Der mit dem unverdienten Schicksal

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Zu Fuß würde es eine Weile dauern bis wir den Wald erreichen. Die ganze Zeit war es still zwischen uns. Aber über was sollte ich auch mit ihm schon reden? Smalltalk war echt nicht mein Stil. "Kannst du vielleicht mein Handgelenk los lassen? Ich folge dir auch ohne das du mich festhalten musst", vernahm ich J-Hopes schüchterne Stimme auf einmal. Ohne zu zögern ließ ich los und mich suchte eine komische Kälte Heim. Sie war irgendwie anders als die, die ich kannte. Doch ich lenkte meine Aufmerksamkeit schnell auf den Wald, der sich nun vor uns erstreckte. "D-du willst da rein?", fragte mich J-Hope mit zittriger Stimme und zeigte in die Finsternis des Waldes. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. "Hast du etwa Angst?" Ich muss sagen, ihn zu necken machte mir jetzt schon Spaß. "Ich? Nein, ich meine ja nur. Wir könnten uns ja verirren." Der zittige Ton in seiner Stimme nahm nur noch mehr zu. "Du weißt schon, dass es nicht schlimm ist, wenn man Angst hat", sagte ich skeptisch, dennoch sanft, zu ihm und versuchte so ihn zu beruhigen. "Ich habe keine Angst!", beteuerte er nochmals. Ich zuckte mit meinen Schultern. "Wenn du keine Angst hast, dann lass uns gehen." Ich schaltete Taschenlampe meines Handys ein und setzte nun meinen Weg fort. J-Hope zögerte, lief mir jedoch hinterher. Ich bringe ihn noch dazu zu zugeben, dass er sehr wohl Angst hatte. Und ich wusste auch schon wie. Vielleicht ist es etwas kindisch, doch ich war mir sicher, dass das klappen würde. Ich meine, er zuckte ja jetzt schon zusammen, wenn ein Vogel aus dem Busch heraus flog oder das knacken der Äste hörte. Wir folgten dem Weg für eine Weile bis- "Buh!" J-Hope sprang panisch zurück und fing an wie am Spieß zu schreien. Ich fing an zu lachen. "D-das war nicht witzig", meinte er als er sich kurz darauf wieder einigermaßen beruhigt hatte. "Also ich schon. Wie war das nochmal mit 'Ich habe keine Angst'?", fragte ich ihn neckend. Mein Grinsen wurde nur breiter und breiter. "Ja gut, ich habe etwas Angst", gab er zu. "Etwas?", hackte ich sofort nach. "Ja gut, ich habe Angst." Zufrieden nickte ich. "Nächstes Mal kannst du mir sowas ruhig direkt sagen. Ich finde es mutiger, wenn man sagt, dass man Angst hat, als so zu tun als hätte man keine. Außerdem mag ich keine Lügen." Sanft lächelte ich ihn an und wollte weiter gehen. "V", vernahm ich nun seine ängstlich klingende Stimme. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn mit einem fragenden Gesichtsausdruck an. "Kannst du meine Hand nehmen?" Er streckte mir seine Hand entgegen und sah verlegen weg. Ich brauchte ihn nicht einmal in irgendeiner Weise anleuchten. Ich wusste auch so, dass er rot geworden war. Verständlich, doch auch beeindruckend. Ich glaube, ich wäre zu stolz, um überhaupt jemanden zu gestehen, dass ich Angst hätte. Anscheinend war sein Ego doch nicht so groß wie ich dachte. Ich nahm seine Hand vorsichtig in meine. Ohne zu zögern verschränkte er seine Finger mit meinen. Seine Hand war weich und warm. Sie fühlte sich einfach wundervoll an. Langsam gingen wir weiter den Waldweg entlang und ich musste gestehen, dass ich es genoss seine Hand zu halten. Aber warum? Ich war immer abgeneigt von seiner Art. Doch er war auf einmal ganz anders, offener, freundlicher, schüterner und ich muss sagen, dass diese Seite von ihm mir tausend Mal besser an ihm gefiel ans diese überhebliche Seite. "Sind wir bald da?", holte mich J-Hope aus meinen Gedankengang. "Es ist nicht mehr weit." Er nickte. "Gut, du zitterst nämlich." Jetzt, wo er es erwähnte, bemerkte ich, dass er recht hatte. "Hier, nimm die." Er reichte mir seine Jacke. "Nein, nein, ich brauche sie nicht. Du friest doch sonst", versuchte ich ihn umzustimmen. "Im Gegensatz zu dir habe ich noch einen Pullover an, während du nur in so einem dünnen Fetzen als Jacke und einem T-Shirt herumläufst", meinte er und hielt mir wieder die Jacke hin. "Danke", gab ich kleinlaut von mir. Ich nahm sie und zog sie mir schnell über. Sofort wurde mir wärmer und ein angenehmer Geruch stieg mir in die Nase, J-Hopes Eigengeruch. Ich vergrub meine Nase weiter in dem Kragen seiner Jacke und inhalierte schon fast diesen Geruch. Wie kann ein Mensch nur so gut riechen?

Kurz darauf erreichten wir auch den Ort, den ich meinte. Ich kramte den Schlüssel zu der kleinen Blockhütte heraus und schloss die Tür auf. "Die gehört meiner Oma, doch sie ist zu alt, um hierher zu kommen. Und da ich mich einmal bei ihr aufgeregt hatte, wie sehr meine Eltern mich doch nervten, hat sie mir kurzerhand den Schlüssel hierfür gegeben. Sie meinte, dass es für mich als Rückzugsort dienen solle", klärte ich J-Hope auf ehe er fragen konnte. Drinnen fragte ich ihn, ob er etwas trinken wolle. Er bejahte und ich beschloss uns beiden eine heiße Schokolade, zum Aufwärmen zu machen. Da ich fast in dieser Hütte lebte, hatte ich auch immer etwas an frischen Lebensmitteln da. Fertig mit unseren Getränken, begab ich mich wieder zu J-Hope. Ich stellte die beiden dampfenden Tassen auf dem kleinen Tisch vor den beiden Schaukelstühlen ab. In einen der beiden Schaukelstühle vor dem Kamin hatte er es sich schon bequem gemacht. Schnell holte ich noch zwei Wolldecken und reichte ihm eine. "Danke." Ich ließ mich nun auch in dem anderen Schaukelstuhl nieder und nahm mir eine der beiden Tassen. Es war still. Ab und zu hörte man die Schluckgeräusche von einen von uns, wenn wir unseren Kakao tranken.

"Also warum ist dir dein Status als Tänzer so wichtig?" Ich stellte meine leere Tasse auf den Tisch und sah ihn abwartend an. "Na ja ist eine etwas längere Geschichte", begann er, "Meine Mutter hat eine Kaufsucht und kauft gefühlt alles, was ihr in die Finger kommt. Sie kann nicht einkaufen gehen, sie kann keine Werbung im Fernseher sehen ohne den Drang zu verspüren, dass sie es kaufen muss. Mein Vater muss dadurch nur noch mehr arbeiten gehen und ich sehe ihn vielleicht mal alle zwei Wochen. Ich muss den Einkauf Woche für Woche übernehmen. Meine Mutter übernimmt wenigstens den Haushalt. Zuhause bin ich auch nie gerne. Wir leben wie die Messis. Überall steht irgendwas herum. Selbst mein Zimmer dient schon als Abstellkammer, weil wir so viel Zeug haben. Ich halte mich deswegen so wenig wie möglich Zuhause auf und fand dann irgendwie die Lagerhalle. Durch die Sucht meiner Mutter konnte ich auch nicht weiter tanzen gehen, da wir uns es einfach nicht leisten können und diese Halle bot den perfekten Ort, damit ich wenigstens wieder meinem Hobby etwas nachgehen kann. Die Leute begann mir zu zujubeln und feuerten mich bei jedem battle mehr an. Ich muss sagen, dass mir dieser Ruhm echt zu Kopf gestiegen war. Doch ich bekam endlich Aufmerksamkeit von Leuten, die ich von meinen Eltern nie bekommen konnte. Doch du hast mich heute daraus geholt und irgendwie bin ich dir auch dankbar dafür, aber ich bin jetzt wieder nur auf mich gestellt. Die Leute werden über mich spotten. Ich kann mich da nicht mehr sehen lassen. Das wäre einfach zu demütigend." Am Ende fand ich, dass er die ganze Sache etwas zu dramatisch darstellte, doch ich konnte ihn verstehen. Und ich muss sagen, dass er mir schon Leid tat. Wenn ich mir vorstellen würde, dass meine Eltern nie für mich da gewesen wären, ich wüsste nicht, was ich jetzt wäre. Doch ihn jetzt zu sagen, dass niemand ihn verspotten, sie ihn immer noch als einen großen Tänzer ansehen würden und dass alles gut werden würde, hielt ich nicht für Richtig. Stattdessen stand ich auf, zog ihn zu mir hoch und nahm in den Arm. "Ich werde dich nicht verlassen. Du bist nicht mehr alleine ab heute." Ich hatte gerade einfach das Bedürfnis danach und es schien ihm auch gut zu tun. "Danke."

Tänzer der Nacht (Vhope FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt