Kapitel 5

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Als ich am nächsten Tag die Schule betrat saß mir der Schreck immernoch ein wenig in den Knochen. Nachdem ich realisiert hatte, dass es nicht Gladis gewesen war, die Klavier gespielt hatte, war ich sofort wieder in den Flur gerannt und hatte gelauscht. Aber die Lieder waren verstummt. Meine Großmutter war hinter mir hergekommen und hatte mich gefragt ob alles in Ordnung sei. Ich wusste nicht wie ich es ihr erklären sollte und so behauptete ich eine riesige Spinne gesehn zu haben. Und deshalb sei ich so nervös gewesen. Gladis hatte zwar genickt doch ich bemerkte dass sie mir nicht ganz glauben wollte. Heute Morgen war das Frühstück sehr still verlaufen und auch als meine Oma mir den Weg von hier zu meiner Schule beschrieb wirkte sie wieder so seltsam distanziert. "Hey!", meine beste Freundin haute mich fast um als sie mich von hinten umarmte. Ich nickte ihr zu und gemeinsam gingen wir zu unserem Klassenzimmer. "Und? Wie ist dein neues Zuhause? Hast du einen süßen Typen als Nachbar?", kicherte sie und wackelte mit den Augenbrauen. Ich lächelte und erklärte ihr das ich nicht einmal Nachbarn hätte, aber das Haus wirklich schön war. Von den seltsamen Vorfällen würde ich ihr lieber erst später erzählen.
Im Klassenzimmer versuchte ich die Blicke der anderen Kinder aus dem Heim zu ignorieren. Die Meisten von ihnen schauten nur kurz zu mir hinüber und gingen dann wieder ihren anderen Beschäftigungen nach. Dass Danielle und Barb mich nicht in Ruhe lassen würden, hatte ich schon vorher gewusst. "Nah sie mal einer an, wenn das nicht unser Karottenklöpfchen ist", die Blondine warf ihre Haare über die Schulter zurück und die schwarzhaarige Barb zeigte grinsend ihre durchlöcherten Zähe. Ich ging einfach an den beiden vorbei zu meinem Platz und stellte meine Tasche ab. "Bist du jetzt auch noch taub?", keifte sie und ich stieß bloß genervt die Luft aus. "Denkst du nur weil du jetzt wo anders wohnst, bist du etwas besseres als wir anderen?", Danielles falsches Gelächter klingelte in meinen Ohren. "Im Gegensatz zu euch lassen wir anderen sie in Ruhe anstatt die ganze Zeit über sie herziehen", ein dunkelhäutiger Junge mit schwarzen Haaren drehte sich auf seinem Stuhl um und fixierte das Mädchen hinter mir. Wenn ich mich recht erinnerte hieß er Benjamin Riggs. Er hatte schon im Heim gelebt als ich dort angekommen war. Er wurde von seinen Freunden nur Riggs genannt und ich wusste auch das er nicht viel redete. "Warum setzten sich immer alle für diese Behinderte ein?!", rief Danielle und ich kniff die Lippen zusammen. "Weil sie es selbst nicht kann", lachte Barb. "Natürlich könnte sie, aber ihr beiden seit einfach zu blöd um ihre Sprache zu verstehen", Maddie setzte sich neben mich und ich warf ihr und Riggs einen dankbaren Blick zu. Dieser nickte nur und drehte sich dann wieder nach vorne.

"Und du bist dir sicher das deine Oma und du die einzigen sind die in dem Haus wohnen? Es kann doch sein das es der Chauffeur war oder Emma", meinte meine Freundin. Wir saßen auf unserer Steinmauer am Rand des Schulhofes. Ich hatte ihr erzählt was daheim alles passiert war und jetzt überlegte sie wie sich diese Vorfälle auf ganz simple Weise erklären ließen. Ich verneinte ihre Vermutung und meinte das der Chauffeur wo anders lebte und Emma auch nur jedes Wochenende kam und selbst da nur zu unbestimmten Zeiten. Das bedeutete entweder Freitags, Samstags oder Sonntags. "Und sie war am Freitag da?", fragte Maddie und ich nickte. "Seltsam", sie begann an ihrer Unterlippe herumzuzupfen, so wie sie es immer tat wenn sie nachdachte. "Halluznierst du etwa?", Maddie klopfte mir mit dem Knöchel gegen die Stirn. Ich grinste und schlug kopfschüttelnd ihre Hand weg. "Vielleicht darf ich dich ja mal besuchen kommen", schlug sie vor und ich zuckte mit den Achseln. Ich wusste nicht ob Gladis das erlaubte oder wie die Betreuer im Waisenhaus dazu standen. "Ich werde mal nachfragen", meinte sie und ich zeigte das ich meine Oma auch fragen würde. Wir beide besaßen kein Handy also war die Kommunikation eher mühsam. In diesem Moment klingelte die Schulglocke und wir gingen zum Mathe Unterricht. Vier Stunden später war die Schule vorbei und ich machte mich, nach einer langen Verabschiedung von Maddie, auf den Weg nach Hause. Die Wolkendecke hatte sich wieder verdichtet und es war kühler geworden. Ich vergrub meine Hände in meiner Jackentasche und lief die Straße entlang. Wir wohnten im eher unbewohnten Teil von Brooklyn Park und das musste was heißen den es wohnten nicht viele Menschen in diesem Teil Minnesotas. Wärend ich zwischen den Häusern hindurch ging beschlich mir ein seltsames Gefühl. Es war nicht das selbe das ich zu Hause gespürt hatte, aber die beiden waren durch aus zu vergleichen. Ich drehte den Kopf gerade soweit das ich das schwarze Auto sehen konnte. Der Wagen hatte etwa hundert Meter hinter mir geparkt. Zuerst dachte ich es wäre der Fahrer meiner Großmutter, doch der Mann hinter dem Lenkrad hatte schwarzes Haar und trug eine Sonnenbrille. Eigentlich war er ein sehr junger Mann, vielleicht ein bisschen älter als ich. Trotz der Brille ahnte ich das er mich beobachtete und so ging ich ein wenig schneller. Das Gefühl beobachtet zu werden verschwand erst als sich das schwarze Metalltor hinter mir schloss. Ich atmete erleichtert aus und ging auf das alte Haus zu. Wärend ich die Stufen hinaufstieg fühlte ich mich immer wohler und als ich die Tür hinter mir schloss pfiff ich leise vor mich hin. Ich stellte meine Tasche ab und hängte meine Jacke an die Gaderobe. Dann ging ich in die Küche um meiner Großmutter zu zeigen das ich wieder daheim war. Doch Gladis war nicht dort und auch im Wohnzimmer war sie nicht zu sehen. Ich holte meine Schultasche aus dem Flur und stieg die Treppen hinauf. Vielleicht war sie ja in ihrem Zimmer. Jetzt musste ich nurnoch heraus finden welches ihres war. Ich wandte mich nach links und begutachtete die Türen vor mir. Nah schön dann würde ich eben suchen bis ich es gefunden hatte. Langsam ging ich auf die erste Tür zu und öffnete sie. Es war zwar ein Zimmer aber unbewohnt, das konnte man riechen. Ich ging weiter und ließ meine Finger über die Griffe gleiten. Am Ende des Flurs öffnete ich die Tür und stand in einem großen gemütlichen Raum mit einem eigenen Kamin und zwei Regalen voller Bücher. Die Decke auf dem Bett war verschoben und ich war mir sicher das ich Gladis Zimmer gefunden hatte, aber sie war nicht da. Ich seufzte und trat wieder nach draußen. Vielleicht war sie einkaufen gefahren oder ausgegangen. Ich ging zurück in Richtung meines Zimmers als ich plötzlich eine Stimme hörte. Es war ein leises Flüstern und ich konnte nicht verstehen was gesagt wurde. Ich drehte den Kopf um zu sehen woher dieses Geräusch kam. Fast augenblicklich heftete sich mein Blick auf die verbotene Tür. Wenn schon das Summen aus diesem Gruselraum gekommen war, wieso dann nicht auch diese geheimnisvolle Stimme. Und wenn die Tür verschlossen war konnte wer oder was auch immer sich darin befand auch nicht nach draußen. Warum also sollte ich nicht mal lauschen? Vorsichtig, um ja kein Geräusch zu machen stellte ich mein  Schulzeug wieder ab und trat langsam auf die Tür zu. Ich beugte mich leicht nach vorne und legte mein Ohr an das dunkelbraune Holz. "Ich verlange ja nicht das du die ganze Zeit in diesem Zimmer hockst, aber du musst vorsichtiger sein", das war auf jeden Fall die Stimme meiner Oma. Mit wem sprach sie denn da? Ich drückte mich noch näher an die Tür und hielt den Atem an. Die Antwort war ein komisch klingendes Kratzen und Kreischen, als würde jemand mit etwas metallenen über Sandpapier fahren. Ich kniff die Augen gequält zusammen und wich zurück. Das Quietschen hallte noch immer in meinen Ohren nach und es fühlte sich an als würde mein Kopf gleich explodieren. Ich schnappte meine Schulsachen und verdrückte mich in meinem Zimmer. So etwas wollte ich nie wieder hören!

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