Ungläubig, dass der Wolf ihr tatsächlich ins Auto gefolgt war, warf sie immer wieder einen Blick in den Rückspiegel, von dem aus sie den Kofferraum sehen konnte. Die Spitzen dunkelgrauer Ohren ragten über die Rücksitzbank hinaus, als sie den Blick auch schon wieder abwenden musste, um in den schlammigen Weg einzubiegen, der zu ihrem Haus führen würde, vor dem sie schließlich hielt.
Was mache ich hier bloß?
Mit einem Seufzen öffnete sie die Tür ihres Wagens, stieg aus und setzte mit zittrigen Beinen ihren Weg zum Kofferraum fort, den sie zögernd öffnete. Ohne jegliche Scheu streckte der Wolf ihr seinen Kopf entgegen - als wäre er ihr Hund - bevor er aus dem Auto sprang, was ihm ein leisen Winseln abverlangte, als er auf seinem verwundeten Bein landete.
Ohne zu überlegen überbrückte sie den Abstand zwischen ihnen, angezogen von etwas, das sie nicht benennen konnte, jedoch deutlich verspürte.
"Schht."
Sanft schmiegte sie eine Hand an die Rundung seines Kopfes, wobei er sie unentwegt aus seinen intelligenten Augen betrachtete. Er sah, wie sie sich mit der freien Hand in einer nervösen Geste das Haar zurückstrich. Wie sie kurz auf ihre Unterlippe biss. Scheinbar eine unbewusste Angewohnheit.
"Ich hole besser den Erste-Hilfe-Kasten", sprach sie mehr zu sich selbst als zu ihm und zog dabei die Hand zurück, bevor sie mit schnellen Schritten zu ihrem Haus lief und in diesem verschwand.
Nur Augenblicke später kam sie mit einem Kästchen in der Hand zurück und kniete sich vor ihn auf den Boden, auch wenn ihre Hose so offensichtlich vom Schlamm in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Wild kramten ihre Hände in dem Kasten herum, bevor sie verschiedenes Verbandsmaterial auf ihrem Schoß ausbreitete und schließlich eines der Päckchen öffnete."Halt still."
Ohne eine Spur von Angst zog sie behutsam sein Vorderbein zu sich, nachdem er sich vor sie gesetzt hatte und begann die Mullbinde um die Wunde zu wickeln. Blutige Abdrücke, wie die eines Bisses, verschwanden nach und nach unter dem weißen Stoff, bis schließlich nichts mehr zu sehen war.
Der Wolf blieb regungslos vor Grace sitzen, bevor er sich mit einem Mal erhob, nach einem kurz ausgestoßenen Heulen kehrt machte und mit schnellen Sprüngen in den angrenzenden Wald verschwand.Mit überrascht geöffneten Lippen sah sie ihm hinterher, bevor sie es schaffte sich aus ihrer Starre zu reißen. Erst jetzt als dieser seltsame Schleier verschwand, der sie die ganze Zeit über wie in Watte gehüllt hatte, machte sich langsam in ihr die Erkenntnis über ihr Handeln breit. Die Gewissheit über die Gefahr, in der sie sich befunden hatte, kam mit einem Schlag und ließ sie verdutzt zum Waldrand hinüber schauen.
Was war das gerade eben?
Mit wackeligen Beinen erhob sie sich von dem nassen Boden und ging mit schnellen Schritten in ihr Haus, welches sie augenblicklich vor dem niederprasselnden Regen schützte, der laut auf die alten Ziegel des Daches fiel. Ungelenk schlüpfte sie aus ihren Schuhen und dem Mantel, den sie achtlos auf die Holzdielen fallen ließ, bevor sie sich auf den Weg ins Badezimmer machte, wo sie sich auch ihrer restlichen Kleidung entledigte und den Wasserhahn aufdrehte, um sich ein heißes Bad einzulassen. Noch immer konnte sie nicht begreifen, was sie dazu geritten hatte dem Wolf solch ein blindes Vertrauen und solch eine Naivität entgegenzubringen. Wie ein Kleinkind, das die ersten Schritte tat und sich der Konsequenzen eines Falls noch nicht bewusst war.
Während Grace sich in der dampfenden und nach Lavendel duftenden Badewanne niederließ, streifte der Wolf ruhelos durch den Wald, wobei sein Blick immer wieder auf seinen bereits durchnässten Verband fiel, durch dessen Weiß das Rot seiner Wunde schimmerte. Das heiße Blut lief ihm unablässig durch das Fell. Verklebte es und ließ seine Sicht verschwimmen, weshalb er immer wieder benommen blinzelte um bei Verstand zu bleiben.
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Howl
Hombres Lobo»Biting words like a wolf howling« Nacht für Nacht erwachte Grace mitten im Wald, ein ganzes Stück weit entfernt von ihrem Haus. Sie wusste nicht, wie sie dort hingekommen war, doch sie wusste, dass sie dort niemals allein war. Eine dunkle und zugle...