CCC 3

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Als A. und sein Kumpel und ich auf dem Mamorboden in der Eingangshalle gehockt hatten, meinte ich irgendwann: "The CCC is so awesome, you could spend every day with rather nerd stuff OR climate and political stuff OR self care, like the gel nails workshop, OR just nerdy kinky stuff like a talk named from hacker to furry: why cat ears are just the beginning". A. stimmte mir absolut zu. Er erzählte mir von dem Hacker to Furry Talk, und was ich dabei alles verpasst hatte. Dann unterhielten wir uns ganz selbstverständlich über die Playparty und den Bondage Workshop. 

Eine weitere Kleinigkeit, die mich auf dem Kongress absolut begeistert hatte, war ein Moment, als ich meinen Rucksack abstellen wollte. Ich war gerade dabei, ihn neben einen Tisch, zu stellen, an dem, um eine deutlich überladene Steckerleiste herum, einige Hacker saßen, wie Hippies um ein Lagerfeuer. "Hey, kannst du vielleicht lieber nicht deinen Rucksack hier abstellen?", fragte einer. "Ach, ich hab da keine Wertsachen drin.", behauptete ich der Einfachheit halber. Er schaute mich ruhig an "Nee, nicht wegen Wertsachen, aber wenn hier zu viele Leute ihre Sachen ablegen entsteht ein Taschenhaufen und dann stolpern Menschen.". 

Ja. Noch Fragen?

Das erzählte ich A. und er stimmte mir zu. Dann erzählte er mir, wie er in den Niederladen eine Weile in besetzten Häusern gelebt hatte, und dort die gleiche Stimmung und Gesinnung gewesen war. "We shared everything. It was so awesome. And peaceful. I did so good at this time, it was so healing. It was better than years of therapy."

"Being in an occupied building is my kind of therapy, not gonna lie!", rief ich, A. lachte.

Wir hatten dort in der offenen Eingangshalle gesessen, alle Transpis waren von den Brüstungen abgenommen worden, nur noch ein grünes hing nun dort, darauf stand: "Ab jetzt CCH besetzen!" Ich übersetzte es A., er stimmte mir zu. 

Und ich weiß nicht, wie A. auf diese Idee gekommen war, ob wegen dem Rick der alles von überall eingesammelt hatte, oder weil das Gebäude jetzt so leer war, doch A., schlug vor, einfach herumzustromern. 

"Let's fuck around in the building!", rief er und ich musste erstmal kurz die Sprache umdenken. Später würde er noch sagen: "The CCC was a really beautiful clusterfuck" und "Nah I'm just fucking with you." wenn er ausdrücken wollte, dass er mich bloß veralberte. Ich musste mich erstmal kurz an die Sprache gewöhnen, ich hatte komischerweise noch nie englischsprachige Freunde gehabt.

Genauso wie ich mich ein paar Tage später erstmal daran gewöhnen musste, dass das alles nicht mehr da war.

Als mir A. eröffnete, dass er nur ein Tastenhandy hatte, und ich ihn fragte, wie er sich ohne Google Maps orientiere, meinte er nur: "Oh, I don't. I just get lost all the time. I love it."

Ich liebte es auch. Vielleicht sollte ich mir das auch endlich mal gönnen.

Nun sollten wir aber erstmal im Gebäude verloren gehen.

Wir hatten beide noch unsere kostenlosen Drinks in der Hand, anfangs fühlte sich das etwas komisch, A. drückte es ganz gut aus: "Seems hypocrite too me.", doch bald wurde es selbstverständlicher, so unbeweglich und fast ein bisschen gelangweilt touristisch durch die leeren Gänge, Abstellkammern und Technikräume zu stromern, über gestapelte Tische und Paletten zu klettern, das Glas mit klackenden Eiswürfeln in der Hand. Irgendwann drückte A. eine Tür auf und wir fanden uns in einem Treppenhaus wieder, das ganz anders aussah, als die anderen Treppenhäuser. Kurz blickten wir uns fasziniert nach oben schauend um, drehten uns aneinander vorbei in entgegengesetzte Richtungen, den Kopf in den Nacken gelegt, bewunderten die weißen Gitterstäbe, die zwei Treppenaufgänge voneinander trennten, welche sich umeinander wickelten wie eine eckige DNA-Helix. Plötzlich wurde es mir klar, ich drückte gegen die Türklinke: die Tür ließ sich von innen nicht öffnen. Wir waren im Notausgang gelandet. 

"Nooo!", rief ich, während A. amüsiert-abenteuerwitternd, abwartend-neutral dreinblickte. Ich mochte unsere gegensätzlichen Reaktionen, doch es stresste mich gleichzeitig nur noch mehr. Aus beiden Gründen steigerte ich mich noch etwas mehr in die Situation hinein. Ich wollte mehr von seiner Leichtigkeit, die mich so stresste und faszinierte. Wenn wir jetzt unten aus dem Hinterausgang des Gebäudes gehen würden, kämen wir nicht wieder rein, gelangten nicht mehr an unsere Sachen und nicht mehr zurück in dieses Erkundungsabenteuer, welches ja eigentlich noch vor uns lag. Und wir konnten niemanden anrufen, das Handy von A.'s Kumpel hatte keinen Akku mehr, und sonst fiel uns niemand ein. Zunächst versuchten wir alle anderen Türen, und A. schlug vor, irgendwie über die Gitter in den anderen DNA-Strang des Treppenhauses zu klettern, doch ich erinnerte ihn daran, dass dieses ja auch nur ein Fluchtweg sein würde.

Wir probierten den Kreditkartentrick und der funktionierte nicht. A. schaute auf die Tür. "I can open it with a shoe lace.", sagte er auf einmal, kniete sich hin und begann, an seinen kaputten Nikes herumzuzuppeln. Ich sah ihm dabei zu. Dann fädelte er den Schnürsenkel durch den übergroßen Sicherheit-Türspalt und versuchte, ihn am anderen Ende heraus zu angeln. Es war wie der Kreditkartentrick, wobei der Schnürsenkel eine Art Lasso bildete. A. kriegte das Ende des Schnürsenkels nicht zu fassen, also nahm ich meinen Strohhalm aus dem Drink und stocherte danach. Wir freuten uns und schlossen uns noch zwischen Tür und Angel in eine Umarmung, an der sich die zufallende Tür und der Türrahmen ebenfalls beteiligten. Dann quetschte ich mich schnell wieder heraus, floh vor der Nähe und hastete meiner Neugier hinterher, und so zogen wir weiter.

Wir streiften durch Techniker-Räume und fanden den Weg einen der leeren Konferenzsäle. Er war fast komplett dunkel. Einige Meter zuvor hatte ich meinen Schuh in eine Tür geklemmt, damit diese nicht zufiel. Es fühlte sich lustig an, so halb beschuht, halb barsockig herumzulaufen, und gab mir ein bisschen das Gefühl, den Verstand verloren zu haben anstatt nur einen Schuh. Ich wünschte fast, ich verlöre beides heute noch. Wir waren nur über einen Hintereingang in den leeren Saal gelangt, begannen unser Abenteuer hinter der obersten Sitzreihe mit einem weiten Überblick von hinten über die leeren Sitzreihen. Wir posierten am Technikerpult und fotografierten uns gegenseitig, mit Blitz. Dann rannten wir über die Sitzbänke zur Bühne. 

"Hello everyone, and very welcome to our talk: How to hack a building!", rief ich. "Yeah, today we are talking about, how to hack basically any building. All you need to do is to be stupid and reckless.", stieg A. ein. Wir hielten einen kurzen Lightning Talk. Dann verbeugten wir uns ordentlich. Ich fand, wir fühlten uns sehr groß an. "Do you want to hug?", fragte A. "Sure.", sagte ich und wir umarmten uns. 

Dann rannte ich die Treppe an allein Sitzreihen vorbei wieder nach oben und rief dabei "Let's get to the rooftop!" und A. folgte mir. Wenige Gänge weiter, und vorbei an Lüftungsschächten stießen wir dann die letzte Tür auf. Das war der Fluchtweg, den die Techniker im Falle eines Brandes genommen hätten. 

Ich fand es so spannend, all diese Infrastruktur des Notfalls, der Versorgung und der Logistik zu betrachten, die sonst immer versteckt wurde und nicht zugänglich war. Sie war absolut notwendig oder sollte nur in der größten Notwendigkeit, bei der Bedrohung von Leib und Leben, zum Einsatz kommen. Und ich stromerte durch diese Architektur der Administration - wie ein Kind. Ich hinterließ meine Fußabdrücke in den Räumen und Gängen der Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit, und alles was ich darin sah: war das Abenteuer.

A. und ich betraten die Dachwege, die aus großen Platten bestanden und links und rechts von Kies gesäumt waren. Um uns herum verliefen Rohre und Leitern, große Metallcontainer umgaben uns,  zwischendurch duckten wir uns unter dicken Lüftungsschächten entlang. Im Theater meiner Stadt lief zurzeit ein Stück mit dem Namen "Die Adern des Blauwals sind so groß, dass wir darin schwimmen können.". Und diese Schächte hier waren vielleicht eigentlich zum Durchkrabbeln bestimmt. Doch auch sich unter ihnen durchzuducken war nicht übel.

Dann kamen wir auf eine freie Fläche und nun, endlich, lag Hamburg unter uns. Ohne uns abzusprechen, erkundeten wir unterschiedliche Ränder des Dachs, entgegengesetzte Ausblicke auf die Stadt, fanden uns dann wieder, und setzten uns an den Rand. Die Gitter die wir betraten klirrten einmal laut metallisch auf, als wir uns hinsetzten, doch niemand da unten hörte uns. Das ist ja das Krasse an Dächern: von oben hört und sieht man alles, doch niemand blickt oder hört hoch. Und das lernt man erst, wenn man oben ist. Von unten lernst du das nicht. Platons Dach.

Anonymous Analog ClubWo Geschichten leben. Entdecke jetzt