What does it take

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What does it take


What does it take to get you
If I never met you


Stegi hätte sich nie vorstellen können, wie unglaublich entspannt und witzig es war, Tim zu besuchen.
Tims Wohngegend war erstaunlich ruhig und seine Wohnung klein aber gemütlich. Alles schrie nach Tim. Nach seinen Hobbys und seiner Familie und seinem Server und sogar ein bisschen nach Stegi, hatte Tim doch viele von Stegis Geburtstagsgeschenken irgendwo aufgehngen oder hingelegt, wo jeder sie sehen konnte, der zu Besuch kam.

Stegi stand eine Weile vor einer Bleistiftzeichnung von einem Auge, die er Tim mal geschickt hatte. „Das hast du noch?", fragte er lahm und Tim hatte gelächelt und „Natürlich" gesagt.

Stegi fühlte sich ein bisschen, als wäre ihm erst jetzt wieder eingefallen, was wirklich wichtig war. Natürlich interessierte er sich für Tims Gefühlswelt und wollte ihn gern glücklich sehen. Selbstverständlich war es ihm als Chrissy-Fanboy wichtig, dass Tim sie genug wertschätzt.
Aber wichtiger als all das war doch, dass sie beide hier waren – sich zum ersten Mal trafen – und beste Freunde waren.

Also schob Stegi alle halbgaren Pläne beiseite und genoss die Zeit mit Tim. TS-Gespräche ganz ohne TS und nebeneinander sitzend und sich anlächelnd. Pizza nicht in Öfen aufbacken, die mehrere hundert Kilometer weit auseinander standen, sondern beide Pizzen gemeinsam in einem.

Vielleicht waren seine Gedanken mal wieder sehr sentimental und unnötig emotional, aber Stegi konnte gar nicht anders. Tim war sein bester Freund, sein Bruder, seine bessere Hälfte und Stegi überlegte, dass Tim vielleicht wirklich nicht mehr brauchte als ihn. Vielleicht wollte er wirklich keine Freundin und auch keinen Freund. Eigentlich war ja auch so eine innige Beziehung wie ihre mehr als man je verlangen könnte.

Stegi war wirklich glücklich in Essen bei Tim. Wenn es nicht genug gute Gründe gäbe, in Karlsruhe zu bleiben, würde er sofort bei Tim einziehen. Er hatte das Gefühl, hier genauso sehr hinzugehören wie nach Hause.
Er wusste nicht, ob es irgendwie an der Wohnung und der Stadt und der Allgemeinsituation lag oder nur an Tim. (Vermutlich an Tim.)

Stegi hatte ein zweites Zuhause gefunden.


Das Konzert war absolut fantastisch. Stegi war kein allzu großer Fan von Gedränge in Menschenmengen, aber auf ATC-Konzerten war es ziemlich entspannt. Die meisten Leute waren in ihrem Alter oder jünger und wenn so ein Haufen junger Menschen abging, konnte Stegi gar nicht anders als mitzumachen und Chrissy anzuschmachten.

Die Musik dröhnte aus den Boxen, dass man kaum seine eigenen Gedanken hören konnte und das musste man auch nicht. Die Menge bekam ein eigenes Bewusstsein, ein glückliches großes pulsierendes Denken, das nur vom Beat und der Melodie angetrieben wurde.

Stegi hatte dazu etwas gelesen, zum Bewusstsein einer Menschenmasse, und welche Gefahr es beinhaltete, aber hier in dieser glücklichen, tanzenden Menge, war es nur eine Pause von den sonst kreisenden Gedanken.
Man ließ sich fallen.

Chrissy sang die Menge an und Stegi fühlte sich direkt angesprochen und angelächelt. Er brüllte die Texte mit und genoss das Gefühl, jede Zeile zu kennen, jede Melodie - und alle Menschen um ihn herum waren genauso begeistert und glücklich.

Schon bei seinem letzten ATC-Konzert war er danach hibbelig und happy gewesen, aber mit Tim hier zu sein, machte es noch besser. Wann immer Stegi ihn ansah, lächelte er zurück und er filmte und fotografierte für ihn mit einem fast versunkenen Gesichtsausdruck.

Stegi fühlte sich ein bisschen beschützt von Tim, der so groß und breit war und immer in seiner Nähe. Sie waren eine kleine Insel in der Menschenmenge und Stegi kam aus dem Grinsen gar nicht mehr raus.

Da vorn stand seine absolute Lieblingssängerin und performte die Musik, die er so lieben gelernt hatte, und neben ihm stand der beste Freund auf der ganzen Welt.

Stegi könnte die Welt umarmen.


Nach dem Konzert war immer noch alles okay. Stegi fühlte sich, als hätte er einen Energieboost bekommen, war noch am nächsten Tag aufgekratzt und gut gelaunt. „Weißt du, dieses Hintenüber-Klappen, dass Chrissy bei Infinity gemacht hat – das war schon krass, ne? Ich meine, ich hab Bilder davon gesehen, aber so in Reallife..." Stegi grinste Tim an.

Der verdrehte die Augen und lächelte: „Ja, Stegi, du bist begeistert", sagte er spöttisch.

Stegi lehnte sich vor und zwang Tim damit, ihn anzusehen. „Du aber auch, oder? Ich hab dich nicht wohin geschleift, wo du gar nicht hinwolltest?"

Tim musterte ihm kurz und sah dann wieder auf sein Schneidebrett, wo er eine Brotscheibe zum Frühstück butterte. „Nein. Also, ja, ich bin begeistert und nein, du hast mich zu nichts gezwungen."

„Dann ist gut", meinte Stegi und lehnte sich zurück. Er mochte keine Butter, also schmierte er sich Frischkäse aufs Brot. „Ich hab gar keine Lust, nach Hause zu fahren. Nächste Woche steht ein Praxistag an – da hab ich gar keine Lust drauf und überhaupt die Bahnfahrt, und so." Er verzog den Mund.

„Bleib halt hier", antwortete Tim unbekümmert. „Wenn du noch eine Nacht auf der Gästematratze überlebst?"

„Uff." Tims Gästematratze war die Hölle. Immer noch besser als das zu kurze Sofa, aber nicht besonders viel. Am liebsten wäre er zu Tim ins Bett gekrabbelt, aber das konnte er ja nicht machen, wenn Tim es ihm nicht anbot. „Ich glaub nicht."

Tim grinste. „Dann musst du vielleicht nach Hause fahren."

Stegi seufzte laut. „Muss ich wohl." Er machte eine Pause, in der er einen Bissen Frischkäsestulle kaute. „Es ist eigentlich voll komisch, dass wir es in all den Jahren nie hinbekommen haben, uns zu besuchen. Weil... Es ist halt supercool, ne?"

Tim nickte. „Aber Uni und Familie und Stress und Youtube..."
Stegi schnaufte. „Man hat eigentlich für gar nichts Zeit – oder für alles. Man muss nur seine Prioritäten überdenken." Stegi lächelte Tim an. „Du musst mich auch mal besuchen. Meine Oma hat mich letztens nach dir gefragt."
„Deine Oma?", fragte Tim erstaunt nach.
„Hmhm", machte Stegi. „Sie hat dich zwar Tom genannt, aber sie meinte eindeutig dich."
Tim lächelte. „Das ist wirklich sehr lieb von ihr."

„Sie ist die Beste." Tatsächlich ging es Stegis Oma in letzter Zeit immer schlechter. Eine Hüftoperation und entsprechende Reha... Langsam kam die Frage auf, ob es nicht besser wäre, sie würde in ein Heim kommen, wo Menschen sich rund um die Uhr um sie kümmern konnten und sie nicht allein war.
Es war ganz seltsam, seine Oma so zu erleben. Sie war immer so positiv gewesen und nun wirkte sie zunehmend erschöpft.

„Wie geht es ihr?", fragte Tim, als hätte er Stegis Gedanken gelesen.
Stegi lächelte leicht, weil Tim ihn einfach so gut kannte. „Ganz okay. Immer noch nicht sehr gut, aber... Aber sie läuft wieder ganz gut. Vielleicht geht es langsam wieder bergauf, ne?"

Keiner musste aussprechen, dass es irgendwann zuende sein könnte. Tim hatte das selbst schon erlebt und auch Stegi war ganz bewusst, wie alt seine Großmutter war.
So funktionierte das Leben nun mal. Man musste die Zeit, die man hatte, nutzen und versuchen, alle Energie und Positivität auszukosten und zu erhalten.

„Klar", sagte Tim. „Bald läuft sie dir davon."
„Das sowieso." Stegi wollte gern das Thema wechseln. „Was steht bei dir so an?"

Tim erzählte ein bisschen vom Studium und vom Server. Tim war immer mit irgendwas beschäftigt, er war so ein Typ Mensch, der manchmal richtig arbeitswütige Phasen hatte und Phasen, wo er den ganzen Tag mit Stegi im TS hing und Serien schaute.
Zurzeit war es eher eine Arbeitsphase.

Am Anfang ihrer Freundschaft hatte Stegi in solchen Phasen manchmal Angst gehabt, dass sie sich auseinander leben würden und plötzlich gar keinen Kontakt mehr, aber so funktionierten sie nicht. Es blieb immer ein bisschen Verbindung zwischen ihnen und wenn es dann wieder ganz passte, fanden sie so zusammen, wie sie eben zusammengehörten.

Stegi liebte Tim für all das. Dafür, dass er hier so entspannt am Frühstückstisch sitzen konnte. Dafür, dass er ihm so sehr vertraute und auch vertrauen konnte. Dafür, dass Tim immer für ihn da war.

Er hatte es schon in Texte gepackt und dabei doch nur einen Bruchteil beschrieben. Stegi war ja kein Autor – er versuchte nur immer, das in Worte zu fassen, was er sagen wollte.
Tim hatte gerührt reagiert, aber auch so, wie Tim eben war – nicht ganz so offen mit seinen Emotionen wie Stegi.

Und das war okay. Stegi fand, dass sie insgesamt ein echt gutes Team ergaben.

Stegi jammerte über seine Prüfungen und wie lange so ein verdammtes Medizinstudium ging und wie teuer Fachbücher waren. Tim kannte die Litanei, aber Stegi wusste, dass Tim sie sich trotzdem wieder und wieder anhören würde.
Genauso wie Stegi im TS war und Tim zuhörte, wenn er mit irgendwem über Programmiersprache oder Tools quatschte und Stegi genauso gut in einem chinesischen TS abhängen könnte.

Aber so war ihre Freundschaft. Manchmal war es einfach wunderbar, Zeit miteinander zu verbringen und der Stimme des anderen zuzuhören.
So richtig kitschig.


Auf dem Bahnsteig fiel Stegi wieder ein, dass er Tim eigentlich gern löchern und nach Möglichkeit verkuppeln wollte.

Liebe war doch so etwas Wichtiges. Sie machte doch glücklich. Sie gab eine Perspektive und eine Zukunft und sie erfüllte einen und machte einen stärker.

Stegi wünschte sich so sehr für Tim, dass er seine Ängste überwinden würde und sich einfach selbst das Geschenk machen würde, sich Hals über Kopf zu verlieben.

Natürlich konnte man dabei auf die Fresse fallen. Aber das konnte man immer im Leben und Herzen waren ja nicht aus Glas. Sie waren aus Muskelgewebe und ein brechendes Herz vermutlich so was wie ein Muskelkater – nichts, was der Körper nicht repariert bekam.

Aber als Stegi sich von Tim verabschiedete, sprach er das Thema nicht an. Tim wirkte ein wenig unglücklich und ein wenig schweigsamer als sonst.
Stegi nahm ihn fest in den Arm und nahm ihm mehrfach das Versprechen ab, dass sie sich bald wieder sehen würden. Dass sie sich ab jetzt ganz oft treffen würden und immer eine Möglichkeit finden.

Stegi wollte Tim gar nicht wieder loslassen, aber der Zug fuhr ein und da war die nächste Woche mit ihren Verpflichtungen. „Bis nachher."

„Schreib, wenn du angekommen bist", bat Tim und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

„Mach ich", verprach Stegi und stieg ein. Er suchte sich einen Sitzplatz und konnte Tim beobachten, wie er den Bahnsteig verließ.

Stegi seufzte. Er war ein bisschen melancholisch, aber eigentlich war es eine wunderbare Zeit bei Tim gewesen.
Und auch wenn er Tim nicht jetzt wirklich dazu gebracht hatte, zu seinem Potenzial zum Verlieben zu stehen, hatte Stegi ja noch alle Zeit der Welt, das aus Tim herauszukitzeln.

Vielleicht würde Tim ihn dafür auch ein bisschen hassen.
Aber auch das gehörte doch zu einer gesunden Freundschaft.

I don't know where to start
I gotta find you and your heart
Before it falls apart

Hearts [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt