Als Clara den Raum betrat, fühlte sie sich, als ob eine warme Frühlingsbrise ihr Gesicht streifte. Für eine Sekunde stand sie auf den Hügeln in Grand Est und blickte auf die Felder aus Lavendel. Doch dann sprang ihre Fähigkeit an, ohne dass sie es verhindern konnte. Doch was sie wirklich verwunderte war, dass es nicht ihre Gefühle oder Gedanken waren, die sie überfluteten. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie die Gefühle einer anderen Person.
Da war es. Liebe, unermessliche Liebe für die Welt und alle die sie bevölkerten. Liebe gegenüber den Menschen. Allen Menschen.
Glaube, an all diese Menschen. Der Glaube, dass trotz all der Katastrophen, die der Mensch auf dieser Erde schon verursacht hatte, er sich eines Tages zum Guten verändern würde. Dass er eines Tages aufhören würde, alles zu zerstören. Aufhören würde sich selbst zu zerstören.
Und Hoffnung. Hell, wie ein Feuer. Nicht unbändig und verschlingend. Nicht mächtig, wie ein Flächenbrand. Sondern eher wie ein Kaminfeuer in einer Hütte, welche man aufsucht, um an einem regnerischen Herbsttag dem Sturm zu entfliehen. Der Sturm rüttelte an der Hütte und es pfiff aus allen Löchern und dennoch hatte man das ureigene Gefühl des Vertrauens, dass die Hütte nicht zerstört werden konnte. Das dieses Feuer niemals erlöschen werde.
Als sie in die blauen Augen ihres Schwertkampftrainers sah, wusste sie auch von wem alle diese Gefühle stammten.
Am Anfang war Clara perplex. Sie konnte all diese Gefühlen nicht einordnen, sie überforderten sie schlichtweg. Zudem hatte sie ihr ganzes Leben geglaubt, die Fähigkeit funktioniere nur in eine Richtung. Ihre ganze Welt war auf den Kopf gestellt worden. Schon wieder.
"Zeig sie mir."
"Was soll ich ihnen zeigen, Mr Cummingfield?", erwiderte sie schnell. Sie fühlte sich ertappt, als er sie erwartungsvoll musterte. Mr Cummingfield hatte sicher mit ihr geredet, aber ihre Gedanken flatterten in ihrem Kopf herum wie Schmetterlinge und so fiel es ihr schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
Clara hatte allerdings nicht das Bedürfnis, Mr Cummingfield etwas von ihrem Exkurs in seine Gefühlswelt mitzuteilen. Im Grunde war dies wohl etwas sehr Intimes.
"Deine Fähigkeit. Zeig sie mir."
Mr Cummingfield sah sie mit unverhohlener Neugier an.
"Ich halte das für keine gute Idee. Meine Kräfte können anderen Menschen schaden."
"Ich werde damit fertig, glaub mir." Mr Cummingfield blickt sie entschlossen an. "Ich schwöre es."
Clara war noch immer nicht begeistert, aber beschloss den Bitten des Trainers nachzugeben. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.
Eigentlich wollte das Mädchen Mr Cummingfield die Erinnerungen an ihr bisheriges Leben übertragen. Einfache Erlebnisse. Keine Emotionen, keine Gefühle, keine Gedanken.
Clara zeigte einige Teile ihrer Kindheit...
...Wie sie als Kind mit anderen Jungs den Hundertjährigen Krieg nachgespielt hatte. Ihr 7-jähriges Selbst, was stolz war, die berühmte Jungfrau von Orléans spielen zu dürfen.
...Clara, als sie ihre Eltern vor dem Einschlafen bat, noch einmal die Geschichte vom kleinen Prinzen vorzulesen. Die Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry war ihre liebste.
Doch als sie Mr Cummingfield die Erinnerung von jenem lebensverändernden Tag vor sechs Jahren zeigen wollte, ging etwas schief.
Clara hatte ihre Emotionen nicht mehr unter Kontrolle und zusätzlich zu den Erinnerungen übertrug sie ihm auch all jene Gefühle, die sie eigentlich lieber für sich behalten wollte.
...Abscheu gegenüber ihrer schrecklichen, schrecklichen Fähigkeiten, die andere nur verletzen konnten.
... Angst, die zu ihrem unliebsamen Begleiter geworden ist. Die Angst, eines Tages die Kontrolle vollends zu verlieren und jemanden seelische Wunden zuzufügen, die diese nicht verkraften konnten.
...Einsamkeit. Die selbst erzwungene Einsamkeit, weil das Mädchen das Gefühl hatte, es nicht anders verdient zu haben.
Clara sagte sich von ihren Gedanken los und kehrte wieder in die physische Welt zurück.
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen musterte Clara den Mann vor ihr.
Sie selbst brachten all diese Gefühl fast um den Verstand, aber Mr Cummingfield wirkte erstaunlich gefasst.
"Geht es... Geht es ihnen gut?"
Er blickte sie an und für einen kurzen Moment waren seine Augen noch von Dunkelheit getrübt, doch sie verschwand schnell und machte einem Funkeln Platz. Es wirkte fast, als ob der Trainer soeben alle Dunkelheit absorbiert hätte.
"Es geht mir gut. Ich habe doch gesagt, dass ich damit fertig werde."
"Sind sie sicher?" Clara wirkte noch nicht überzeugt.
"Weißt du, was meine Fähigkeit ist?", entgegnete Mr Cummingfield ungerührt.
"Nein. Was ist es? " Sie war neugierig und etwas verwirrt.
"Ich persönlich nenne sie gerne den "Fluch des Thanatos", auch wenn das etwas melodramatisch klingt, beschreibt das meine Fähigkeit recht genau."
"Ist Thanatos nicht... Der Gott des Todes?" Clara hatte eine beunruhigende Vermutung.
"Genau. Meine Fähigkeit ist es, eine Person nur anzusehen und genau zu wissen, wie und wann jemand stirbt."
Eine Weile herrschte betretenes Schweigen zwischen den beiden Paras. Dann wurde diese allerdings von der Jüngeren durchbrochen.
"Das ist ja schrecklich. Es tut mir Leid."
Mr Cummingfield lachte. "Welch ungewöhnliche Reaktion. Die Meisten denen ich das erzähle, versuchen mich dann zu ihren eigenen Tod auszuquetschen."
"Das will ich alles gar nicht wissen."
"Sehr klug. Aber das ist eigentlich nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass ich schon schlimmeres gesehen und gespürt habe, als deinen Schmerz."
Clara fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Ihr Leben lang wurde sie von all dem verfolgt und dann war es nur... halb so schlimm?
"Was ich damit sagen will, es ist jetzt erst einmal wichtiger, dass du deine Fähigkeit nicht nur als Fluch siehst, sondern auch als Geschenk. Es ist ein Teil von dir."
"Und wenn ich diesen Teil nicht akzeptieren will?", entgegnete Clara störrisch.
"Ich bin sicher, du wirst ihn akzeptieren, wenn du erstmal gelernt hast, deine Fähigkeit zu kontrollieren. Du wirst lernen, dass du deine Fähigkeit auch für Gutes einsetzen kannst."
"Können Sie mir das versprechen?" So etwas wie Hoffnung huschte über Claras Gesicht.
"Was?"
"Dass ich lernen werde, diese Fähigkeit zu beherrschen?"
Mr Cummingfield zögerte. "Nein, das kann ich dir nicht versprechen."
Clara war enttäuscht. "Danke für ihre Ehrlichkeit."
"Aber was ich dir versprechen kann, dass alle Trainer ihr Bestes geben werden, um dir dabei zu helfen. Du hast sie doch kennengelernt: Mrs Coulson, Mrs Titowa, Dr. Rothschild, Mr und Mrs Jariwan, Mr Ismail, Mrs Dawa, Mr Sanchez, Mr Sandberg, Mr Chang. Sie alle haben sich entschieden hier zu bleiben. Bei ATLAS. Sie haben sich entschieden, jungen Leuten wie dir zu helfen. Denn ihr seid unsere Zukunft. Und die Zukunft der ganzen Menschheit."
"Ist ja gut.", murrte die Jugendliche. "Ich bleibe."
"Was?" Clara hatte Mr Cummingfield aus dem Konzept gebracht.
"Ich werde hierbleiben und mich ausbilden lassen. Zumindest solange die Möglichkeit besteht, dass ich es schaffe, meine Kräfte zu kontrollieren. Sollte ich das nicht hinbekommen, steige ich auf dem Mount Everest und komme nie mehr hinunter."
"Das scheint ein Deal zu sein." Mr Cummingfield nickte zufrieden. Er reichte der Jugendlichen die Hand.
Clara war zunächst verwirrt. Die meisten Erwachsenen hätten sie ausgelacht, als sie im todernsten Ton darüber sprach, als Einsiedler auf dem Mount Everest leben zu wollen. Aber der Trainer sah sie nur unverwandt an und schien nicht einmal verwundert zu sein.
Clara schlug schließlich seufzend ein. "Jetzt schauen sie doch nicht so selbstzufrieden.", bemerkte sie mit einem grinsenden Augen.
Er musterte sie mit ehrlichen Interesse. "Doch nicht so schüchtern, hm?"
"Gut-Böse-Gut.", murmelte sie.
"Was?" Das Gesicht des Schwertkampflehrers zeigte eine Mischung aus Verwirrung und Belustigung.
"Schon gut. Vergessen Sie es." Der junge Para wand sich zum Gehen. Sie war auf dem halben Weg nach draußen, als Mr Cummingfield nach ihr rief.
"Mademoiselle Dupin?"
"Ja?" Clara drehte sich erneut zu ihm um.
"Es freut mich, dass sie sich so gut mit dem jungen Jariwan verstehen."
Er grinste.
"Das freut... mich... auch.", erwiderte Clara etwas verwirrt.
"Weitermachen."
Clara grinste ebenfalls und verließ nun tatsächlich den Raum.
YOU ARE READING
World of Mystic Special - Clara
Ficção CientíficaJa, ich gehöre im Prinzip auch mit zum "World of Mystic"-Projekt von testedich.de. Mein Charakter ist Clara Dupin, ein Charakter, der in der Hauptstory eigentlich nur eine Trainerin bei ATLAS ist. In meiner Geschichte könnte ihr noch mehr aus der V...