Regentropfen

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Ich sitze da, mitten im Raum, und schaue aus dem Fenster, es ist offen. Hindurch fliegen Regentropfen und springen von der Fensterbank auf den Boden. Ihre Genossen laufen wunderschön romantisch an den Fenstern hinunter und obwohl es regnet ist der Himmel strahlend hell. Vor meinem inneren Ohr ertönt die Melodie der Sehnsüchte meines Herzens. Schon immer habe ich bewundert, wie ein paar Töne ein Gefühl so gut beschreiben können. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, wie ich aus dem Fenster springe und mich in den Regentropfen auflöse. Ein paar Sekunden verharre ich so.

Dann werde ich zurück in die Wirklichkeit gerissen. Nun starrt der Himmel mich von draußen grau-gelb an. Ein greller Blitz und ein darauffolgender Donner vollenden die bedrohliche Atmosphäre. Stimmen schwellen an zu einem sauren Brummen und zersprengen mein farbloses Herz in 1257 Splitter, die meine Brust durchbohren. Der Schmerz der Realität setzt pochend wieder ein. Ich laufe auf das Fenster zu und strecke mein Gesicht gen Himmel. Regentropfen verzieren meine vernarbte Haut und für einen Augenblick fühle ich mich frei, doch das bin ich nicht. Ich lehne mich nach vorne. Mein Gewichtsscherpunkt verlagert sich und ich falle.

Nach und nach lösen sich die Splitter auf, der Schmerz lässt nach. Und mit ihnen löse auch ich mich auf. Ich werde eins mit den Regentropfen und mit dem Geruch des nassen Asphalts. Ein letzter Ton erklingt, doch er wird langsam leiser und alles wird schwarz.

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