Lijas leise Stimme wurde durch das laute Prasseln des Regens verschluckt, aber Luhan verstand ihre schüchterne Einladung trotzdem. Glücklicher, als vielleicht angebracht, folgte er der kleinen Gestalt in einen winzigen Hausflur. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Obwohl sie höchstens dreißig Sekunden im Regen gestanden hatten, war er völlig durchnässt, selten in seinem Leben hatte Luhan das schlechte Wetter so geliebt, wie in diesem Moment. Er schüttelte sich, sein Pony hing ihm schlimmer in die Augen als sonst, weswegen er sich die Haare zurückstrich. Etwas, was er eigentlich nie tat, schließlich waren sie doch sein Schutz. Aber er spürte es einfach, bei ihr würde er keinen brauchen.
„Was für ein Sauwetter", strahlte Luhan. Sie rang sich bloß ein schwaches Lächeln ab. Er beschloss sich nicht daran zu stören und viel lieber den Raum zu bewundern, in den sie ihn schließlich zögerlich führte.
„Der Regen wird bestimmt bald vorbei sein. Möchtest du trotzdem ... einen Tee?"
Andere Menschen wurden sicherer in ihrem Auftreten, sobald sie sich in vertraute Umgebung begaben, ganz besonders in ihr eigenes zu Hause. Sie schien die Ausnahme zu bilden. In allem. Luhan liebte Ausnahmen.
„Gerne."
„Okay."
Immer noch etwas wacklig auf den Beinen verließ sie den Raum, Luhan sah ihr nach. Dann grinste er. „Du liebst Pflanzen, oder?"
Falls sie antwortete, war es zu leise, um gehört zu werden. Gedankenverloren strich er über die gelben Blüten der Berlandiera lyriata. Es war bei weitem nicht die einzige Blume in dem kleinen Wohnzimmer. Fensterbänke, Regale, Boden. Überall standen sie. Kleine Kaktusensembles, mosaikverzierte Töpfe mit Orchideen, Begonien, Kamelien. Auf dem runden Tisch vor dem ausklappbaren Sofa eine Amaryllis. Bunte Blumen, deren Namen nicht einmal er kannte, hingen von der Decke, eine Palme stand vor dem Fenster, seltsamerweise Seite an Seite mit einem Asiatischen Elfensporn und einer fünfblättrigen grünen Pflanze. Einen kurzen Moment stutzte Luhan, dann verwarf er den Gedanken wieder. Lächerlich. Sein Blick schweifte aus dem verhältnismäßig großen Wohnzimmerfenster. Dahinter lag ein kleiner Garten. Im Sommer würde er sicherlich toll aussehen, doch es schien, als wäre er seit einigen Monaten von niemandem mehr betreten worden. Altes Laub bedeckte die Beete, dazwischen reckten vereinzelte Frühlingsblüher ihre Köpfe empor. Luhan stellte mit Bedauern fest, dass der heftige Regen zu unbarmherzig auf die zarten Pflänzchen eintrommelte. Ein Schneeglöckchen schien schon richtig eingerissen.
„Sag mal, wie heißt du eigentlich?", fragte Luhan, als das Mädchen mit zwei dampfenden Tassen den Raum betrat. „Mir ist eingefallen, dass ich dich das noch gar nicht gefragt habe." Weil es ihn, wenn er ehrlich war, nicht wirklich interessiert hatte. Namen waren unwichtig. Nicht von Belangen für ihn, waren es noch nie gewesen. Wichtig waren ihre Besitzer, und an die konnte er sich doch auch so erinnern.
„Lija", antwortete sie leise, ihm entging nicht, dass sie seinem Blick auswich. Und zusammenzuckte, als er ihr die Tasse abnahm und dabei ihre Finger streifte. Er kam sich mit einem Mal ziemlich plump und unhöflich vor, wie er sich so in ihre Wohnung gedrängt hatte.
„Setz dich gerne hin." Man sah Lija an, dass ihr die ganze Situation zu viel war, ja vielleicht sogar zuwider.
„Hör mal..." setzte Luhan an, beim Klang seiner Stimme zuckte sie wieder zusammen. Lija verfluchte sich und ihre elende Unsicherheit, dann das Wetter, dann ihre Ohnmacht. Alles, nur nicht Luhan. Obwohl negative Gefühle sie zu Überschwemmen drohten, hatte sie nicht vergessen, was er für sie getan hatte. Und für ihre Berlandiera lyriata.
„Der Regen wird weniger, ich glaube, ich kann mich wieder auf den Weg machen." Er deutete in genau dem Moment aus dem Fenster, als es laut donnerte. Dunkelheit hatte das Tageslicht innerhalb der wenigen Sekunden verschluckt, in denen er nicht hinausgesehen hatte. Peinlich berührt ließ er die Hand wieder sinken.
„Ich glaube eher nicht", erwiderte Lija und zum ersten Mal schien das Lächeln auf ihren blassen Lippen echt. Luhan fühlte sich mit einem Mal ganz leicht.
„Und... du arbeitest in dem Blumenladen."
Es war ein so ungeübter und unsicherer Smalltalkversuch, dass er anfing zu lachen. Lija wollte derweil ganz gern im Boden versinken. Mit zittrigen Händen umklammerte sie die Teetasse in ihren Händen und trank einen großen Schluck.
„Ja. Seit etwa anderthalb Jahren." Luhan war so glücklich darüber, dass die Anspannung darüber, einen beinahe komplett Fremden in ihrem Wohnzimmer zu haben, endlich ein bisschen von Lija gewichen war, dass er beschloss etwas zu tun, was er normalerweise tunlichst vermied: aus dem Nähkästchen zu Plaudern.
„Schon immer mochte ich .... die Natur. Pflanzen und sowas." Er überlegte, wie er es am besten erklären sollte. „Ich höre mich wahrscheinlich bescheuert an, aber wie andere Musizieren oder Schreiben müssen, muss ich mit Pflanzen zu tun haben." Nun doch etwas verlegen sah er wieder aus dem Fenster. Lija spürte, wie die Anspannung mit jedem Wort, das Luhan sagte, weiter von ihr wich. Aus ihrem geschwächten Körper hinaussickerte, wie Wasser durch ihr Teesieb. Und tatsächlich blieb bloß Wärme und Geschmack zurück.
„Eigentlich wollte ich dann bei meinem Vater anfangen, er führt auch ein Blumengeschäft, weißt du? Aber, na ja..." Er nahm noch einen Schluck Tee. Lija, die mit angezogenen Beinen ihm gegenüber auf dem Boden hockte, hing fasziniert an seinen Lippen.
„Was ist passiert?"
„Wir haben uns gestritten. Ziemlich heftig." Er betrachtete die Amaryllis.
„Das tut mir leid."
„Nein." Luhan schluckte schwer. „Nein, das muss es nicht. Es war ... weißt du, es war meine Schuld. Er wollte nur das Beste für mich, aber ich habe alles falsch verstanden. An dem Abend habe ich meine Sachen gepackt und bin abgehauen. Seitdem habe ich ihn nicht wieder gesehen."
Sie schwiegen eine Weile. Ließen diese absurde Situation auf sich einwirken. Vor dem Fenster tobte das Gewitter, aber drinnen, da war alles friedlich. Es gibt Momente im Leben, die sind zu unrealistisch, um wirklich begriffen zu werden. Dieser hier war definitiv einer davon; zwei Fremde, durch zwei Zufälle in einem Zimmer voller Pflanzen, redeten (nach anfänglichen Schwierigkeiten) über Dinge, die niemanden etwas angingen. Lija lauschte Luhans melodiöser Stimme und dann Luhan der ihren. Sie erzählte, wie ihre Mutter das Verschwinden ihres Vaters nie verkraftet hatte. Wie sie immer weiter gesunken war und dann, als der Boden erreicht war, sich abgestoßen hatte um loszufliegen. In die Sphären, die sie bald erreicht hatte, konnte Lija ihr nicht folgen.
Ihre Schicksale ähnelten sich, ihre Interessen ähnelten sich und mit jeder weiteren Ähnlichkeit, die sie zusammen entdeckten, wuchs ein Band zwischen ihnen weiter. Zarte Blumenranken sprossen aus ihren Herzen und fanden sich in der Mitte. Seelensplitter klebten sie aneinander.
Das Gewitter war lange vorüber, als Luhan sich schließlich auf den Weg nach Hause machte. Lija blieb allein in ihrem Wohnzimmer sitzen, die Schokoladenblume in ihrem Armen, Luhan in ihrem Kopf, das Band im Herzen.
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Let's be honest: Luhan als Jedi ist eines der Besten Dinge, die geschehen konnten.
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Wie Blüten Im Wind ○ Luhan ○
Fantasía„Soll ich dir mein Geheimnis verraten?" Lächelnd legte sie einen Finger an die blassen Lippen. Luhan nickte. Ihr Lächeln wurde noch breiter, die Augen funkelten geheimnisvoll, als sie sich verschwörerisch zu ihm herüber beugte. „Ich bin eine Elfe"...