-1- Nächtlicher Besuch

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30. März 2017. Córdoba

Leise Windstöße rissen mich aus meinem unruhigen Schlaf.
War ich etwa eingeschlafen?
Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich mich auf dem Bett meines Hotelzimmer befand.

Ein Blick aufs Handy verriet mir, dass es erst 19:10 Uhr war. Die Nacht war noch jung, aber ich hatte herzlich wenig Lust etwas zu unternehmen. Ich müsste mir etwas Vernünftiges anziehen und mich von meiner geliebten Jogginghose trennen. Wahrscheinlich würden mich auch noch Fans attackieren, da sie bereits herausgefunden hatten in welchem Hotel wir eingecheckt hatten.
Nein da blieb ich doch lieber in meinem warmen, sicheren Zimmer.

Meine Kollegen gingen heute Essen. Das hatte ich heute bei der Probe mitbekommen. Während ich mitten unter ihnen saß, hatten sie darüber diskutiert in welches Restaurant sie gehen würden, aber niemand hatte mich gefragt, ob ich vielleicht auch mit gehen wollte. Nicht einmal Ruggero.

Ich war es leid, dass er in den ganzen Interviews behauptete wir verstünden uns so gut als seien wir Geschwister. Doch weder ich verstand was wir denn für einander waren. Wäre er ein Freund, würde er zu mir stehen. Mochte sein, dass er es nahezu jedes Mal schaffte, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und dass es ihm manchmal gelang die Welt für einen Augenblick anzuhalten, wenn wir zusammen waren. Aber das war nicht das was ich von einem Freund erwartete. Freunde sollten zusammenhalten. Und das konstant, nicht nur wenn einem gerade nach ein bisschen Spaß war.

Im Grunde war es auch mit den anderen so. Mit Michael, Jorge und Katja. Allein verstanden wir uns gut, aber ich gehörte einfach nicht zur Gruppe. Außer mit Lionel. Mit Lio war es anders. Wir beide verstanden uns blendet und er hatte mich nie ausgeschlossen. Jedoch hatte er sich entschieden nicht mit auf Tour zugehen.

Wenn die Kameras aus waren, war ich für sie alle auf einmal unsichtbar.
»Wir sind eine große Familie!«, sagten sie in allen Interviews. So eine 'Familie' konnte ich nicht gebrauchen.
Alles war so schnell geschehen. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie sehr ich mich am Anfang gefreut hatte, dass meine Kollegen in meinem Alter waren. Zuvor hatte ich immer mit Erwachsenen, welche mindestens über Dreißig waren gearbeitet, weshalb sich der Soy Luna Cast nur zu verlockend angehört hatte. Und das war es zu Anfang auch. Wenn ich mir überlegte was für Spaß ich während der Dreharbeiten der ersten Staffel mit meinen Kollegen gehabt hatte. Wie glücklich ich damals war. Mein Traum hatte sich ermöglicht und von Tag zu Tag schien alles viel zu schön, um war zu sein. Wahrscheinlich war ich in einem rosa Bläschen gewesen und hatte nicht mitbekommen wie die Beziehung zu mir und dem q1Cast langsam, aber schneller als erwartet auseinander brach.

Das reichte nun. Eigentlich war ich ein fröhlicher Mensch, sie konnten mir doch alle egal sein. Am Ende war ich es die am besten bezahlt wurde und die meisten Abonnenten auf Instagram hatte, abgesehen von Ruggero, da sich alle Mädels für Mrs Pasquarelli höchstpersönlich hielten.

Außerdem hatte ich meine wahre Familie die mich immer unterstützte, genau wie meine wahren Freunde. Ich sollte mich wirklich nicht von meinen Kollegen runterziehen lassen, sie waren es einfach nicht wert.
Ich wusste nicht warum ich gerade in Trauer versank. Viellicht war es der Stress der Tour.

Manchmal stellte ich mir schon vor, wie es wäre, wenn alles wieder 'normal' wäre. Wenn ich wieder in Mexiko leben würde. Mit meinem Vater, meinem Bruder und meiner Mutter. Ich würde jeden Tag meine Freunde in der Schule sehen.

»Ich lebe meinen Traum und ich bin glücklich darüber!«, redete ich mir selbst ein.
Das hier war doch lediglich eine Phase, mir ging es gerade einfach nicht gut und ich konnte nicht klar denken. Das allein war der Grund. Ich war glücklich wie sich alles entwickelt hatte und nicht das Gegenteil. Der Stress verwirrte mich, das war alles.
Ich musste nun schlafen und diese düsteren Gedanken ein für alle mal loszuwerden. So war ich nicht.

Verblasst -RuggarolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt