Kapitel 2

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"Du bist was?!", Maddies Augen waren so groß wie Suppenteller als ich im Gemeinschaftsraum neben ihr auf dem Sofa saß, nachdem ich ihr erklärte das meine angebliche Oma gekommen war um mich abzuholen. Sämtliche Augenpaare richteten sich auf uns und ich fühlte mich mit einem Mal schrecklich unwohl. Meine beste Freundin starrte fassungslos meine Hände an, wärend ich ihr das Wort 'adoptiert' erneut vorzeigte. "Sie ist einfach so hereinspaziert und behauptet du wärst ihre lange verschollene Enkelin? Haben die Behörden, nachdem der Unfall passiert ist, denn nichts von ihr gewusst?", fragte sie und ich zuckte mit den Schultern. Maddie verstummte und betrachtete ihre Finger. Ich musste sie nicht ansehen um zu wissen, dass sie mit den Tränen kämpfte. Plötzlich schlang sie ihre Arme um meinen Hals und drückte mich an sich. "Oh Mann Kayla ich freu mich echt wahnsinnig für dich!", rief sie und nun bildete sich auch bei mir ein Kloß im Hals. "Glaubst du denn ich darf mich unten noch von dir verabschieden?", voller Tatendrang sprang sie auf und zog mich auf die Beine. Selbst wenn meine Freundin weiter die Überglückliche spielte, hatte ich die kleine Träne gesehen, die sich aus ihrem Augenwinkel gestohlen hatte. Die Tür des Gemeinschaftsraumes fiel hinter uns ins Schloss und ich blieb sofort stehen. "Kommst du?", Maddie strahlte mich weiter an. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue nach oben. "Was ist denn?", kicherte sie und ich schüttelte bloß den Kopf. Das Mädchen seufzte. Sie wusste dass ich ihr die Happy-Nummer nicht abkaufte. "Okey ich geb zu, dass ich ein wenig wütend bin. Du lässt mich hier schließlich vollkommen alleine mit all diesen schrägen Leuten und dem widerlichen Kantinenfraß, aber Kayla ich freue mich wirklich für dich. Nicht viele Jugendliche haben das Glück nochmal von einer Familie aufgenommen zu werden. Die meisten Eltern wollen ein kleines Kind, dass sich leichter an sie gewöhnen kann. Aber du Kayla, hast die Chance nochmal von ganz von vorne anzufangen", wieder schloss sie mich in die Arme und jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten.

Weil ich so schnell wie möglich hier weg wollte und Maddie mir beim Packen geholfen hatte, stand ich bereits eine gute halbe Stunde später in der Eingangshalle des Backsteingebäudes. Meine 'Großmutter' und Mrs. Chackels standen vor mit und meine beste Freundin neben mir. "Nun komm und verabschiede dich von Maddie", die Aufseherin warf einen genervten Blick auf die Armbanduhr an ihrem fetten Handgelenk. Ich umarmte meine einzige Freundin noch ein letztes Mal. "Himmel nun seid doch nicht so dramatisch", konnte dieses Miststück nicht einmal den Mund halten? "Du wirst sie noch jeden Tag in der Schule treffen. Mrs. Harrison wohnt nicht sehr weit von hier. Also bitte geh jetzt mit deiner Großmutter, ich habe noch wichtigen Papierkram zu erledigen", mit diesen Worten packte die blöde Ziege meinen Koffer und schleifte ihn zur Tür. Ich seufzte, riss ihn aus ihren dicken Fingern und stolzierte hoch erhobenen Hauptes aus dem Heim. Hinter mir konnte ich Maddie leise kichern hören. Als ich mich umdrehte bemerkte ich, dass meine Oma mir gefolgt war. Sie lächelte genauso wie zuvor, aber jetzt wirkte es gequält und wieder so streng wie heute Mittag. Ich grinste nur unsicher zurück und wandte mich unschlüssig der Straße zu, denn ich wusste ja nicht welches Auto ihres war. In diesem Moment öffnete sich die Tür eines schwarzen Mercedes, ich glaubte zumindest dass es einer war, und ein weißhaariger Typ mit Anzug, einer Hakennase und hellbraunen Augen stieg aus. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und feine Lackschuhe. Mrs. Harrison lief schnurstracks auf den vornehmen Herren zu und ließ sich von ihm in den Wagen helfen. Etwas überfordert stand ich in der Einfahrt und umklammerte den Griff meines Koffers. "Mrs.? Wollen sie nicht einsteigen?", fragte der Mann und ich schaute mich zuerst um, um sicher zu gehen das er auch wirklich mich gemeint hatte. Als mir klar wurde, dass niemand hinter mir stand atmete ich tief durch und ging dann zu dem schwarzen Auto hinüber. Der Chauffeur half mir ebenfalls in den Mercedes, auch wenn ich das ganz gut alleine gekonnt hätte, und verstaute anschließend mein weniges Gepäck im Kofferraum. Dann stieg er ein und lenkte den Wagen geschickt aus dem Parklücke. Wärend wir fuhren redeten Mrs. Harrison und ich kein Wort. Langsam beschlich mich das dumpfe Gefühl, dass diese Dame nicht wusste wie sie mit einer Teenagerin umgehen sollte. Besonders mit einer die nicht sprechen konnte. Ich starrte aus dem Fenster und begann die Häuser zu zählen. Als ich bei zweiunddreißig angelangt war, wurde ich von der Stimme meiner Großmutter unterbrochen. "Wie alt bist du Kayla?", fragte sie und ich wandte ihr mein Gesicht zu. Nach kurzem Zögern zeigte ich ihr mein Alter anhand meiner Finger. "Siebzehn also, in welche Klasse gehst du denn?", ich wusste nicht ob es sie wirklich interessierte, oder ob sie nur versuchte Smalltalk zu betreiben, aber weil ich mich sonst nicht anders beschäftigen konnte antwortete ich ihr so gut es ging. "Die neunte Klasse ist eine der schwierigsten. Wie geht es dir mit der Schule?", fragte sie und ich hob einen Daumen nach oben. "Das ist gut zu wissen", damit war die Unterhaltung für den Rest der Fahrt beendet.

Als der Wagen vor einem schwarzen Tor anhielt und der Fahrer einen Knopf betätigte, der es langsam aufschwingen ließ, blieb mir fast die Spucke weg. In Mitten eines großen, herrlichen Gartens erhob sich ein altes, aber schönes Haus in den Himmel. Es hatte etwas von diesen schicken, vornehmen Herrenhäusern, wie es sie im siebzehnten Jahrhundert in England gegeben hatte; und doch war die Bauweise eher im schlichten Stil gehalten. Dieses Gebäude hatte einen seltsam vertrauten und doch geheimnisvollen Eindruck und ein angenehm warmes Gefühl durchflutete meinen Körper. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich, zum ersten Mal seid fünf Jahren, endlich wie zu Hause. In dem Moment stoppte das Auto und meine Tür ging auf. Ich stieg aus und legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war zwar von Wolken verhangen, aber aus einer kleinen Ansammlung von Bäumen konnte ich die Vögel zwitschern hören. Genüsslich schloss ich die Augen und atmete die frische Luft ein. Ein leises Hüsteln ließ mich herumfahren. Mrs. Harrison stand auf der untersten Stufe der Treppe und hatte die Hände verschränkt. Der Chauffeur nahm gerade meinen Koffer aus dem Auto. Schnell ging ich zu ihm, deutete auf mich und nahm ihm mein Gepäck ab. Der Mann hielt kurz inne, nickte dann und stieg wieder ein. "Komm Kayla", sagte meine Großmutter und ich konnte das Geräusch ihrer Absätze hören, als sie hinauf zum Eingang des Hauses stieg. Die beiden Türflügel schwangen auf bevor sie ein Hand auf den Knauf legen konnte. Dahinter stand eine junge Frau in einem schlichten, schwarzen Kleid und machte einen kurzen höfflichen Knix, als meine Großmutter an ihr vorüber ging. Ich schenkte ihr nur ein schüchternes Lächeln, dass sie zu meiner Überraschung um ein Vielfaches strahlender erwiderte. Sie beeilte sich die Tür zu schließen und meiner Oma den Mantel abzunehmen. Hastig zog ich meine Jacke aus und gab sie ihr. "Danke Emma, wenn du deine Aufgaben alle erledigt hast, kannst du für heute Abend gehen", meinte meine Großmutter und die Angesprochene nickte. "Vielen Dank Lady Harrison, ich wünsche noch einen guten Abend", antwortete die junge Frau, nahm einen schwarzen Poncho von einem der Haken und verschwand durch die Tür. Ich ließ den Henkel meines Koffers los und schaute mich um. An den Wänden hingen vermutlich sehr kostbare Gemälde von hügeligen Landschaften, Tieren und Pflanzen. Eines schöner als das Andere. In der Luft hing ein Geruch von Sandelholz und etwas herben, das ich nicht zuordnen konnte. "In diesem Haus gibt es nur zwei Regeln zu beachten, Kayla. Zuerst schätze ich in meinem Haushalt nichts mehr als Ordnung, also bitte versuche nichts herum liegen zu lassen. Und zweitens ist das Zimmer im zweiten Stock, die dritte Tür von vorne streng verboten. Ich beware dort meine wichtigsten Gegenstände auf. Es sind eher persönliche Sachen und ich will nicht, dass sie beschädigt werden. Wenn du dich an diese beiden Regeln hältst werden wir gut miteinander auskommen. Bis zum Abendessen, hast du Zeit es dir noch etwas bequemer zu machen. Ich rufe dich, wenn es soweit ist", sie lächelte, diesmal wieder ein wenig freundlicher und ging den Gang hinunter. Diese Frau wusste wirklich nicht wie Teenies tickten. Wenn man ihnen verbot dies oder jenes zu tun, würden sie genau eben das tun was sie nicht tun sollten. Das war nicht immer aus reiner Provokation, sondern einfach die Natur jedes neugierigen Teenagers. Eigentlich müsste meiner Oma klar sein, dass mir der verbotene Raum des Hauses jetzt keine Ruhe mehr lassen würde.

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