1. Warten

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Fasziniert ließ ich meinen Blick über die Menschenmassen um mich herum schweifen. Ich wusste selbst nicht, was mich dazu gebracht hatte, hier her zu kommen. Vielleicht war es Neugierde gewesen, die mich dazu bewegt hatte, mir eine Konzertkate zu kaufen, vielleicht auch eine Art nostalgische Sehnsucht. Mik war früher, in unserer Schulzeit, mein bester Freund gewesen, zwischenzeitlich sogar mehr. Nach unserem Abi jedoch hatten wir es nicht geschafft, diese Freundschaft aufrecht zu erhalten, wir beide hatten eine Ausbildung in verschiedenen Städten begonnen und während wir am Anfang noch recht regelmäßig geschrieben und ich Mik sogar ein Mal in Potsdam besucht hatte, hatten wir uns ziemlich bald aus den Augen verloren.

Als ich jetzt das erste Mal wieder von meinem Schulfreund gehört hatte, hatte ich es zuerst gar nicht glauben können. Ich war mir selbst nicht sicher gewesen, ob es eine gute Idee gewesen war, als ich mir kurzerhand eine Karte gekauft hatte.

Und trotzdem stand ich jetzt hier, irgendwo mittig in einer für mich unfassbar langen Schlange aus wartenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis in mein Alter, die aufgeregt quatschten und sich auf das Kommende zu freuen schienen. Viele der Wartenden saßen auf dem geteerten Boden, zwischen ihnen lagen vereinzelt Reste von buntem Papier. Irgendwo weiter vorne wurde Musik gespielt und ich erkannte Miks Stimme, die mir merkwürdig bekannt und unbekannt zugleich vorkam. Mik hatte schon früher immer Musik geliebt, selbst Lieder geschrieben, gespielt und gesungen. Und trotzdem war es irgendwie unfassbar, dass nun so viele Menschen gekommen waren, nur um ihn zu hören.

»Sorry, hättest du Feuer?«

Vor mir stand ein Mädchen mit kurzen, dunklen Haaren und einem schwarzen T-Shirt, auf dem in weiß und rot Miks Pseudonym prangte.

darkviktory

Ich nickte und kramte aus meiner Tasche ein Feuerzeug, das ich außer auf Partys, wenn ich doch mal eine rauchte, eigentlich nur zum Öffnen von Flaschen benutzte und hielt es dem Mädchen hin, das aus einer kleinen Holzschachtel zwei Zigaretten zog, wovon sie sich die eine zwischen die Lippen steckte und sich die andere hinter das Ohr klemmte. Während sie die eine anzündete, ließ sie die restliche Schachtel wieder in ihrer Jackentasche verschwinden und gab mir anschließend das Feuerzeug zurück, wobei sie die Zigarettenluft tief in ihre Lungen zog.

Mik hatte früher auch geraucht. Ob er wohl inzwischen aufgehört hatte?

»Wie lange feierst du darkviktorys Musik schon?«

Ich war etwas überfordert von der Frage.

»Schon ... eine ganze Weile, denke ich. ich hab die Musik früher immer gerne gehört und bin jetzt letztens wieder darauf gestoßen. Ich dachte mir, ich schaue mal, ob sie mir immer noch gefällt.«

Immerhin nicht ganz gelogen.

Das Mädchen lachte.

»Ja gut. Ich kenne ihn zwar erst sei 'nem Jahr oder so, aber ich höre nichts anderes mehr als seine Musik. Und seine Konzerte sollen ziemlich awesome sein. Ich freu mich schon richtig darauf.«

Ich nickte.

»Wusstest du, dass Mik seine Musik früher alles alleine gemacht hat? Also auch die Instrumente und so? Gut, das geht jetzt live aber auch schlecht. Deswegen inzwischen mit Band uns so.«

Ich war zuerst etwas über Miks Namen aus einem fremden Mund gestolpert, aber eigentlich war es logisch. Miks echter Name hinter dem Pseudonym war schließlich kein Geheimnis. Und trotzdem hörte er sich ungewohnt an aus einem fremden Mund.

Ich lachte leise auf. Das Mädchen war mir irgendwie sympathisch.

»Du kennst dich aus?«

Die Wangen des Mädchens färbten sich ein wenig rot, während sie mit dem Finger Asche von ihrer Zigarette auf den Boden klopfte.

Buntes Papier ~ #KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt