Heart Attack

661 53 10
                                    

Hallöchen! 

Ich war sehr lange nicht auf Wattpad und hab nichts hochgeladen, aber eine Leserin (Grüße an Lotte!) meinte, sie würde mich von hier kennen und hätte eine Weile gebraucht, mein FF.de-Profil zu finden. Also lade ich vielleicht ein paar meiner Stexpert-FFs auch noch hier hoch :3

"Hearts" ist eine von Songs inspirierte Romanze über reale Personen, deren Handlungen hier frei erfunden sind. Ich hab keinerlei Rechte an den zitierten Songtexten. Ich verdiene kein Geld mit meinen Geschichten.

Playlist der FF: https://www.youtube.com/watch?v=jDELybyZ4oU&list=PLmtAjTJBUu-56R4R9O-FUFMbYp3Oww8te

Viel Spaß beim Lesen!


HEARTS

Each heart is a paper kite blown around by the breeze

Heart Attack

I'm putting my defenses up
Cause I don't wanna fall in love
If I ever did that, I think I'd have a heart attack

Es gab Tage, die Tim fast gänzlich im TS verbrachte. Er spielte mit Kumpels oder quatschte mit ihnen, vielleicht gab es auch was mit seinem Server zu besprechen oder er chillte auch mal eine Zeit lang allein in einem Channel, während er nebenbei was für die Schule machte.

Jedenfalls machte Tim an einem dieser Tage eine besondere Bekanntschaft auf etwas ungewöhnliche Weise. Er spielte mit einem seiner Kumpels eine Runde irgendein Spiel, an das sich Tim nur noch dunkel erinnerte. Dafür erinnerte er sich umso besser an den Typen, der einfach in ihren Channel kam und Tims Kumpel zulaberte.

„Jannik!", ertönte eine aufgebrachte Stimme. „Du bist schuld!"

„Stegi?", fragte Jannik abgelenkt und spielte weiter. Tim klickte kurz zum TS und sah nach. Es schien wirklich ein gewisser ‚Stegi' zu sein, was auch immer das für ein Spitzname war. Dann spielte er weiter – sollten die beiden das halt untereinander klären.

„Wer sonst, ne? Jedenfalls gibst du beschissene Ratschläge", maulte besagter Stegi.
„Oh nein", sagte Jannik mitfühlend. „Hat sie dich abblitzen lassen?"
„Ja, Mann." In Stegis Stimme hörte man nun die Enttäuschung durch die gespielte Anklage.
Jannik seufzte. „Scheiße. Was ist denn passiert?"

Und dann wurde Tim Zeuge, wie Stegi Jannik sein Herz ausschüttete. Eine Geschichte über ein bisschen Schwärmerei, über Bewunderung und über ein zaghaftes Ansprechen nach wochenlangem Mut-Zusammenkratzen und starker Motivation von Freunden. Eine kleine, schöne Geschichte, die sich aber wendete, als das Mädchen Stegi freundlich verklickerte, dass es vergeben sei.

Jannik fragte, ob es denn stimme. Ob sie denn wirklich vergeben sei und Stegi meinte nur: „Ist das nicht vollkommen irrelevant? Nein ist nein, ob mit Ausrede oder ehrlich."

Tim wusste nicht, was er von Stegi halten sollte, der in einen Channel jointe, Tim komplett ignorierte und Jannik zulaberte, aber diese Worte erschienen ihm ziemlich reif.

Jannik und Stegi tauschten sich noch weiter aus. Was hatte er gesagt, was hatte sie gesagt, was hatte Jannik geraten... Tim spielte die Runde zuende und überlegte, sich aus dem TS zu verabschieden, als eine gedämpfte Stimme bei einem der anderen ertönte.
„Oh, Stegi, Tim, ich muss weg", meinte Jannik schnell. „Tschau." Damit disconnectete er.

Stille breitete sich im TS aus. Das war nun das Worst-Case-Szenario. Sie kannten einander nicht, allerdings hatte Tim gerade Stegis Liebes- und Leidensgeschichte mit anhören dürfen.
Nicht gerade perfekte Bedingungen für Small Talk, in dem Tim eh nicht so der Beste war.

„Und du bist ein Kumpel von Jannik?", fragte Stegi und klang deutlich defensiver als in seinem Gespräch mit Jannik.

„Hmm", machte Tim. „Joah, schon. Und du?"
„Auch."

Damit war das Gespräch so ziemlich beendet und Tim klickte sich verlegen durch ein paar offene Tabs im Browser, ohne eine der Seiten wirklich wahrzunehmen. Es war ganz seltsam.
Sollte er irgendwie etwas zu Stegis und Janniks Gespräch sagen? Aber das ging ihn doch eigentlich nichts an...

Tatsächlich fiel Tim wieder ein, dass nicht nur Jannik, sondern auch ein paar andere Leute Stegi öfter mal erwähnt hatten, dass das ein ziemlich cooler und netter Typ wäre und Tim ihn mögen würde.
Tim hasste es, wenn man ihm sagte, dass er jemanden mögen würde, weil es ihn nötigte, entweder genau das zu erwarten und mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht zu werden oder sehr skeptisch und voreingenommen zu sein.

Nun war er also im TS mit diesem Stegi und der grübelte wahrscheinlich immer noch über seine unerwiderte Liebe nach.
Tim hatte tatsächlich ein bisschen Mitleid, aber vermutlich war Stegi einfach jemand, der sehr schnell sein Herz verschenkte und es danach auch schnell wieder zusammengeflickt bekam.
Trotzdem...

„Tut mir leid für dich", sagte Tim leise in die Stille. Vielleicht war Stegi ja schon längst aus dem TS raus und hörte ihn gar nicht...
Aber er schnaufte. „Ich geb dir einen guten Tipp, Tim. Verlieb dich nicht."

Tim schloss kurz die Augen. Er war noch nie verliebt gewesen, hatte nicht mal wirklich für jemanden geschwärmt. „Mach dir mal um mich keine Sorgen", sagte er. „Ich verliebe mich nicht. Pass du besser auf dein eigenes Herz auf."

Wieder herrschte Stille und nach einer gefühlten Ewigkeit sagte Tim: „Man hört sich vermutlich dann mal wieder. Ich geh dann jetzt."
„Hm, ja", meinte Stegi. „Ciao."

Tim hatte nach diesem Gespräch nicht viel von Stegi gehalten – und Stegi nicht viel von ihm. Eigentlich hatten sie beide nur festgestellt, dass ihre Kumpel keine Ahnung hatten, was für eine Art von Menschen sie mögen könnten.

Manchmal ist der erste Eindruck aber auch falsch, weil die erste Situation nicht passt, auch wenn der Mensch es eigentlich tut. Und kommt Zeit kommt Gelegenheit, den ersten Eindruck zu korrigieren.

Tim vergaß aber nie ganz, wie er Stegi ziemlich selbstbewusst erklärte, er würde sich nicht verlieben.
Denn er hatte sich geirrt.


Es dauerte mehrere Begegnungen in Gesellschaft im TS, bei denen man noch gebührlich skeptisch vom anderen sein konnte, bis Stegi irgendwann mal in Tims Channel jointe, als dieser gerade allein war und Hausaufgaben machte (beziehungsweise sich schon von Staubflusen von eben jenen ablenken ließ).

„Hallo", begrüßte Stegi ihn. „Willst du mit mir Minecraft spielen? Ich hab vor 'ner Weile mit einem Kumpel einen Server zum Zusammenspielen aufgemacht, aber der hat keinen Bock mehr auf Minecraft..."

„Was für ein Server?", fragte Tim.
„Äh. Ein ganz normaler? Survival? Wir haben einfach ein Haus und killen Mobs und so."

„Oh", machte Tim. „Ist nur, weil ich doch gerade einen eigenen öffentlichen Server aufbaue, wo man Grundstücke mieten kann..."
„Achso?", fragte Stegi laut und aufgeregt. „Zeig mir den! Oder ist das der, auf den mich Nick manchmal geschleift hat?"
„Vermutlich?" Tim musste ganz leicht lächeln und packte den Text für Deutsch weg. „Na, lass uns mal gucken..."

Manchmal fängt es so an. Mit einigem Hin und Her. Am Ende landen doch die beiden Personen zusammen auf einem Minecraftserver, die sich sicher waren, niemals Freunde zu werden.

„Was hier hast du gebaut?", fragte Stegi und hüpfte vor Tim die Straße herunter.
„Warte, ich porte uns." Dann standen sie vor Tims kleinem Haus.
„Das ist deins?", fragte Stegi nach. „Das... aus Cobblestone?"
„Ja", sagte Tim. „Ich weiß, es ist nicht perfekt, aber..."

Aber da war Stegi schon in Gelächter ausgebrochen. „Sorry!", stieß er zwischen den kurzatmigen Lachen hervor. „Aber! ... Aber es ist so ironisch, dass du einen Server zum Bauen hast und es so null drauf hast." Und damit lachte er weiter.

„Ich bin ziemlich beschäftigt mit dem technischen Zeug", verteidigte Tim sich halbherzig und sah zu seinem Häuschen, das er eigentlich ziemlich hübsch fand.
„Oh, sorry, Tim. Du kannst das bestimmt besser als das hier." Stegi klang immer noch atemlos vom Lachen.

Tim brummte nur. „Willst du auch ein Grundstück? Oder hast du schon eins?"
„Ich hab eins!" Stegi zeigte es Tim und redete dabei schon viel lockerer und begeisterter als sonst im TS. (Tim musste auch zugeben, dass Stegis Haus ordentlich was hermachte, wenn man bedachte, dass er vermutlich einen Großteil der Materialien hatte farmen müssen, da Nick ihm bestimmt nichts hatte geben können, so inaktiv wie er war.)

Sie redeten über Minecraft-Spielmodi, andere Games, Schule und gemeinsame Kumpel und Tim merkte gar nicht, wie die Zeit verflog.

Irgendwann sah er auf die Uhr und erschrak, weil ihm zeitgleich sein angefangener Deutschaufsatz siedend heiß ins Gedächtnis rückte. „Oh verdammt", stieß er aus. „Ich muss noch für Deutsch was hinkritzeln."
„Jetzt wo du's sagst...", meinte Stegi. „Vielleicht sollte ich noch Mathe fertig machen."

Tim lachte auf. „Wollen wir uns morgen im TS treffen?"
„Klar." Stegi klang lapidar. „Vielleicht sollten wir bei der Gelegenheit dein Haus aufhübschen. Du repräsentierst doch den Server."
Tim grinste. „Hat bisher noch keinen gestört. Bis morgen!"
„Bis dann."

Müsste Tim einen Zeitpunkt benennen, ab dem sie Freunde waren, wäre es dieser. Die vorherigen Treffen im Teamspeak waren irrelevant im Anbetracht derer, die danach folgen würden.


Tim war dazu erzogen worden, gut auf sich aufzupassen.
Nicht bei Rot über die Ampel gehen, keine Lollys von Fremden annehmen, keine niedlichen Kaninchenbabys in finsteren Seitengassen streicheln mitgehen... und natürlich durfte er niemals und auf gar keinen Fall seinen Namen oder gar seine Adresse im Internet preisgeben.

Menschen aus dem Internet hatte man laut seinen Eltern und Lehrern stets skeptisch gegenüberzustehen, da eine Identität so schnell gefaked war. Seine Mutter hielt Partnerbörsen im Internet für eine der schlimmsten Dinge, die es gab. „Da würde ich eher zu so einem lächerlichen Speeddating gehen! Da kann ich meinem Gegenüber wenigstens ins Gesicht sehen!"

Nun war Tims Kindheit schon eine Weile her und der Aufwand, sich in Zeiten von TS, Skype und Snapchat für jemand anderen auszugeben, hielt Tim für ziemlich groß.
Inzwischen vertraute er den Leuten, die er über den Server oder halt im TS kennengelernt hatte, aber irgendwo in ihm war noch ein Rest dieses Misstrauens, das ihm eingetrichtert worden war.
Er wusste, dass es vermutlich paranoid war, aber er wollte wirklich nicht, dass sein voller Name oder Details aus seinem Leben an die Öffentlichkeit kamen.

Manchmal dachte Tim, dass es vermutlich ein schwerer und anstrengender Prozess war, sein volles Vertrauen zu erlangen.
Aber Stegi vertraute er nicht nur seinen Namen und seine Adresse an – sondern so gut wie alles.

Sie hatten sich zwar noch nie getroffen, aber schon ganze Wochenenden gemeinsam im TS verbracht. Tim hatte sich sogar schon mit Stegis Schwester unterhalten und sie hatten gemeinsam mit Tims Bruder gezockt, als dieser noch kaum wusste, wie man bei Minecraft geradeaus lief.

Trotzdem hatte Tim sich immer und überall ein bisschen Mauer aufrecht erhalten um seine tiefsten Gefühle, um Neid auf Personen, die selbstbewusster waren als er (so wie Stegi), um den Wunsch, endlich mal zu verstehen, was es hieß, sich in jemanden zu verknallen (wie Stegi es ständig tat) – ein bisschen um all die Bewunderung, die er Stegi entgegenbrachte, und um all die Schwäche, die er sich so ungern eingestand.

Stegi war so offen mit seinen Gefühlen und Ängsten. Mit seiner schlechten oder guten Laune, mit seiner Meinung, die er schnell traf und manchmal auch schnell wieder überdachte, mit seiner Einsamkeit oder seinem Glück.
Wenn Stegi jemandem vertraute, dann vertraute er ihm nicht nur halb, sondern ganz.

Tim wäre manchmal gern auch so. Aber seine schlechte Laune musste doch nur ihn selbst runterziehen und seine Meinung wollte er erst sicher gebildet haben, bevor er sie aussprach und seine Einsamkeit würde doch nur realer werden, wenn er sie aussprach.

Stegi zog ihm so etwas trotzdem aus der Nase – zumindest soweit Tim es zuließ. Und er nahm es ernst. Er war immer für Tim da. Er war die wichtigste Person in Tims Leben.
Niemandem sonst würde er solche Dinge anvertrauen, nicht weil er nicht vertraute, sondern weil er Angst hatte und bei Stegi hatte er keine Angst. Nicht mehr.

Er vertraute Stegi und er fühlte sich, als hätte er in ihm so etwas wie einen Bruder und gleichzeitig etwas Besseres als einen Bruder gefunden. Stegi war Familie, die er sich ausgesucht hatte.

Manchmal fragte Tim sich, ob all das ein bisschen wie Liebe und Partnerschaft war. Stegi war ihm so wichtig, dass er sich gar nicht vorstellen wollte, wie es wäre, wenn er nicht mehr für ihn da wäre.
Es war sogar so schlimm, dass Tim furchtbar eifersüchtig wurde, wenn Stegi von irgendeinem Mädchen oder auch nur von Chrissy Costanza schwärmte.
Manchmal war es sogar so schlimm, dass Tim Stegi beeindrucken wollte und ihm beweisen, dass er der wichtigste Mensch in Stegis Leben sein sollte.

Manchmal, ganz selten, eigentlich fast nie (und doch viel zu oft) dachte Tim irgendwo in einer dunklen Ecke seines Herzens, dass Stegi glücklich sein sollte – aber wegen Tim und nicht wegen irgendeinem Mädchen.

Diese ganzen Gefühle brannten irgendwo in ihm. Sein Herz fühlte sich wund an und er war sich so bewusst, dass es nicht gesund war, nicht gut.
Also ließ er sie nicht zu. Gab man einem Feuer keine Nahrung, verlosch es und so würde es auch mit seinen Gefühlen sein.

Tim war dazu erzogen, gut auf sich und sein Herz aufzupassen.
Er würde sich nicht verlieben. Erst recht nicht in Stegi.

The words got lost in my lungs
They're burning, I'd rather be numb

Hearts [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt