Kapitel 3

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Nur noch diesen einen Tag überstehen, dann hatten wir Ferien. Seit der letzten Begegnung am Mittwoch hatte ich Aiden nicht mehr gesehen. Caitlin war auch nicht mehr gekommen, es hätte sich wohl nicht mehr gelohnt. Typisch, aber was sollte man machen? So war sie halt und man konnte nichts daran ändern.

Selbst ich nicht. Und das sollte schon etwas heißen. Denn normalerweise konnte ich vieles bewirken, wenn ich etwas wirklich wollte. Aber bei Caitlin war es echt aussichtslos. Sie hatte einen Dickkopf wie keine andere, der sogar noch größer war als Meiner.

Die letzten Stunden zogen sich wie Kaugummi in die Länge und als endlich die erlösende Klingel ertönte, sprang die gesamte Klasse auf und rannte schon fast aus dem Schulgebäude. Hier und da rief man sich „Schöne Ferien!" zu.

Überall herrschte eine gelöste und endspannte Stimmung. Die Freude so vieler war fast zum Greifen. Von Vielen hatte ich mehr oder weniger freiwillig die Ferienpläne mittbekommen. Ich selbst würde aber nicht verreisen, sondern zu Hause bleiben. Ich würde mich vielleicht mit Caitlin treffen, mal wieder anfangen etwas zu schreiben.

Ich blickte in die Sonne und genoss das schöne Wetter. Mein Blick glitt über den Park und blieb an einer Person hängen. Nicht schon wieder. Ich hatte echt gedacht, dass ich ihn losgeworden wäre.  

Hektisch blickte ich mich an einer Versteckmöglichkeit um. Schließlich endschied ich mich für eine große Eiche und verschwand hinter ihrem Stamm. Aiden war ungefähr 10 Meter weit entfernt gewesen. Das heißt, wenn er mich gesehen hätte, müsste er etwa – „Hi Alannah"

Shit.

„Warum stehst du hinter einem Baum?" „Ähm.... Weil ich ein Eichhörnchen gesehen habe"

Wow... Schlauer hätte meine Antwort echt nicht sein können.

„Aha. Ein Eichhörnchen" Er schien nicht sehr überzeugt. Aber, naja. Ich war es auch nicht.

„Ja. Und was machst du wieder hier? Stalkst du mich etwa?" „Joa.. So ähnlich. Du hast jetzt Ferien. Oder irre ich mich?"

„Nein", antwortete ich.

Zufrieden grinste er mich an. Da keiner mehr etwas sagte, machte ich Anstalten mich umzudrehen und loszugehen. Aber, zu früh gefreut.

„Alannah", er schüttelte betrübt den Kopf, „Man geht doch nicht während eines Gespräches einfach so weg. Das gehört sich nicht"

„Als ob du wüsstest, was sich gehört", abfällig zog ich die Luft ein.

„Wie meinst du das jetzt bitte?", fragte er mich hochgezogenen Augenbrauen.

„Du weißt schon. Ich meine, ich weiß ja nicht, wie lange du schon auf den Straßen Irlands haust, aber eine Zeit lang müsste es schon sein"

Mit einem Mal fand ich mich zwischen 2 Armen an den Baumstamm gedrängt, Aidens Gesicht dicht an meinem: „Urteile nie über Leute, die du nicht kennst"

„Aiden?", etwas ängstlich sah ich mich zu beiden Seiten um.

„Du wirst es nicht glauben, aber auch ich hatte mal so etwas wie eine Familie. Auch ich habe mal in einem Haus mit so einem schicken Vorgarten gelebt"

„Ja, kann ja sein, aber...", setzte ich an.

„Nichts aber. Und ihr verwöhnten Leute glaubt immer nur, dass die Penner ihr Leben lang unter der Brücke hausen. Das unser Leben aus Alkohol und Drogen besteht. Aber sag mir mal. Wenn ihr nur so etwas denkst, wie sollen wir dann da raus kommen? Wir haben doch keine Chance und glaub mir. Jeder, wirklich jeder will da raus"

„Ja, kann ja sein, aber Aid- "

„Nein, Alannah. Du hörst mir jetzt mal zu. Ich sage dir es jetzt. Einmal. Und dann bist du mich los. Für immer. Ich ziehe dann weiter. Gehe meinen Weg. Alleine. Aber hör mir zu"

Diesmal nickte ich nur still, er würde mich eh nicht ausreden lassen.

„Verurteile die Leute nicht, die du nicht kennst. Tue es nie. Niemals" Ich nickte bestätigend. Aiden sah mir nochmal in die Augen und trat dann ein paar Schritte zurück.

Ich schaute ihn immernoch an, bedacht, nichts Falsches zu tun. Mit einem knappen Gruß verabschiedete er sich und innerhalb weniger Sekunden war er im Dickicht verschwunden.

Seine Worte hallten noch in meinem Kopf nach. Recht hatte er ja schon, dass stimmte. Aber so war man halt aufgewachsen, eine getrennte Gesellschaft.

Die eine Seite: Geld, Macht. Wer das hatte, konnte unbesorgt leben. Konnte sich alles kaufen was er wollte, war angesehen. Die andere Seite: Arm, ohne Zukunft. Man wurde verachtet. Niemand traute einem. Und wenn man sich doch ändern wollte.

Aiden hatte so Recht. Man konnte es nicht. Denn ständig die Vorurteile, wie sollte man denn werden, wenn man nur so etwas hört? Und wer bot einem Obdachlosen denn bitte einen Job an? Niemand. Und ohne Job hatte man kein Geld. Und kein Geld gleich keine Zukunft. Ein Teufelskreis.

Aber was hatte er damit  gemeint, dass auch er früher so gelebt hatte wie ich? Hatte er es wirklich? Vielleicht war er auch einfach von Zuhause abgehauen. Oder war entführt worden.

Den letzten Punkt strich ich schnell von meiner imaginären Liste. Ganz sicher nicht Aiden.  Aber warum lebte er dann auf der Straße? Was war passiert?

So viele Fragen und keine Möglichkeit, eine Antwort auf sie zu finden. Er hatte gesagt, dass ich ihn nie wieder sehen werde. Und ganz ehrlich, ich wollte die Antwort. Wenn er sagte, dass ich nicht urteilen sollte, warum tat er es dann? Nicht alle Menschen mit einigermaßen viel Geld waren eingebildet. Und außerdem: Wenn er selbst mal so gewesen war, warum sprach er dann so schlecht über sie? Was hatten sie ihm angetan?

Noch im Gehen versuchte ich Antworten zu finden. Antworten zu dem Warum? und Wie?. Ich kam an dem Platz vorbei, wo Aiden mich vor gut einer Woche gewissermaßen überfallen hatte.

Er hatte mich mit seinen dunklen Haaren und grünen Augen fasziniert und tat es immernoch.

Ich seufzte und ging meinen Weg weiter. Immer in Gedanken an ihn.

Als ich mein Zimmer betrat, schmiss ich mich erstmal auf mein Bett. Endlich Ferien! 6 Wochen ohne Schule. Ohne lernen und Stress. Einfach mal nichts tun. Faulenzen.

Ein Blick aus meinem Fenster verriet mir, dass es angefangen hatte zu regnen. Gerade hatte doch noch die Sonne geschienen. Das Wetter hier in Irland. Eine Wissenschaft für sich. Unweigerlich wanderten meine Gedanken zu Aiden.

Was er wohl gerade machte? Hoffentlich war er nicht draußen. Sonst würde er nass werden und  sich erkälten. Und so wie ich ihn einschätze, würde er auch mit einer Lungenendzündung nicht zum Arzt gehen.

Aber, worüber dachte ich eigentlich nach? Ich hatte Ferien! Ich sollte mich freuen und nicht meine Gedanken an einen Penner aus Mullingar verschwenden, den ich eh nie wieder sehen würde.

Endschlossen stand ich auf und zog mir meine Schlafhose an. Als ich meine Jeans über den Stuhl schmiss, hörte ich etwas rascheln. Überrascht hob ich meine Hose wieder hoch und wühlte in den Taschen. Da! In der rechten Hosentasche war etwas.

Als ich es herauszog, stellte es sich als ein kleiner Zettel heraus. Um genau zu sein war es eine zerknickte Rechnung von Metro. Stutzig wendete ich ihn und riss überrascht die Augen auf, als ich sah, dass jemand etwas auf den Zettel gekritzelt hatte.

017 694 809 25

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Aiden

Through the Dark (short story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt