straßenkind
Teen FictionJosie hat schon ganz vergessen, was das Wort "leicht" für eine Bedeutung hat. Als obdachlose streift sie schon seit Jahren durch die Straßen und versucht sich am Leben zu halten, doch immer wieder wird sie von der Härte des Überlebens getroffen: Ess...