Freitag, 08.08.1879

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Nach der überraschenden Rückkehr des Hausherrn hatte ich fest damit gerechnet, es würde ein Triumph gefeiert oder wenigstens verkündet werden. Das hatte sich Lord Jonathan bis jetzt noch nie nehmen lassen. Dieses Mal jedoch, obwohl es sich hierbei um einen Erfolg handelte, den es durchaus zu bejubeln galt, bekam ich ihn nach seinem eiligen Verschwinden aus der Eingangshalle nicht mehr zu Gesicht. Nicht einmal beim gemeinsamen Abendessen, während welchem vornehmlich geschwiegen wurde, ließ er sich blicken. Eine Entschuldigung für sein Verpassen der gemeinsamen Mahlzeit schien ebenfalls nicht vorzuliegen, denn sein Platz war gedeckt gewesen und dass Lady Elizabeth innerlich gebrodelt hatte, war deutlich zu spüren gewesen.

Auch an diesem Morgen hatte er sich wohl schon in den frühen Morgenstunden in sein Arbeitszimmer verzogen, was mir Florence mitteilte, als sie mich weckte und sofort wieder fortmusste, um ihm sein Frühstück zu servieren.

„Er brütet über irgendwelchen Unterlagen", teilte das Dienstmädchen mir freigiebig mit, als ich nach dem Grund fragte, wieso der Lord sich denn nicht ausruhe nach einer so stressdurchzogenen Zeit. „Finanzen und dergleichen. Nichts mit dem ich mich herumplagen wollen würde und Sie ganz gewiss auch nicht, Miss."

Wenn sie so mit mir sprach, vergaß ich beinahe, dass es sich um den Bruder ihrer Mutter handelte, von dem sie da redete und welchen sie so klaglos wie bescheiden bediente. Ganz gleich dieses Umstandes – der Jonathan vielleicht ein wenig nachlässiger mit seinen Angelegenheiten umgehen ließ, wenn Florence sich im Raum aufhielt, als er eigentlich sollte und auf der anderen Seite Florence vielleicht eher dazu bewog, ihrer Familie beizustehen als mir und daher womöglich nicht ganz die Wahrheit sprach – dankte ich still für die Auskunft und drückte laut mein Unverständnis dafür aus, sich so für seine Geschäfte aufzuopfern. Dabei fügte ich noch hinzu, dass nicht einmal mein Vater sich in der Zeit, in welcher sich die Anzahl seiner Käufer sich wie aus dem Nichts verdoppelt hatte, mögliche freie Tage mit noch mehr Arbeit gefüllt, sondern sich lieber ausgeruht hätte.

„Jonathans Ruhe ist seine Arbeit", erwiderte Florence daraufhin nur und ließ mich allein, um dem arbeitenden – oder sich vielleicht doch ausruhenden – Lord sein Frühstück zu servieren.

Lady Elizabeth schien an diesem Morgen nicht mehr mit dem Erscheinen ihres Gatten am Frühstückstisch zu rechnen. Sie wirkte deutlich gefasster als am Vorabend, hatte wieder ihre gewohnt kühle Maske aufgesetzt, doch die dunklen Schatten unter ihren Augen zeugten von einer schlaflosen Nacht.

Meine Hoffnungen, dass der Rat die Hamiltons zerschlug, hatten sich zwar am gestrigen Tag in Luft aufgelöst, doch ich hatte ja nicht ahnen können, welche neuen Wege sich mir jetzt nun boten. Es erschien mir nun noch verlockender, dass sich die einzelnen Familienmitglieder gegeneinander ausspielten, sodass ihr bröckelnder Zusammenhalt auseinanderbrach. Und stellte ich mich schlau genug an, konnte ich diesen Vorgang sogar noch beschleunigen.

Noch wagte ich mich jedoch nicht, Elizabeth anzusprechen, um so herauszufinden, was zwischen ihr und ihrem Ehegatten vorgefallen war oder gar sie dazu zu bringen, dem offensichtlichen Groll gegen ihn Ausdruck zu verleihen. Nicht, weil mir das Risiko zu groß erschien, sondern schlichtweg, weil ich mich nicht traute.

Auch, wenn meine Gedanken in letzter Zeit einiges an Wagemut dazugewonnen hatten, bedeutete es noch längst nicht, dass ich sie genauso in der Wirklichkeit umsetzte. Gestern hatte ich mir selbst gegenüber große Töne gespuckt, wie ich mich dem unnachgiebigen Griff der Hamiltons entwinden konnte, doch jetzt, da ich meiner Möglichkeit direkt gegenübersaß, war sie einschüchternd wie eh und je, ließ mir mein Herz bis zum Hals schlagen, die Handflächen feucht werden und den Mund wie zugenäht erscheinen lassen. Ich konnte es mir noch so sehr wünschen, die Angst schwand nicht aus meinem Körper, nur weil ich es unbedingt wollte.

BlutbrautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt