Fünf

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Alles fühlt sich so leicht an, so unbeschwert. Selbst das Wasser, jeder einzelne Tropfen scheinen mich in Friede zu wiegen und ich warte auf einen Grund. Etwas Endiges, etwas, das ich identifizieren kann. Da ist nur diese Blase um mich herum. Eine dicke Membran, kein Durchkommen. Doch etwas durchbricht dieses Vakuum und jede Berührung dieses Fremden schmerzt und scheint mich dem Tod entreißen zu wollen. Lass mich, lass mich gehen. Die Wärme um mich herum entweicht und klirrende Kälte drückt auf meinen Brustkorb. Holz in meinem Rücken, an meinem Hinterkopf, den Po, den Oberschenkeln, den Fersen. Stimmen um mich, viel zu laut und etwas presst meine barstenden Rippen. Kann die Augen nicht öffnen, will ich auch gar nicht.

„Atme, verdammte Scheiße.“

Nö.

Hitze strömt aus meinem Mund und viel zu viel Luft ersetzt die Flüssigkeit. Wieder kratzt mein Rachen und ich komme nicht drum rum zu husten, zu spucken und einzusaugen. Es fühlt sich an, als würde jemand einen Faden durch die Mitte meines Brustkorbs ziehen und mich daran aufhängen. Wie eine Marionette. Willenlos und gesteuert. Jemand streicht mir über den Schopf und der Faden zieht mich auf die Seite. Zwingt mich das Seewasser fliehen zu lassen. Meine Sicht ist verschwommen und so schließe ich die Augen nach dem kleinen Blinzeln.

„Lass sie doch sterben.“

„Selbst Schuld.“

„Sie will es doch.“

Stimmt, sie will es doch. Der Faden zieht sich durch mein Fleisch, zwirbelt an den Rippen vorbei, ätzt die Haut weg. Wie ein heißer Draht. Ich sterbe.

„Haltet jetzt alle eure Klappe!“ Das war er. Er. Und er hebt mich auch hoch. Lass mich zurück in den See fallen, lass mich untergehen. Bring dich meinetwegen aus Angst und Selbstmitleid auch mit um, mach doch. Aber lass mich bitte jetzt los. Mach schon. Tust du nicht. Willst du nicht. Wirst du nicht. Arschloch, verdammtes Arschloch.

„Komm zu dir, Caja.“

Nein.

„Bitte.“ Nein. Ein leises Seufzen ertönt, dann legt er Hand an. Er, Casper. Das weiß ich. Mein Oberkörper wird hoch gestützt und ich tue ihm doch den Gefallen.

„Du musst aus den nassen Klamotten raus.“

„Als ob es dich interessiert.“ Er zieht die Augenbrauen hoch. Scheinbar überrascht. Übermut tut verdammt nochmal gut. Wortlos zieht er mir das Oberteil aus und die Hose. Ich achte nicht auf das, was er tut. Ich beobachte seine Mimik. Nichts, da ist absolut nichts. Es wirkt fast etwas abweisend, schon nahezu gleichgültig. Er zuckt nicht zusammen wie ich, als er meine Schenkel sieht und mich in eine lange Hose schon fast bettet. Das Oberteil ist lang und warm und die Kälte nimmt etwas ab.

„Du wirst jetzt was Essen“, informiert er mich und ich sehe mich um. Sofa, Wohnzimmer, Gott sei Dank alleine. Noch ehe ich etwas sagen kann, liegt ein heißer Teller mit einer undefinierbaren Flüssigkeit in meinem Schoß. Misstrauisch rühre ich mit dem Löffel darin herum.

„Ich esse das nicht.“

„Dann stirb halt.“

„Schön.“ Wieso habe ich das unangenehme Gefühl ihn langsam besser kennenzulernen?

„Du willst nicht, dass ich dich dazu zwinge, Caja“, murrt er und sitzt weiter auf der Kante der Couch. Und eben weil ich weiß, was das bedeutet, esse ich. Es schmeckt nicht schlecht, sogar ziemlich gut. Meine Kehle tut weh, aber es ist erträglich. Er beobachtet mich dabei und lächelt sogar leicht. Das ist ungewohnt an ihm. Ein Grinsen, Auslachen, Feixen ist so anders.

„Du bist sechzehn, hm?“

„Siebzehn. Nächsten Monat achtzehn“, verbessere ich ihn und er nickt langsam.

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt