Give your heart a break

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Give your heart a break


The day I first met you
You told me you'd never fall in love


Stegi hatte Tim nicht gerade unter besten Bedingungen kennen gelernt. Allerdings musste man auch sagen, dass es nicht gerade schlechte Bedingungen waren, denn die Worte, die sie gewechselt hatten, blieben Stegi im Kopf.

Er hatte noch nie erlebt, dass jemand sagte, er würde sich nicht verlieben.
Natürlich wusste Stegi, was Asexualität war und dass es Aromantik gab, aber eigentlich glaubte er nicht so richtig daran, dass es Menschen geben sollte, die keine Liebe verspürten.

Liebe war doch so ein wichtiger Teil des Lebens. Vielleicht nicht wirklich romantische Liebe, aber Liebe zur Familie, zu Freunden und zu Haustieren... Und doch, auch romantische Liebe. Jemanden zu haben, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte, der einen auf einer Ebene verstand, die tiefer ging als das oberflächliche Kratzen von Small Talk.

Stegi konnte sich kein Leben ohne Romantik und Sexualität vorstellen – und irgendwie auch nicht, dass dieser Tim so ein Leben führte.

Stegi dachte da also ein bisschen drüber nach, grübelte hin und her, aber eigentlich interessierte er sich ja nicht für Tim und dessen Gefühlswelt, sondern im Allgemeinen für diese Einstellung.
Erst als er ihm immer wieder begegnete und er schon ein netter Kerl zu sein schien, wurde Stegi neugieriger.

Es brauchte ein paar beschäftigte Kumpels, einen Verräterfreund, der urplötzlich Minecraft nicht mehr mochte, und einen allein im Channel rumgammelnden Tim, damit Stegi beschloss, dass er der von seinen Freunden prophezeiten Freundschaft noch eine Chance gab und jointe.

Tim überraschte ihn.
Mit Humor und unglaublichem Unvermögen im Bauen. Das Haus sah aus, als hätte es jemand gebaut, der noch keine drei Tage Minecraft gespielt hatte und nicht wusste, dass es verschiedene Steinarten gab.

Stegi grübelte, wie er Tims Ruf retten könnte, ohne ihm das Haus einfach komplett neu zu bauen. Aber schlussendlich blieb ihm gar nichts anderes übrig. „Tim, ich hab entschieden, dass wir dein Haus abreißen", verkündete er ihm am nächsten Tag, als Tim auf den TS kam.

Leider waren gerade auch Nick und Jannik auf dem TS und leicht verwirrt. „Worum geht es?", fragte Jannik perplex.
„Wie?", fragte dagegen Tim. „So schlimm findest du es?"

„Tim kann nicht bauen", erklärte Stegi halbwegs selbstbewusst, obwohl es komisch war, jemanden zu kritisieren, den man kaum kannte und der vermutlich älter als man selbst war. „Und ich helfe ihm jetzt."

Nick schien zu kapieren, worum es eigentlich ging und fing an zu lachen. „Ich will das Haus sehen, bevor ihr es abreißt!"

Also stolperten sie alle vier gemeinsam auf den Server. „Seht ihr?", fragte Stegi und hüpfte demonstrativ vor dem Haus auf und ab.
„Ist doch ganz solide", meinte Nick.
„Genau!", brummte Tim. „Danke, Nick."
Jannik, dem alles erklärt worden war, meinte: „Also... Schöner geht schon. Kann Stegi das denn besser?"

„Ja", sagten Nick und Stegi gleichzeitig.
„Schon...", gab auch Tim zu.

„Ich helfe dir, mein Freund", sagte Stegi gönnerhaft und merkte erst einen Herzschlag später, dass er Tim damit wohl als Freund bezeichnet hatte und er überlegte, ob er ihm damit zu nahe getreten sein könnte, auch wenn es nur ein Witz war.
Aber Tim meinte ganz trocken: „Zu gütig."
Stegi musste grinsen. „Bin ich halt echt."

Er sah zum Haus. „Du musst mir die Rechte geben."
Tim seufzte - und gab sie Stegi.
Nick feixte: „Jetzt gibt es kein Zurück mehr, Tim. Hast du dir das gut überlegt?"

Stegi schnaubte empört. Tim lachte. „Ich glaube, es gibt Schlimmeres."
„Als Stegi? Sei dir mal nicht so sicher!" Nick lachte blöd.

„Vollidiot!", sagte Stegi nur und begann, das Haus abzubauen. „Ich schick dir ein Bild, wenn ich hier fertig bin und denk dann nicht, dass ich dann auch dein Haus aufpoliere! Bei dir ist nämlich echt Hopfen und Malz verloren, weißt du?"

Immer wenn Stegi sich aufregte, kam sein badischer Dialekt stärker hervor. Kurz herrschte Stille im TS, dann sagte Tim leise: „Hast du gerade 'weischt'? gesagt?"
Stegi blinzelte. Darüber hatte er nicht nachgedacht. „Ja? Kann schon sein? Ich komme aus Karlsruhe."

„Achso", meinte Tim und klang ein bisschen belustigt. „Also... Ist das schwäbisch?"
Stegi holte scharf Luft. „Nein!", rief er entsetzt und ein bisschen zu laut. „In Karlsruhe spricht man badisch! Nicht... nicht schwäbisch." Stegi presste die Lippen aufeinander. Er wusste, dass es leicht überzogener Lokalpatriotismus war, aber es war ihm halt wichtig.
„Oh, 'tschuldige, das wusste ich nicht", meinte Tim zerknirscht.
„Is' okay", sagte Stegi großzügig. „Jetzt weißt du es ja."

Er hatte mit Tims Hilfe das Haus schon ganz gut abgerissen und war scheinbar ziemlich konzentriert auf seine Aufgabe gewesen, als ihm erst auffiel, dass Nick und Jannik sich verabschiedet hatten und sie wieder allein im Channel waren.

„Was für Häuser findest du schön, Tim?", fragte er geschäftig, als die letzten Steine fielen.
„Äh. In Minecraft?"
„Nein, an sich. Dann kann man das daran anlehnen?"

Stegi öffnete seinen Browser und googlete Bilder von Einfamilienhäusern. Er schickte einen Link Tim im TS. „Sowas?"

Tim schnaufte. „Kein Wunder, dass du denkst, dass ich nicht gut baue, wenn du so eine Wissenschaft draus machst!"
Stegi nahm das als Kompliment. „Okay. Dann denke ich mir eben was aus und deine Aufgabe ist dann, dass es dir gefällt."
Tim lachte auf. „Wäre das nicht gestern deine Aufgabe gewesen, als ich dir mein Bauwerk gezeigt hab?"
Stegi grinste. „Hätte ich denn unbedingt lügen sollen?"

„Autsch. Du nimmst echt kein Blatt vor den Mund." Tim klang zum Glück immer noch sehr belustigt. Aber Stegi musste zugeben, dass Tim Recht hatte. Normalerweise war Stegi ein bisschen weniger forsch, aber irgendwas an dieser kurzen Bekanntschaft brachte ihn dazu, Tim aus der Reserve locken zu wollen.

„Tja", machte Stegi und kam zurück zu seiner Aufgabe. „Was für Materialien haben wir? Oder schummeln wir einfach?"
„Ganz wie du willst. Aber wenn ich ein Vorbild sein soll, sollte ich vielleicht nicht schummeln", überlegte Tim laut.

„Quatsch! Nimmt dir doch keiner ab, dass du keine Vorteile aus deiner Position ziehst!", argumentierte Stegi dagegen. „Außerdem musst du doch zeigen, was alles Tolles auf diesem Server möglich ist zu bauen!"
Tim sagte hörbar grinsend: „Also schummeln?"
Stegi grinste mit. „Na, wenn du unbedingt willst..."
„Jaah. Unbedingt!"

Also schummelten sie und bauten ein Haus nach Stegis Vorstellungen. Es sah am Ende so viel besser aus als Tims und nebenbei unterhielten sie sich so gut, dass Stegi bewusst wurde, dass Tim einfach supercool war.

Er wollte ihn zum Freund. Er wollte so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen. So kam auch die ganze Youtube-Sache ins Rollen.
Hunger Games. Hero. Varo.

Stegi war noch mit keinem Menschen so nah zusammengewachsen wie mit Tim.
Manchmal wusste er nicht mehr, was seine Meinung war und welche zustande gekommen war, weil er mit Tim über etwas diskutiert hatte.
Manchmal wusste er nicht, wo sein Kopf aufhörte und Tims anfing.
Manchmal erinnerte er sich nicht, was er gesagt hatte und was Tim.

Sie waren so unterschiedlich. Beide auf ihre Art schüchtern und beide auf ihre Art witzig und beide auf ihre Art fleißig und faul und verlässlich und sprunghaft. Irgendwie passten sie zusammen.

Einen Hauch all dessen spürte Stegi schon ganz am Anfang und er freute sich darauf, immer mehr von Tim zu bekommen.

„Zufrieden?", fragte Tim als sie am Ende vor dem Häuschen standen.
Stegi lächelte. „Sehr."


Die Sache mit der Liebe fiel Stegi wieder ein, als er Tim von Chrissy vorschwärmte und außer einem Hmhm nicht so viel aus ihm herauszubekommen war.
„Aber Tim. Du musst doch zugeben, dass sie superscharf ist!", forderte Stegi, während er mit seiner Hausaufgabe für Informatik kämpfte (was er nur gewählt hatte, weil Tim meinte, es wäre leicht... (Von wegen!)). „Das funktioniert nicht, Tim!"

„Was funktioniert nicht?", fragte Tim nach.
„Der Hamster frisst die blöden Samen nicht, sondern rennt rüber", nörgelte Stegi. „Info ist kacke, warum hab ich das gewählt?"
„Weil du noch ein Fach brauchtest und keinen Bock auf Physik oder Musik hattest", erinnerte Tim ihn. „Ihr macht gerade Logikkram, oder?"

Stegi hatte keine Ahnung, was sie machten. Nur, dass sie ein Hamsterprogramm mit Funktionen hatten und das so programmieren sollten, dass der Hamster von allein durch ein Labyrinth lief, dabei nicht gegen die Wände rannte, und bei Samen anhielt und sie fraß.
Eigentlich ein witziges Pixelspiel, aber irgendwo war ein Fehler und Stegi hatte keine Lust mehr.

Also schnaufte Stegi nur und sagte: „Gib wenigstens zu, dass Chrissy Costanza der Hammer ist, dann würde sich meine Laune schon heben."
„Ja, sie ist hübsch. Willst du mir nicht das Programm schicken?"

Schlimm, wie Tim vom eigentlichen Thema ablenkte. „HÜBSCH? Sie ist wahnsinnig schön!"
„Ja, Stegi, sie ist schön. Hast du denn eine Funktion fürs Samen-Fressen?"
„Das ist hier alles schon fertig. Ich kann nicht verstehen, wie du..."

Tim unterbrach ihn. „Hey, ich will dir helfen, okay?"
Stegi seufzte. „Ich weiß. Ich hab nur keine Lust. Ich schau da nachher selbst nochmal rauf. Eigentlich will ich mich lieber über Chrissy unterhalten."
„Ich mich aber nicht", brummte Tim. „Sie ist süß, aber ich werde nicht mit dir fangirlen."

Stegi seufzte nochmal doppelt so laut. „Tim, wenn ich dich nicht so mögen würde, wäre das jetzt eine ernsthafte Gefährdung unserer Freundschaft."
Tim lachte auf. „Da hab ich ja noch mal Glück gehabt."

Stegi ließ den Hamster aus Frust mit ein paar Umstellungen des Programms ein bisschen gegen die Wand rennen und fand dabei tatsächlich den Fehler. „Ich hab's!", sagte er stolz. „Mein vollkommen sinnloses Programm funktioniert."
„Glückwunsch!" Tim seufzte. „Ich muss noch Mathe und Englisch machen." Stegi hörte ihm aber kaum zu. Er dachte darüber nach, dass Tim wirklich nie von hübschen Mädchen sprach oder mitmachte, wenn Stegi schwärmte.

Vielleicht war was dran an der Aussage von Tim. Dass er sich nicht verliebte.

„Tim? Bist du schwul?", fragte er plötzlich, weil ihm das irgendwie wie die logischste Erklärung vorkam. Vielleicht wurde er ja lieber für asexuell als schwul gehalten.
Kurz war es still.

„Nein. Warum fragst du?" Bevor Stegi antworten konnte, setzte Tim fort: „Doch nicht wegen deiner Chrissy? Oder diesem Shippen von den Fans?"

„Ne, nur so", murmelte Stegi, der seine Frage schon wieder unangenehm war. Er überlegte, ob er fragen sollte, ob Tim asexuell war. Wenn die Stimmung eh schon so komisch war...

Aber Tim kam ihm zuvor. „Ich verliebe mich einfach nicht, okay? Das heißt nicht, dass ich Leute nicht toll finde. Es heißt nur, dass ich keine Beziehung zu ihnen will. Es ist wirklich so einfach: Ich verliebe mich nicht."

In diesem Moment wurde Stegi eins klar: Tim hatte Angst.
Er erzählte das so ruhig und mit so viel Überzeugung, dass Stegi sich sicher war, dass alles davon geschauspielert war. Tim wollte das Thema beenden, er wollte nicht darüber reden und vor allem wollte er sich tatsächlich nicht verlieben.

„Achso", sagte Stegi lahm, denn egal wie nah sie sich waren... Wenn Tim nicht darüber mit ihm reden wollte, dann konnte er sich ihm nicht aufdrängen. Tim musste mit diesem Thema selbst zurecht kommen.
Es war ja auch nicht so, als würde es Stegi direkt betreffen.


Stegi hielt sich für einen sehr emotionalen Menschen. Für jemanden, der sich unnötig Sorgen macht. Für jemanden, der ab und zu eine Umarmung braucht. Für jemanden, der sich manchmal in Emotionen suhlte und dabei bestimmt alle um sich herum nervte.
Und das alles war er auch – aber mit Anfang zwanzig war er sich nicht mehr ganz so sicher, ob das etwas Außergewöhnliches war.

Je länger er Tim kannte, desto sicherer war er, dass Tim ganz viele dieser Emotionen auch hatte, aber immer versteckte. Auch Tim wollte random in den Arm genommen werden oder getröstet. Er wollte gelobt und geliebt werden. Er wollte sich selbst bemitleiden.
Aber all das ließ er nicht zu, sondern schluckte alles herunter und lachte den Schmerz weg, wie Stegi es nie gekonnt hatte.

Stegi liebte Tim und er fand es irgendwie bewundernswert, wenn jemand sich so unter Kontrolle hatte und gleichzeitig hatte er dieses Bild im Kopf von Kieselsteinen – dass jede Emotion ein heruntergeschluckter Kieselstein war und sich all die im Magen sammelten, bis man an der Last zusammenbrach.
Stegi dagegen spuckte die Kieselsteine halt vor den Füßen seiner Mitmenschen aus und vielleicht fanden manche Leute das eklig, aber dafür musste er sie nicht herunterschlucken.

Manchmal wollte Stegi Tim etwas von seiner Angst nehmen. Am liebsten wäre er ein absolut sicherer Hafen für ihn, wo er all seine Kieselsteine ausspucken konnte und Stegi spuckte halt einfach mit. Stegi wollte Tims Herzen eine Pause geben von all den Sorgen, die es sich machte und all den Ängsten, die es empfand.

Aber vielleicht war genau das eine weitere Angst von Tim. Dass er sich jemanden anvertraute und dieser ihn verraten oder verlassen könnte.

Vielleicht wollte Tim sich nicht verlieben, weil er sich sein Herz nicht brechen lassen wollte.
Aber wie sollte Stegi ihm erklären, dass er keine Angst haben brauchte?

Don't wanna break your heart
Wanna give your heart a break

Hearts [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt