Stay Stay Stay

627 75 18
                                    


Stay Stay Stay


Stay stay stay I've been loving you for quite some time
You think that it's funny when i'm mad mad mad
But I think that it's best if we both stay
(You took the time to memorize me my feels, my hopes and dreams
I just like hanging out with you all the time)


Tim hatte noch nie gewusst, wie man mit negativen Gefühlen umging. Meistens versuchte er sich abzulenken, aber seine beste Ablenkung war immer Stegi gewesen und der war ja aus gegebenem Anlass gar keine Ablenkung.

Also probierte er es mit Eisessen. Erstens aß er gern Eis und zweitens schien das ein bewährtes Mittel gegen Liebeskummer zu sein. Aber nach einer Portion Eis war es dann auch genug – Eis war zu süß und zu kalt, um es in sehr großen Mengen zu essen, egal wie deprimiert man war.
(Wahrscheinlich war das auch nur so ein Stilmittel in Filmen. Was sollte Eis auch gegen Traurigkeit tun?)

Tim hatte eine kalte Zunge und war immer noch traurig. Dieser Spruch mit dem schweren Herzen klang immer so dumm und melodramatisch, aber Tim fühlte sich wirklich irgendwie niedergedrückt.

Er könnte ja was Ablenkendes tun: Programmieren, Lernen, Lesen, aber ihm war nicht danach und er hatte auch keinerlei Energie dafür.
Also saß er einfach ein bisschen rum und stellte sich schließlich einen Film an, bei dem er nicht nachdenken musste. Leider beinhaltete der Film eine schlechte Liebesgeschichte – die war ja in jedem Film Pflicht – und am liebsten hätte Tim den Protagonisten geschlagen, weil er sich so dumm anstellte.

In Filmen war immer alles ganz einfach, besonders in Actionfilmen.
Im wahren Leben war Liebe immer kompliziert und Beziehungen waren anstrengend. Je mehr man jemanden mochte, desto furchtbarer waren auch Eifersucht und Sehnsucht und die emotionale Anhängigkeit.
Es ärgerte Tim, dass der Protagonist nicht verstand, was für ein Glück er hatte, in diesem dummen Kasten zu leben, wo am Ende die Liebe immer siegte und immer erwidert wurde und immer so verflucht einfach war.

Tim schaltete den Film genervt aus. Sein Handy lag unbeachtet in der Ecke. Er fragte sich, wann Stegi sich bei ihm melden würde. Ob überhaupt.
Wenn er es jetzt tun würde, würde Tim es nicht einmal bemerken, aber das war auch besser so, denn Tim war noch nicht bereit dafür.

Tims Herz war schwer und klein vor Angst. Er könnte auf jeden seiner Freunde verzichten, aber nicht auf Stegi. (Verdammte Liebe, verdammtes, dummes Herz.)

Wie lange war ihr Gespräch her? Drei Stunden?
Wie lange würde Stegi brauchen, um zu entscheiden, dass es besser wäre, den Kontakt abzubrechen? Oder wäre der Ekel schneller?
(Er wusste, dass Stegi sich nicht ekeln würde. Stegi war nicht homophob. Aber was, wenn dann doch, irgendwie tief in ihm? Weil es halt um sie beide ging? Nicht nur Stexpert, nicht nur Spaß, nicht nur schlechte FFs im TS mit viel Gelächter?)

Tim presste seine Faust gegen die Stirn und entschied dann, dass er nicht der Typ war, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Er würde sich nun vernünftig ablenken. Also ging er an seinen Computer und öffnete ein paar angefangene Programme.

Er las sich durch, wo er stehen geblieben war und fing dann an, weitere Befehle einzuhämmern. Er musste sich nur konzentrieren, dann würde kein Platz mehr sein für Gefühle, Herzen oder Stegi. Kein Platz für das Handy in der Ecke und der darauf vielleicht eingetroffenen Nachricht.

Tim drängte seine Gedanken in die Programmiererei, aber sein Blick wanderte zu oft zum Handy. Sein Blick wanderte zur Uhr. Er spürte dieses flaue Gefühl im Magen, das ihm verriet, wie groß seine Angst war.

Also sah er doch nach. Aber da war keine Nachricht und obwohl es ihn erleichtern sollte, war er einen Moment enttäuscht. Er hielt die Ungewissheit nicht aus, obwohl er es nicht wissen wollte.

Irgendwie war es besser zu entscheiden, etwas nicht wissen zu wollen, als es nicht wissen zu können.
Tim legte sein Handy sorgsam weg und sah auf die vielen Zeilen Programmiercode vor sich. Wofür überhaupt? Wofür das Ganze?

(Er wusste, wofür. Natürlich wusste er das. Aber gerade fühlte es sich unnötig an. Dämlich.)

Er fuhr seinen Computer runter, was er eigentlich so gut wie nie tat, weil der eigentlich immer in seiner Ecke rödelte, auch wenn Tim etwas anderes tat. Er schloss sorgsam alle offenen Fenster und Programme und dann nahm er eins der wenigen Bücher zur Hand, das sich in seiner Wohnung befand. Es war Eragon und damit eins von Tims Lieblingsbüchern.

(Tim hatte schon so lange nichts mehr gelesen, irgendwie hatte er nie Zeit und außerdem konnte er sich für viele Bücher auch gar nicht begeistern. Von den Schullektüren hatte er sich Zusammenfassungen im Internet durchgelesen.
Er hatte lange nicht gelesen, aber er erinnerte sich, wie beim Lesen die eigenen Stimmen im Kopf von der des Autors übertönt wurden.)

Das Buch nahm ihn in die vertraute Welt auf. Er fühlte sich wieder selbst wie 15, wie der Held Eragon. Zurückkatapultiert in die Zeit, wo er das Buch das erste Mal gelesen hatte. Es erfüllte seinen Zweck und zog ihn einen Moment aus seinem Selbstmitleid, bis es an der Tür klingelte.

Tim sah auf und ging verschiedene Möglichkeiten durch: Er hatte keine Pizza oder etwas anderes Essbares bestellt (obwohl das vielleicht keine schlechte Idee gewesen wäre), er wartete zwar auf ein Paket, aber rechnete erst in zwei Tagen damit und seine Familie oder Freunde hatten sich auch nicht angekündigt.

Leider war Tim nett genug, Pakete für Nachbarn anzunehmen oder Nachbarn auch mal mit irgendwas aus der Küche auszuhelfen, wenn er es denn da hatte.

Also legte er das Buch auf den Couchtisch und sah an sich herunter. Nun, Jogginghose und labbriges T-Shirt. War ja egal, wenn der Störenfried merkte, dass er störte.
Er schlurfte in den kleinen Flur seiner Wohnung, so langsam, dass vielleicht niemand mehr vor der Tür stehen würde.

Es klingelte noch einmal und Tim überlegte, wie spät es eigentlich war. Wenn es ein Nachbar war, dann ein sehr unhöflicher.
Er öffnete die Tür und davor... stand Stegi?

Tim fühlte sich wie in einem sehr schlechten Film. Er sah Stegi vollkommen erstarrt an, vielleicht stand sogar sein Mund ein wenig offen. Sein Kopf produzierte nicht viel mehr als ein zaghaftes ‚Wie?' und Stegi sah ihn sehr fragend zurück, die Hand immer noch am Klingelknopf, als hätte er sich zur Not den Eintritt mit Dauerklingeln erzwungen.

„Wie?", brachte Tim nun auch heraus, was in ihm vorging und Stegi sagte: „Weißt du, du meintest zwar, ich sei ein Idiot, aber hast du mal drüber nachgedacht, dass du vielleicht auch einer bist? Und jetzt lass mich rein." Er drängte sich an Tim vorbei in die Wohnung.

Tim schluckte seine Fassungslosigkeit runter und fragte sich, warum Stegi jetzt wütend war. Er schloss die Tür langsam und folgte Stegi ins Wohnzimmer. „Was tust du hier?", fragte Tim defensiv. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er war doch nicht bereit.

Stegi stand neben der Yuccapalme und strich über ein Blatt. „Ich hab so langsam das Gefühl, wir reden zu wenig. Du hast mir nicht gesagt, dass meine Besuche dich stören." Er sah Tim nun doch an.

Tim schloss kurz die Augen. „Das ist es nicht", sagte er leise.
„Was dann?", hakte Stegi stur nach.
„Das hab ich dir doch gesagt!", rief Tim aus, weil er doch unmöglich alles doppelt und dreifach sagen konnte und erst recht nicht das.
„Was?", fragte Stegi gnadenlos. „Was hast du mir gesagt?" Er kam ein paar Schritte auf Tim zu und presste die Lippen aufeinander.

Stegi sah wütend aus, aber irgendwie auch seltsam... verletzt. Tim wusste nicht, ob er wütend oder traurig sein sollte. Eigentlich würde er Stegi gern umarmen. Seine Arme davon abhalten, sich zu verschränken, weil das in ihm selbst das Gefühl auslöste, er müsste sich zusammenhalten.

„Stegi, verdammt", brachte er heraus und fuhr sich durch die Haare. Er fühlte sich so hilflos. „Ich hab mich in dich verliebt", sagte er möglichst neutral, damit es weder traurig noch bitter klang. „Und ich weiß, dass es dumm ist und dass du hetero bist und ich wollte es dir auch gar nicht sagen, damit das nicht zwischen uns steht, aber..." Tim atmete aus und merkte, dass seine Hand sich am Türrahmen verkrampft hatte. Er löste sie vorsichtig.

„Du bist ein Idiot", wiederholte Stegi und ging weiter auf Tim zu. „Meinst du nicht, dass das, was uns verbindet, genug wäre, selbst wenn ich hetero wäre?" Er schloss die letzte Distanz und umarmte Tim. Er legte den Kopf an Tims Schulter.

„Was?", murmelte Tim, weil da irgendwie ein Konjunktiv zu viel in Stegis Satz war und an einer Stelle... „Wäre?" Stegi war so nah, so distanzlos nah und wenn da noch irgendwo Arbeitsplatz in Tims Kopf wäre, würde er vielleicht auch verstehen, was das alles bedeutete, aber da war kein Platz – nur Verwirrung.

Stegi lachte glucksend auf. „Ich schätze, ich bin ziemlich bi." Er legte den Kopf in den Nacken und schlang erst einen und dann noch einen zweiten Arm um Tims Hals, um ihn zu küssen.

Spätestens jetzt setzte Tims Gehirn ganz aus, weil diese Möglichkeit nie zur Debatte gestanden hatte. Es war unmöglich, aber es passierte gerade.

Tim hatte keine Ahnung von alldem. Von Liebe oder von Küssen oder von Bisexualiät oder von seinen Fingerkuppen, die wie von jemand anderem gelenkt über Stegis Wange wanderten. Er wusste nur, dass es sich verdammt richtig anfühlte.

Wenn das hier wahr war – dann sollte es für immer so bleiben.
(Vielleicht glaubte Tim es immer noch nicht. Vielleicht wollte er Stegi für immer festhalten, bevor er sich in ein Wölkchen auflöste, weil er nur aus Tims Fantasie geboren war.
(Tim konnte sein Glück nicht fassen, aber er wollte es zum Bleiben überreden.))

„Bleib hier", sagte er an Stegis Lippen und legte seine Arme um ihn, damit er ihm nicht weglaufen konnte. „Bleib einfach für immer hier."

Stegi lächelte und Tim spürte das und es war, als könne er Stegis Freude ertasten und es war so viel mehr als normales Glück. „Du wirst mich eh nicht mehr los", sagte Stegi nur. „Ich geh nicht weg."

Und auch wenn Liebe dumm war und Hoffnung erst recht – trotzdem glaubte Tim plötzlich daran, dass es funktionieren konnte. Mit Stegi und ihm – mit ihnen beiden – vielleicht waren da Wunder möglich.

Vielleicht konnten sie ihre dummen, wackligen Herzen aneinander binden, ohne dass etwas umkippte. Und wenn doch, wenn doch alles irgendwann in die Brüche ging – vielleicht war das alles dieses Glück wert, das Tim nun empfand.

„Kann das funktionieren?", fragte Tim und atmete tief ein, weil er wissen wollte, wie Stegi roch. (Er roch gut. Ein bisschen herb, ein bisschen frisch.)

Stegi umarmte ihn noch fester. „Du bist ein Idiot, es kaputt zu denken, bevor es überhaupt richtig angefangen hat."

Tim blinzelte. „Ja", gab er zu. „Ich bin ein Idiot."


Auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen hatte Tim sich verlieben wollen. Viel mehr hatte er darüber nie nachgedacht, nur dass es nichts für ihn war und er das nicht wollte.

Aber manchmal ist Liebe keine Entscheidung und manchmal benimmt sich ein Herz wie ein Papierflieger und lässt sich von der Brise mitnehmen.

Das Leben besteht aus so vielen Zufällen. Aus kleinen Entscheidungen, die sich als die wichtigsten Weichenstellungen des Lebens herausstellen. Aus unbedachten Worten, die im Kopf bleiben. Aus Bekanntschaften, die ganz schnell viel mehr werden können.

Tims Herz war bei Stegi gelandet.
Vielleicht war das ein weiterer großer Zufall. Vielleicht hätte sich Tim ansonsten niemals verliebt, genau so, wie er es immer gewollt hätte.

Vielleicht hätte Tim nie erfahren, was es hieß, mehr als nur glücklich zu sein.
Vielleicht hätte er nie erfahren, dass man mit jemandem so weit zusammenwachsen kann, dass man vergisst, wo der eine anfängt und der andere aufhört und dass Leid und Glück so nah zusammenliegen können und dass Liebe ein verdammt dummes Konzept ist und trotzdem funktioniert.

Bestimmt hätte Tim nie erfahren, dass Stegi ein furchtbarer Deckenklauer war und im Schlaf furchtbar schlimmen badischen Dialekt sprach und unter der Dusche sang und immer grüne Zahnbürsten kaufte.

Vermutlich hätte Tim sein Leben verpasst.
Er war sehr froh, dass sein dämliches, wackliges Herz bei Stegi gelandet war und nirgendwo sonst.


Each heart is a paper kite blown around by the breeze
Love won't rest 'til it brings you to your knees
(Keane – The starting line)


ENDE


(Passt gut auf eure Herzen auf.)

Hearts [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt