Donnerstag, 09.01.1879

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Vielen Dank für die über 900 Reads und ganz besonders für die über 100 Votes. Ich hätte nie erwartet, so viele Leute erreichen zu können. Am meisten würde ich mich jetzt über ein paar Kommentare freuen, in denen ihr schreibt, was ihr so von der weiteren Handlung erwartet und ob ihr schon irgendwelche Theorien habt, was noch passieren wird. Da ich das plotten mehr oder weniger aufgegeben habe, könnte es sogar sein, dass ich mich von einer Lesertheorie inspirieren lasse :)


James und Theodore spielten Schach. Sie waren mit voller Ernsthaftigkeit bei der Sache und es hatte einen gewissen Unterhaltungswert, ihnen dabei zuzusehen.

Es war James' Zug und der starrte jetzt seit einiger Zeit auf das Brett, ohne sich auch nur ein bisschen zu regen. Je länger er brauchte desto mehr breitete sich ein Lächeln auf Theos Gesicht aus. Ich vermutete, dass er einen Zug entdeckt hatte, der ihm schadete, den James aber offensichtlich nicht sah. Ich hatte auch keine Idee wie James das Spiel zu seinen Gunsten beeinflussen könnte. Allerdings war es sehr wahrscheinlich, dass er entweder seine Dame oder einen Turm verlieren würde.

„Komm schon", zog Theo ihn auf. „So schwer kann das doch nicht sein."

James reagierte, indem er die Augenbrauen enger zusammenzog und sich noch mehr auf das vor ihm liegende Spielbrett konzentrierte. Er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen.

Theodore seufzte und lehnte sich zurück. „Wenn du willst kannst du dich auch geschlagen geben."

„Geduld", ließ James, immer noch völlig versunken, verlauten.

„Ich wusste doch, dass es einen Grund gab, weswegen ich so selten gegen dich spiele. Gegen Anna zu spielen ist deutlich angenehmer, sie fackelt nicht lange, sie spielt einfach."

„Als ob ihr beiden jemals Schach spielen würdet", spöttelte James unvermittelt und ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Dann versetzte er seinen Springer.

Theo schmunzelte und vollführte sofort seinen Gegenzug, wobei er den soeben versetzten Springer mit seinem Läufer schlug.

James biss sich auf die Unterlippe. Das tat er immer, wenn ihn etwas ärgerte, hatte ich bemerkt.

„Du hast immerhin noch deine Dame", versuchte ich, James zu motivieren.

Er sah kurz zu mir und lächelte. „So ziemlich nur eine Dame."

„Ich habe Evelyn neulich spielen sehen und ich muss sagen, dass diese Lage für sie schon ein Erfolg ist." Theodores Stimme klang nicht nur nach einer einfachen Stichelei. Sie klang beinahe schon vorwurfsvoll und herablassend.

In mir zog sich etwas zusammen. Ich hatte gedacht, wir hätten diese Phase hinter uns gelassen und wären dabei, friedlich nebeneinander zu leben. Ich hatte gedacht, wir wären zu einem stummen Einverständnis gekommen an dem Tag vor genau einem Monat.

Dennoch hoffte ich, dass James diese Aussage anders auffasste als ich und nicht begann, mich zu verteidigen. Es war nicht seine Aufgabe und es erinnerte mich zu sehr daran, dass er das einzige war, was mir mein Leben sicherte.

Glücklicherweise ging James nicht darauf ein und die Partie wurde fortgesetzt.

James schlug sich noch überraschend gut und konnte sich aus dem Matt befreien, bevor er letztlich nur noch zwei Figuren außer seinem König auf dem Brett hatte.

Theo bewegte seine Dame ein letztes Mal.

„Schachmatt", verkündete er und stieß James' weißen König mit einem Fingerschnipsen um.

„Ich erwarte, dass ich eine Revanche bekomme", sagte James und grinste Theo an. Dabei fuhr er in unwahrnehmbarer Geschwindigkeit seine Reißzähne aus.

Angst. Ich fühlte pure Angst. Ich konnte nicht länger hier bleiben.

Ehe ich weiter nachdachte, sprang ich auf und lief davon. Aber noch bevor ich mein Zimmer erreichte, hatte James mich eingeholt und hielt mich am Arm fest.

Ich drehte mich zu ihm um und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.

„Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen, aber ich habe nicht darüber nachgedacht. Du musst keine Angst haben, Evelyn. Das verspreche ich dir."

Ich senkte meinen Blick nicht, obwohl ich das sehr gerne getan hätte. Ich hielt dem nicht mehr lange stand, aber es gab keinen anderen Weg als in die mir mittlerweile so vertrauten Augen zu sehen, mich auf sie zu konzentrieren. Ich musste stark sein.

„Du hast Angst, oder?", fuhr er fort.

„Ja", gab ich mit brüchiger Stimme zu. Wieso sollte ich das leugnen, was so offensichtlich war?

„Gibt es irgendetwas, was ich tun kann, um es wiedergutzumachen?"

Ich zögerte. Das war eine lächerliche Frage und das wusste er genau. Dennoch kam mir eine Sache in den Sinn, die mindestens genauso absurd war wie seine Frage.

Ich griff nach James Händen und hielt sie fest. „Zeige sie mir erneut", forderte ich ihn auf.

Er sah mich verwirrt an. „Bist du dir sicher?"

„Ja", bestätigte ich, auch wenn meine Stimme immer noch zittrig war.

Er nickte. Dann öffnete er seinen Mund. Ich musste mich stark zusammenreißen, um nicht einfach die Augen zu schließen aber ich wollte - nein - musste das durchstehen.

Ich konnte nicht an den Raubtierfängen vorbeisehen, die da aus James Mund ragten und es kostete mich alle meine Kraft, die aufwallende Übelkeit, die sich bemerkbar machte, zurückzuhalten.

Ich merkte wie mein Griff um seine Hände sich verstärkte und war mir sicher, dass meine Fingernägel sich in sein Fleisch gruben, aber es war der einzige Weg, um mich zu zwingen, vor ihm stehenzubleiben.

Ich hatte nicht damit gerechnet, aber das schlechte Gefühl in mir wurde langsam immer weniger. Es war nur um eine winzige Nuance abgeschwächt, aber das reichte, um es ein wenig erträglicher zu machen. Ich würde das überstehen. Und damit meinte ich nicht nur diesen Moment, sondern alles, was noch auf mich zukommen sollte.

„Das reicht jetzt", sagte James und ließ die Zähne wieder in seinem Kiefer verschwinden. „Du quälst dich nur damit."

„Es ist in Ordnung", versicherte ich ihm. „Irgendwann wird es mir nichts mehr ausmachen."

Es wäre nicht notwendig gewesen, seine Hände noch länger zu halten, aber ich tat es trotzdem. Es gab mir Kraft.

„Ich werde zukünftig mehr darauf achten", versprach er mir. „Es tut mir weh, dich leiden zu sehen."

Dann lass mich gehen, hätte ich beinahe gesagt, aber ich wusste, dass er das nie tun würde. Und ich konnte ihn nicht mal dafür hassen.

„Ich denke du brauchst jetzt etwas Zeit für dich", sagte James und befreite seine Hände sanft aus meinen.

Und gerade, als er gehen wollte...

„Ich brauche jetzt keine Zeit für mich. Ich brauche dich."

Hatte ich das gerade wirklich gesagt?

James schien genauso überrascht zu sein wie ich. Er sagte nichts, sah mich einfach nur verwundert an und irgendwann stahl sich das herzerwärmendste Lächeln, das ich je gesehen hatte.

„Wie wäre es, wenn wir eine Runde Schach gegeneinander spielen?", schlug ich vor.

„Das klingt gut", antwortete James und wir gingen wieder zurück.

Und beinahe konnte ich die schrecklichen Erinnerungen aus meinem Kopf verbannen.



BlutbrautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt