Bei Rosen und Lavendel

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Ich betrete die Küche. Meine nackten Fußsohlen berühren die anthrazitfarbenen Kunststofffließen. Mit einem Ruck reiße ich den Kühlschrank auf, im Sommer klemmt er manchmal. Nur sein Licht erhellt den Raum und mein Gesicht in einem warmen Gelb. Ich schaue hinein, um festzustellen, dass gar kein Saft mehr da ist. Zum Trost schnappe ich mir ein Glas Leitungswasser und zwei Butterkekse und setzte mich mit meinem einsamen Mahl an den Esstisch. Der Wasserhahn tropft noch eine Weile weiter und mein Herz schlägt mit ihm. Durch das Fenster in der Dachschräge kann ich den Mond erblicken. Keine einzige Wolke ist zu sehen und so zieht mich sein Leuchten magisch an.

Eine ganze Weile verharre ich so. Ich lehne mich ihm Stuhl zurück und schließe die Augen, seufze. Ich muss an dich denken, du fehlst mir. Fast kann ich deine Berührungen auf meiner Haut spüren, deine Worte hören. Erschreckend genau weiß ich noch, wie es sich anfühlte als deine Finger meine Wangen gestreichelt haben, ohne diese wirklich anzufassen. Wie deine Hände mich festgehalten und gemacht haben, dass ich nie wieder von dir weggehen wollte. Deine Augen, in die ich mich stundenlang hätte verlieren können. Sturmblau, fast wie Tinte,  manchmal mit Graustich. Immer jedoch dieser wunderbare Blick, der mir das Gefühl gab wichtig, einzigartig, liebenswert zu sein. Meine Haare stellen sich auf, ein Zittern durchfährt meinen Körper, ein schmerzhaftes Zucken mein Herz. Mein Verstand ist völlig abgeschaltet, denn er kann mir nicht sagen wohin du auf einmal verschwunden bist. Plötzlich rollt eine Träne meine Wange hinunter und hinterlässt ein furchtbar ähnliches Gefühl, wie deine Hand es getan hätte. Eigentlich wollte ich wieder zurück ins Bett, doch ich weiß, dass ich mich nicht der einsamen Leere meiner geblümten Bettdecke hingeben kann. Die unendlichen Weite der Matratze ertragen ohne die Wärme deines Körpers neben mir zu spüren und den Geruch deines T-Shirts einzuatmen.

Also beschließe ich eine Runde zu drehen, zu sehen, wohin mich meine müden Füße tragen. Ich habe nur ein einfaches Nachthemd an, doch im Moment ist das mir komplett egal. Ich komme draußen auf der Straße an und ich spüre wie die Spitzen des noch warmen Asphalts in meine Fersen stechen. Wie in Zeitlupe setze ich mich in Bewegung. Von alleine laufe ich vor mich hin, der Wind zerrt sachte an meinem Nachthemd, so dass es meine Beine umspielt und gegen meine Oberschenkel flattert. Das Licht, das heute scheinbar seine ganze Fantasie spielen lassen will, ist fast kirschrot, als ich die Gabelung erreiche. An der Ecke ist ein kleines Beet mit Rosen und Lavendel, auf das ich zusteuere. Ich streiche mit der Hand durch den Lavendel, reibe ein paar Blüten zwischen meinen Fingern und rieche daran. Der Geruch nach Sehnsucht, nach Lagerfeuerabenden, nach Abenteuer durchströhmt mich. Bei einem Blick zurück bemerke ich, dass die Szene nun beinahe viollett wirkt, da die Sonne schon fast am Horizont verschwunden ist.

Behutsam setze ich mich in das Beet, mitten in die Rosen. Weniger behutsam bohren sich deren Dornen in meine Beine. Ohne dies zu beachten, lehne ich mich nach hinten und auch meine Arme werden verziert von Kratzern. Ich blicke in den Himmel, der nun ein dunkles blau angenommen hat, das mir Geborgenheit spendet. Die Silhouetten der umliegenden Bäume sind noch schwach zu erkennen, wie sie durch die Nacht jagen. Auch ein paar erste Sterne dekorieren das Firmament. Immer mehr werden es, unzählbar viele, kleine Punkte, die mich anstarren. Ihr Zauber überwindet mehrere Lichtjahre, bis er mich schließlich erwischt, wie ein Schnupfen, der glücklich macht. Die Straßenlaterne direkt neben mir geht an und taucht mich nun, wie der Kühlschrank vorher, in warmes, goldenes Licht. Es kommt mir vor, als wäre ich der einzige Mensch auf Erden. "Scheibenhonig!", schreie ich dem Nachthimmel entgegen. Fast scheint es mir als müsse er antworten. Ein Windstoß fegt über mein Gesicht und ich schließe meine Lider.

Als ich sie wieder öffne hat sich die Atmosphäre gewandelt: Der Himmel ist strahlend blau, von einzelnen Wolken durchzogen. Sie sehen aus wie Zuckerwatte und ich will mich in sie hineinschmeißen. Die Sonne strahlt mir direkt ins Gesicht. Was ist nochmal passiert? Ich erhebe mich aus dem Beet und zerknautscht mache ich mich auf den Heimweg.

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