Dreizehn

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Wir fahren Stunden und ich kann nicht einfach so einschlafen. Lejs sieht manchmal nach hinten, spricht aber nicht mit mir. Das Radio ist an und ich will in die Musik eintauchen. Mir würde es zwischen den Noten so viel besser gehen. Der kleine Raum, der Spalt zwischen e und g ist mein Unterschlupf. f ist meine Zuflucht, mein Unterschlupf. Dort kann ich mich verstecken und niemand wird mich finden, während alle anderen über mich rüber rollen. Meine Güte, was denke ich bitte für eine Scheiße? Der Tag schreitet voran und es wird immer dunkler. Melodien lenken mich nicht mehr ab, ich bin in der Wirklichkeit.

„Bist du wach?“ Ich wünschte, ich wäre es nicht. Er dreht den Kopf zur Seite und mustert mich. Ich schließe die Augen und zwinge mich, ruhig zu atmen.

„Du kannst gleich kurz raus“, murmelt er und das Auto wird langsamer. Dann hält er und die Tür zu meinem Kopf gerichtet wird geöffnet. Er greift mir unter die Arme und ich spüre meine steifen Finger nicht mehr. Der Schmerz ist verklungen, mein Bein tut weh und die frische Luft schlägt gegen meine erhitzte Stirn. Lejs hebt mich hoch und weil alles so taub ist, tut es nicht mal weh. Ich sehe mich um. Wir sind in einem Wald, der durch eine einspurige Fahrbahn durchzogen wird. Das Auto parkt auf dem kleinen Rasenstück, das eine Verbindung von Asphalt zu den Bäumen darstellt. Der Himmel ist klar aber schon fast komplett dunkel. Er geht einmal um den Wagen rum und setzt mich auf der Motorhaube ab. Aus der riesigen Tasche seines Pullovers fischt er eine Flasche Wasser. Er zieht das Klebeband ab und lässt mich trinken. Dann lässt er mir einen Moment Luft und ich kann ohne etwas auf dem Mund zu haben atmen.

„Ich seh' kurz nach Casper“, kündigt er an und lässt mich alleine. Ich drehe meinen Oberkörper so weit wie möglich nach hinten, kann aber nur einen Spalt erkennen. Lejs öffnet den Kofferraum und dann ist da nur schweigen. Mit einem Knall schließt sich die Stille wieder und Lejs kommt wieder zu mir.

„Geht' s ihm gut?“, frage ich vorsichtig und etwas in mir zieht sich zusammen.

„Besser als dir, keine Sorge“, antwortet Lejs nüchtern und berührt meine Wange. Ich kann mich nicht entziehen.

„Eigentlich müsste man dich ja echt nochmal aufpäppeln, bevor du verkauft wirst. Vielleicht kriege ich dann ja mehr Kohle.“ Er legt seine Hand an meine Stirn und zieht sie dann über meine Haare. Ich schmecke Blut und starre ihn an. Auf was will er hinaus? Seine hellen Augen mustern mich kritisch. Der kräftige Kiefer spannt sich immer wieder kurz an und dann schnalzt er mit der Zunge.

„Und vögeln. Ich werde dich definitiv vögeln.“ Ohne wirklich Zeit zu haben, zu realisieren, knebelt er mich wieder. Mit einem Ruck drückt er meinen Oberkörper nach hinten und mein Hinterkopf trifft so hart auf, dass es anfängt zu kreisen. Nur schleierhaft spüre ich seine Hände an meinen Schenkeln. Er zieht mich an die Kante und durch die schwere Schiene an meinem Bein, hebt sich mein Becken an.

„Ist ja schön, dass du mir entgegen kommst, aber so geht das nicht“, höre ich ihn tief grollen und dann schiebt er seinen Arm unter meinen Rücken, um mich neben das Auto auf den trockenen Rasen zu heben.

„Hälst du gerade ernsthaft den Mund? Kämpfst du nicht?“ Wofür? Er will mich provozieren und macht sich lustig, aber es ist wie es ist. Ich kann nicht weglaufen und ihn nicht von mir drücken. Ich kann nichts tun. Wenn er mich ficken will, dann tut er das so oder so. Stumm fließen Seen aus meinen Augenwinkeln und laufen mir über die Ohren in die verfilzten Haare. Seine Finger schleichen sich in meine Scham und er will mir wirklich, wirklich weh tun. Den Slip zieht er runter und er hängt in meinen Kniekehlen. Er kostet seine Macht aus und dann muss ich doch schreien, obwohl mir so schwindelig ist. Keine Ahnung, was man da zerstören kann, aber er tut das gerade definitiv.

„Vergiss nicht zu atmen, Babe“, feixt er und stützt beide Hände neben meinen Oberarmen auf, um sich besser bewegen zu können. Reflexartig und doch schon ziemlich armselig winkele ich das gesunde Bein an und schiebe mich ein kleines Stück von ihm weg. Ich schaffe es mit einem Versuch so weit, dass er unterbrechen muss und mich angrinst, während ich schon fast vor Angst quieke.

„Bleib doch bei mir, Süße“, lacht er mich aus und stemmt die Knie neben meiner Hüfte auf. Dann legt er beide Hände an meine Taille und zieht mich wieder zu sich ran. Dort bleiben sie auch und er macht weiter. Er hört einfach nicht auf und ich brauche Casper. Genau jetzt. Aber er wird nicht kommen können, weil er gefesselt im Kofferraum des Typens liegt, der mich gerade vergewaltigt. Und ich kann nichts tun. Ich liege im Dreck eines womöglich riesigen und einsamen Waldes und kann nichts tun. Ein mir fremder Typ stößt sich in mich hinein und ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich habe mir meinen Sex immer anders vorgestellt. Hände an Stellen, wo ich sie genießen kann, ein Tempo, das ich bestimme und ein Moment, der einfach richtig ist. Ein Partner dem ich mich hingeben kann und dem ich alles von mir schenken möchte. Schmerzen, ja vielleicht, aber in Maßen. Ich wollte mich niemals schämen für mich und meinen Körper, aber genau das passiert gerade. Es ist mir peinlich, dass er mich nackt sieht und es ist unglaublich erniedrigend, keine Gewalt rüber die eigenen Entscheidungen mehr zu haben. Mit sich machen lassen zu müssen, was der andere will und dabei keine Wiederworte zu geben. Höchstens Schreie, die keiner hört und für die man geschlagen wird. Meine Mutter hat mir immer beigebracht, mich nicht nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen. Weder am Strand, noch im Kindergarten. Sie hat mir gesagt, dass ein anständiges Mädchen sowas nicht tut und nur Mama und Papa mich so sehen dürfen und mein zukünftiger Ehemann. Das hat sie gesagt und jetzt habe ich kaum noch etwas am toten Körper, das mich verhüllt und meinen Entführer zwischen den Oberschenkeln. Meine Mutter war keine sonderlich herzliche Frau. Ich will damit nicht sagen, dass ich sie nicht liebe, aber ich war nie ihr Alles. Ihre ständig wechselnden Liebschaften haben ihr mehr Zeit genommen als ich. Nicht so viel wie die Arbeit oder der Tee mit Freundinnen, aber ich war niemals an erster Stelle. Es würde mich interessieren, was sie unternommen haben. Ob sie überhaupt schon wieder aus dem Urlaub zurück sind. Ob sie mich als vermisst gemeldet haben. Ich habe an meiner Schule keine guten Freunde. Einige Bekanntschaften, aber mehr auch nicht. Wir sind uns nicht so nahe, dass sie mein Verschwinden bemerken würden. Sie würden nicht in mein Haus gelangen und die minimalen Anzeichen der Entführung erkennen. Sie wissen nicht mal, wo ich wohne. Sie würden nicht auf die Idee kommen, dass ich mit gebrochenen Bein, Fingern und Willen im Nirgendwo liege und Todessehnsucht habe. Das kann sich niemand vorstellen. Nicht mal ich selbst.

„Du bist zu schade, aber zu kaputt, Babe“, raunt Lejs an mein Kinn und schließt seine Hose. Ich bin zu tot um zu sterben. Er legt seine Lippen an meine und ich schmecke seinen Atem. Klar und nicht rauchig, wie Tau am Morgen. Frisch irgendwie. Er schmeckt gut. Und plötzlich rüttelt er an meinen Schultern und schreit mich schon fast an.

„Spuck es aus, komm schon, spuck es aus!“, entziffere ich irgendwann seine Worte und weiß nicht, was er meint. Er dreht mich auf die Seite und immer noch hängt er auf meinen Lippen, obwohl er da nicht mehr ist. Und dann läuft er meinen Mundwinkel herab und von der Wange bis ins Ohr. Er kitzelt mich und ich spüre erst jetzt, dass ich keine Luft mehr bekomme. Das war nicht er. Es war mein Blut, dass so geschmeckt hat und nicht er. Das war mein Blut. Wie ein kleiner Fluss läuft es auf die grünen Halmen und lässt Fluten entstehen. Mein Blut ist süß, es wird den Ameisen schmecken.

„Du musst es abhusten.“ Ich will nicht, aber da ist dieser Würgereflex, der mir mein wunderbares Leben rettet. Ich will nicht wissen, woher die rote Kotze kommt. Sie sickert in den Boden und wird aus den Wasserhähnen einer Familie in Kungsholmen rauslaufen. Ich verpeste sie alle. Sie alle. Lejs ist überfordert und trägt mich wieder ins Auto. Er legt mir ein Handtuch unter den Kopf und fragt mich, ob ich Luft bekomme. Ich nicke und dann wackelt auf einmal das Auto. Links, rechts, links, rechts. Wir werden sterben. Doch dann höre ich das Brüllen und weiß, dass Casper erwacht ist. Lejs ist immer noch über mich gebeugt und er sieht kurz nach hinten und dann wieder zu mir. Ich muss grinsen und offenbare meine blutigen Zähne.

„Er wird dich umbringen.“

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt