The starting line

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The starting line


Drag your heart up to the starting line
Forget the ghosts that make you old before your time


Stegi begann, Tims Gegenwart zu vermissen. Er hatte nur ein paar Tage davon kosten können, aber es war einfach wunderbar, mit Tim zusammen zu sein. Er liebte die kleine Wohnung mit Tims Handschrift überall. Er mochte Essen. Er mochte die Ruhr und am allerliebsten mochte er Tim.

Er nahm sich nicht nur vor, so bald wie möglich wieder zu Tim zu fahren – er tat es auch. Er überrumpelte Tim hörbar damit, als er ihm verkündete, zwei Wochen später einfach so vorbeizukommen.

„Aber... Gibt es gar keinen Anlass?", fragte Tim lahm und Stegi antwortete: „Tim, wir sind schon so lange Freunde, ich glaube nicht, dass ich einen Anlass brauche."
Also packte er seine Koffer und fuhr am Wochenende zu Tim, der ihn wieder vom Bahnhof abholte und in seine kleine Wohnung fuhr, wo Stegi sich glücklich umsah, weil sich nichts geändert hatte. „Es ist wunderbar hier", sagte er zufrieden.

Tim lachte auf. „Du bist bescheuert. Wollen wir Pizza bestellen?"

Stegi schlug nicht noch einmal vor, dass Tim ihn auch besuchen könnte. Seine Familie war laut und anstrengend und Tim würde gar nicht umhin kommen, sie alle zu treffen. Außerdem war es bei Tim so toll, dass Stegi zu ihm wollte und nicht andersherum.
Es war so entspannt. Es fühlte sich wie ein Zuhause an.

„Wenn ich dich nerve, musst du es einfach sagen", meinte Stegi, als er seinen dritten Besuch vorsichtig vorschlug. Eigentlich hatte er die Tickets schon gekauft, aber ihm war noch rechtzeitig eingefallen, dass es unhöflich war, sich bei anderen einzuladen.

„Du nervst mich nicht", sagte Tim kurz zögernd. „Aber..." Er seufzte. „Vergiss nicht, deine Yuccapalme zu gießen, bevor du losfährst."

Stegi schloss daraus, dass Tim irgendwelche nichtigen Bedenken hatte, die er getrost ignorieren konnte. Er brachte Tim als Gastgeschenk seine Yuccapalme mit. „Sie möchte lieber bei dir wohnen."

Tim starrte das Gewächs perplex an. „Du hast sie mit dem Zug hergebracht, um diesen Spruch zu bringen?", fragte er leicht amüsiert und ließ Stegi samt Tims neuer Zimmerpflanze herein.

„Bald kannst du hier einziehen", brummte Tim, als Stegi bei seinem vierten Besuch ein paar Kleidungsstücke bei Tim einquartierte.

„Ich hätte nichts dagegen", gestand Stegi und wartete aufgeregt Tims Reaktion ab, doch der verdrehte nur die Augen.
Stegi würde am liebsten wirklich nie wieder nach Hause fahren, aber in diesem Moment kamen ihm das erste Mal Zweifel, ob Tim genauso glücklich war, Stegi bei sich zu haben, wie Stegi es war, wenn er bei Tim war.

Nun, wo er mehr darauf achtete, beobachtete er stille Momente, in denen Tim seltsam traurig wirkte. Schließlich blickte er Stegi beim Abschied am Bahnhof kaum in die Augen.

Stegi nahm das erstmal so hin, aber es verunsicherte ihn und er entschied, mal eine etwas längere Zeit Tim nicht auf die Nerven zu fallen. Vielleicht war Tim einfach manchmal gern allein und das konnte Stegi wirklich gut akzeptieren, wenn er in der Zeit, in der er nicht gern allein war, gern mit Stegi zusammen war.

Aber es war sehr deprimierend, sich nicht auf seinen nächsten Besuch bei Tim freuen zu können. Er hatte seinen Alltag sehr oft damit bewältigt, den Abstand bis zum nächsten Tim-Wochenende kleiner werden zu sehen.
Irgendwie hoffte er, dass Tim ihn vielleicht fragen würde, wann er das nächste Mal vorbeikommen würde. Oder dass er ihn einlud. Oder ein anderes Treffen vorschlug.

Stegi verbrachte immer noch viel Zeit mit Tim. Er schrieb mit ihm und war mit ihm im TS, aber manchmal wirke Tim irgendwie kurz angebunden und abweisend und Stegi hatte plötzlich die schrecklichste bodenlose Angst, Tim zu verlieren.

„Tim", schrieb er ihm irgendwann, weil Schreiben so viel leichter ist als Reden. „Ich frag mich, ob mit uns alles okay ist. Mit dir und mir."

„Ist es", antwortete Tim, aber es kam keine Aussage darüber, was genau okay war und auf welchem Level des Okay-Seins und Stegi hasste seine unpräzise Frage und die damit unpräzise Antwort.

Er jointe in den TS und wartete. Wenn wirklich alles okay war, würde Tim ihm ja nicht aus dem Weg gehen... Aber er tat es. Sonst war Tim quasi immer im TS und ausgerechnet heute nicht?

Stegi fing ihn in einem anderen TS ab, wo er mit Sarah im Channel war und auf Stegis spamartiges Anstupsen nicht reagierte.
Nach fünf Minuten stupste Tim zurück. „Eine Minute."

Stegi hörte auf zu stupsen und wartete. Und tatsächlich wechselte Tim den Channel. „Du bist der schlimmste Spammer, den es gibt."

„Danke", meinte Stegi frostig. „Bei dir laufe ich aber auch manchmal zu Höchstformen auf."
Tim stieß so etwas wie ein halbes Lachen aus. „Okay, was ist denn?"

Stegi atmete kurz durch. „Tim...", begann er vorsichtig. „Ich weiß nicht, ob du meine Nachricht richtig verstanden hast."
„Doch, hab ich. Mit uns ist doch aber alles okay", meinte Tim.

„Ne!", gab Stegi impulsiv zurück. „Irgendwas ist nicht okay. Ich weiß nur nicht, was es ist. Bin ich dir auf die Nerven gegangen? Dann sag mir das doch einfach. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Willst du mehr Ruhe haben? Was ist es?"

Tim schwieg und Stegi war kurz davor, seine Tastatur durch die Gegend zu werfen. „Du bist ein Idiot", brachte Tim heraus und er klang irgendwie erstickt.

„Was?", fragte Stegi entsetzt.

„Du bist ein Idiot!", sagte Tim lauter. „Alles ist okay. Alles ist vollkommen in Ordnung und so wie immer und es gibt überhaupt nichts, worüber man sich... man sich Gedanken machen muss."

Das klang aber überhaupt nicht so. Tim klang eher, als würde er versuchen, es sich selbst einzureden. Stegi hatte ihn noch nie so verzweifelt erlebt und er wusste gar nicht, was er sagen oder tun sollte.
(Tim war doch nie der Emotionale von ihnen beiden. Tim verlor doch nie so ganz die Fassung.)
„Was ist?", flüsterte er. „Warum hast du so eine Angst, mir zu sagen, was du fühlst? Denkst du wirklich, ich würde dich nicht ernst nehmen? Oder auslachen?"

Tim lachte auf. Es war ein kurzes Lachen, ganz nah dran, bitter zu sein. „Quatsch. Es... es ist wirklich okay. Vielleicht ist es nur keine so gute Idee, wenn du immer herkommst." Seine Stimme klang wieder fester, der letzte Satz sogar ziemlich überzeugt.

„Warum nicht?", fragte Stegi leise, dessen Herz in die Hose rutschte. Er fühlte sich zurückgewiesen. Ungewollt. Ungeliebt.

„Du bist ein Idiot", sagte Tim diesmal ganz ruhig, als hätte er seine Fassung wieder. Er atmete hörbar ein und aus. „Stegi, ich... es kann sein, dass ich mehr für dich empfinde. Und es macht es nicht gerade besser, wenn du hier bist."

Sie schwiegen. Stegi sortierte Tims Worte, bis er so langsam verstand, was sie meinten.
Er hatte irgendwie mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Tim in ihn... in ihn verliebt sein könnte. Er hatte mit Ablehnung und Genervtheit gerechnet, aber nicht damit, dass Tim ihn zu sehr bei sich haben wollte.

„Vielleicht...", setzte Tim an. „Lass ich dir ein paar Tage. Bis bald." Und damit floh er aus dem Channel und ließ einen sehr verdatterten Stegi zurück, der nur langsam verstand, was das alles bedeutete.
Irgendwo in ihm fing etwas an zu flattern. Ein Gefühl kroch seine Rippen herauf. Sein Herz öffnete sich wie eine Blüte.

Konnte es wirklich wahr sein?

Stegi schlug die Hand vor den Mund und starrte auf den Bildschirm vor sich, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Wenn es wahr war... Hieß das auch, dass Tim jetzt einfach davon ausging, dass es alles zwischen ihnen zerstören würde? Hatte er nun Angst vor Stegis Reaktion?

Stegis Hand zitterte, als er nach der Maus griff und sich zu der Seite der Deutschen Bahn durchklickte und das nächstbeste Ticket kaufte.

Er würde nicht zulassen, dass Tim sich unter seiner Angst vergrub und sich einredete, es könne alles nicht funktionieren. Stegi wusste mit einer seltsamen Sicherheit, dass alles an ihnen beiden passte, dass sie etwas waren, das man nur mit kitschigen Worten beschreiben konnte. Mit Seelenverwandtschaft. Mit Magie. Vielleicht mit der großen Liebe.

Er wollte es wissen. Er wollte es versuchen.

Stegi druckte das Ticket aus, wandelte durch sein Zimmer, um seine Tasche zu packen, und machte sich schließlich auf den vertrauten Weg zu Tim.
Er wollte nach Hause und verstehen, was sie aneinander band.

Things will be clearer, and soon as we make a start
We'll be that much nearer
We're too old to just stand here waiting to break apart

Hearts [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt