3. Für einen Abend Hostess

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Da ich die Reise schon lange geplant hatte, habe ich mir etwas zusammengespart, damit ich hier ein Jahr überleben kann, doch es klappte nichts so, wie es soll und so musste ich in eine teurere Wohnung und der Rest war auch nicht so billig, wie ich dachte. 
Also habe ich mir einen kleinen Job als Hostess besorgt, um meinen Kontostand nicht schwinden zu sehen und schwarze Zahlen zu behalten. 
Es ist noch nicht so dringend, schließlich bin ich erst zweieinhalb Monate hier, doch ich möchte mich ungern abhetzen, wenn es dann so weit sein sollte. Und bei meinen Eltern um Geld zu bettel möchte ich auch nicht unbedingt. Mit 25 Jahren bin ich auch wirklich schon alt genug mich um meine Finanzen selbst zu kümmern. 
"Und Anni? Wie seh ich aus?" frage ich, als ich mit einem trägerlosen, kurzen und verdammt engen Satincocktailkleid vor die Webcam trete.
"Ich dachte, dass du so etwas wie 'ne Gastgeberin wärst, aber scheinbar ist es doch Prostituierte geworden." sagt sie kichern.
"Ha ha ha... Jetzt mal ernsthaft." sage ich und stöckeln mit den, für mich, viel zu hohen Schuhen näher zum Pc.
"Nein, du siehst gut aus. Nur das Vogelnest da oben passt nicht so dazu."
Seufzend lasse ich mich auf dem Lederstuhl nieder und lasse den Kopf hängen.
Dabei fällt das 'Vogelnest' nach vorne und ein paar Strähnen davon fallen in mein Gesicht.
"Ich konnte mich noch nie frisieren. Du kennst mich doch auch nur mit offenen Haaren. Dafür habe ich weder Nerven, noch das Geschick dafür."
"Also ich würde ja sagen, dass ich rum komme und dir 'ne Frisur zauber, die nicht aussieht, als würde ein Raben darin nisten, aber ich befürchte, dass dafür keine Zeit ist."
Mein Blick fällt auf die kleine Anzeige auf dem Desktop. 18:45 Uhr.
"Schaffst du es, in 'ner Stunde hier zu sein? Wenn ja, dann mach dich mal auf den Weg." sage ich etwas niedergeschalgen.
Auf dieser Party werden so viele wichtige Menschen sein. Berühmte oder auch nur welche, die wichtig sind, aber eher im Hintergrund agieren. Dort kann ich nicht einfach so auftauchen, wie ich gerade aussehe. Es würde vielleicht keinen Stören, weil ich mich ja blamiere und nicht sie, aber mich würde es das. Und auch den, der mich für die Party gebucht hat.
"Dann geh mit offenen Haaren. Glätte sie ein wenig und gut ist. Monia, du hast so schönes, langes Haar, da brauchst du dir gar nicht so viele Gedanken zu machen."
Da hat sie schon ein wenig recht. Außerdem gibt es Wichtigeres, worum ich mir Gedanken machen sollte. Zum Beispiel, dass ich mich den ganzen Abend über mal nicht blamieren sollte. Und wie ich mit den hohen Schuhe überhaupt den Abend überleben soll.
"Anni, ich brauch dich hier." jammer ich, während ich meine Haare aus dieser komischen Frisur befreie.
"Ich komm in 'nem Monat mal zu dir, ja?" sagt sie und sieht mir dabei zu, wie ich mit den Haaren kämpfe.
"25 Jahre und so hilflos." sagt sie lachend.
"Halt die Klappe." gebe ich lachend zurück und lege die Spangen, die ich mir schmerzhaft aus den Haaren gezogen habe, auf den Scheibtisch.
"Ich mach mich dann mal fertig und ich hoffe, dass alles klappt." sage ich und stehe auf.
"Wird schon schief gehen, Kleine. Ich wünsch dir viel Glück und halt nach 'nem Kerl ausschau."
"Bye, Anni." sage ich darauf nur grinsend und drücke auf den Button, um aufzulegen.
'Schnell' flitze ich ins Bad, käme mich und glätte meine Spitzen ein wenig, dann mache ich mich auch schon auf den Weg zu der Party.
Alle anderen Mädchen sind schon da. Ich bin, wie immer, die Letzte, die auftaucht.
"Monia, da bist du ja."
Ein großer, schwarzhaariger Mann in einem schicken Anzug kommt auf mich zu und drückt mich sanft.
"Janis, Paola, Marie, das ist Monia. Sie wird euch heute helfen."
Die Drei begutachten mich zuerst, bevor sie mich mit einem kurzen 'Hey' begrüßen. 
"Erklärt ihr doch mal alles, ich muss mich noch um das Buffet kümmern." sagt der Mann, der sich mir am Telefon mit Chris vorgestellt hat, weg.
Janis dreht sich sofort mit Paola um und geht. Marie bleibt bei mir und sieht ihnen nach.
"Ich arbeite für Chris schon etwas länger. Er hat heftige Launen, also mach bloß nichts falsch und die Beiden."
Sie zeigt auf Janis und Paola, die sich in eine Ecke gestellt haben und miteinander reden.
"Halt dich einfach von den beiden fern. Mach du dein Ding, die machen ihres. Damit meine ich nicht die Arbeit. Sie sind eigentlich nur hier, um sich reiche Kerle zu angeln. Mehr können die auch nicht, aber Chris mag sie eben und so behält er sie. Wehe du fischst in deren Gewässern, dann machen sie dir das Leben zur Hölle." sagt Marie genervt und verdreht die Augen.
"Freut mich übrigens, dass wir endlich 'ne neue Hilfe haben. Ich hoffe, dass du nicht wie die bist." sagt sie nun etwas fröhlicher.
Na toll. Gute Vorraussetzungen für einen Abend, der in einer Katastrophen enden soll. 
"Danke für die Tipps. Und keine Sorge, ich bin bestimmt nicht so." sage ich.
"Ist doch kein Ding. Ich bin froh, dass endlich mal wieder jemand normales hierher kommt. Eigentlich war hier noch Mia, aber die wurde regelrecht fertig gemacht, weil ein Kerl auf sie stand, den Paola wollte. Es endete damit, dass Mia psychisch so kaputt war, dass sie sich kaum noch hierher getraut hat. Dann hat Chris sie gefeuert."
Wenn ich das so höre, möchte ich am liebsten umkehren und gehen, aber ich brauche das Geld und wenn ich mich von den anderen fernhalte und auf Marie höre, dürfte ich zumindest diesen Abend hier locker überleben.
"Hab ich dich jetzt verschreckt?" fragt Marie, als sie merkt, wie still ich bin.
"Ne,ne, aber ich wollte dich nicht beim Erzählen stören." lüge ich.
Natürlich hat mich das verschreckt. Ich möchte ungern im Visier von den beiden landen und auch Chris' Launen brauchen ich nicht unbedingt.
"Mädels, auf eure Plätze, die Gäste kommen."
Chris klatscht in die Hände und sofort nimmt mich Marie mit zu ihrem Platz, für den sie zuständig ist.
Dort erklärt sie mir, was ich alles zutun habe und wo genau ich arbeite. Als sie fertig ist, kommen auch schon die ersten Gäste und sehen sich um, bevor sie sich an ihre Plätze setzen.
Zuerst läuft alles so gut, dass ich es selbst kaum glauben kann, doch dann passiert mir ein Fehler nach dem anderen und als wäre das noch nicht genug, des Schlechten bricht beim Bringen der Häppchen auch noch mein Absatz ab und das Tablette fliegt, samt den Häppchen auf einen Mann, den ich zwar nicht kenne, aber angesichts seines Anzuges und seiner Uhr, ziemlich wichtig und reich sein müsste.
Lautstark meckert er herum und ich helfe ihm ein wenig mit einer Serviette die Flecken zu entfernen, doch er schlägt meine Hand weg.
"Es tut mir so unendlich leid." sage ich verzweifelt und möchte am liebsten im Boden versinken.
Alle sehen zu uns. Wirklich alle.
So auch Chris, der sofort zu uns kommt.
"Mr. Heights, ich entschuldige mich für dieses Missgeschick, für das sich meine Hostess verantworten muss."
Als Chris endet, wirft er mir einen Blick zu, der mir sagt, dass ich gleich etwas zu hören bekomme. Und das wird weder leise, noch nett sein.
Der Mann meckert immer noch vor sich hin, aber nicht mehr so laut, wie eben. Chris nimmt mich etwas unsanft am Handgelenk und zieht mich in die Küche.
"Was sollte das?" schreit er mich an.
"Ich..."
"Weißt du wie wichtig dieser Mann ist? Er ist einer der wichtigsten Sponsoren für meine Ausstellung, die in ein paar Tagen stattfinden soll und du versaust alles. Wenn er wegen deiner Dummheit abspringt, dann ersetzt du mir seinen Beitrag!"
"Aber ich hab das doc nicht extra gemacht." versuche ich mich kleinlaut zu wehren.
"Das ist mir egal! Es war deine Schuld und sollten mir die 20.000 Dollar durch dich verloren gehen, dann wirst du dafür aufkommen, verstanden?"
Mit großen Augen sehe ich ihn an.
"20.000 Dollar? Woher..."
Chris hält mir seine Handfläche vor und ich verstumme.
"Ist mir egal, woher du das dann besorgst. Und jetzt nimm deine Sachen und verschwinde für heute." 
Mit diesen Worten lässt er mich in der Küche stehen.
Marie, die gerade neue Tablettes nehmen möchte, kommt zu mir.
"Hey, alles ok?" fragt sie und streichelt mir sanft über den Rücken.
"Der will 20.000 Dollar von mir, wenn der Kerl ihm das wegen meinem Fehler nicht mehr gibt. Nichts ist ok." antworte ich.
"Der wird schon nicht abspringen. Doch nicht wegen sowas. Fehler passieren." sagt sie und hält mir meinen Absatz vor die Nase.
"Der ist dir oder?" fragt sie lächelnd.
Ich zwinge mich ihr Lächeln zu erwidern, dann nehme ich ihn.
"Ich bin wohl die einzige Frau, die solche Schuhe unendlich hasst."
"Bist du nicht." sagt sie und zwinkert mir zu.
Marie lässt von mir ab und nimmt die Tablettes.
"Geh nach Hause und schlaf 'ne Runde. Morgen sieht die Welt wieder anders aus. Besser." sagt sie und verschwindet aus der Küche.
Noch kurz betrachte ich den Absatz in meiner Hand, dann schnappe ich mir aus dem Nebenraum der Küche meine Tasche und verschwinde durch den Hintereingang. 
Der Gang mit einem kaputten und einem noch ganzen Schuh ermüdet mich nur noch mehr, als setze ich mich kurz auf eine Bank, um sie auszuziehen. Ich habe in der Zeit hier wirklich gelernt, dass es niemanen interessiert, wie man hier herumläuft. Wahrscheinlich nicht einmal, wenn man komplett nackt herumirren würde.
Statt nach Hause und ins Bett zu gehen, laufe ich an der Brighton Beach in Brooklyn entlang und sehe zum Meer. Wenn ich schwimmen könnte und es nicht auch noch etwas zu frisch wäre, dann würde ich hineinspringen und schwimmen. Einfach bis zum Horizont und nie wieder zurück.
Ich lehne mich an eine kleine Mauer und sehe zum Strand, den ich Mittags gerne meide. Hier ist dann zu viel los und mein Synonym für Melancholie ist nicht mehr das, was ich so mag. Dort planschen dann so viele Menschen und es ist mir zu unruhig. Es kann sich nicht auf meine Probleme konzentrieren, die es davon tragen soll.
"Haben sie nicht kalt?" 
Ein Mann stellt sich neben mich und möchte gerade sein Jacket ausziehen, doch ich winke ab.
Ich sehe ihn an und ich könnte schwören, dass ich ihn auf der Party gesehen habe.
"Geht schon." sage ich und wende mich wieder dem Meer zu.
Mein 'Geht schon' und das Abwinken werden jedoch von ihm ignoriert und er legt mir sein Jacket um die Schultern.
"Danke." murmel ich und bin im insgeheimen doch froh, dass er nicht auf mich gehört hat.
Ich friere. Sehr. Meine Gedanken und das Meer haben es mich nur vergessen lassen.
"Sie haben auf der Party ja ganz schönes Chaos angerichtet." sagt er und man hört dabei ein kurzes Lachen heraus.
"Schön, dass ich jemanden damit belustigen konnte." gebe ich etwas angesäuert zurück.
Als wäre es nicht schon peinlich genug gewesen, dass meine Fehler jeder gesehen hat. Nein, jetzt muss er auch noch drauf rumreiten.
"Hey, das hat wenigstens etwas Stimmung in diese wirklich mies Party gebracht." sagt er.
"Ja und kostet mich wohl 20.000 Dollar." murmel ich immer noch etwas sauer.
Ich merke, wie er mich ansieht. 
"Wofür das denn?" fragt er nun ernst.
"Damit muss ich meinen letzten Fehler bezahlen, wenn der Kerl sich nicht einkriegt. Er war wohl ein Sponsor und der ist jetzt ja wohl ziemlich sauer und ach, ist doch auch egal." antworte ich seufzend und wende mich zu dem Mann.
Jetzt sehe ich erst, was für schöne blaue Augen er hat. Fast so schön, wie das Blau des Meeres.
"Dein Chef meinte das bestimmt nicht so. Er kann das doch nicht von dir verlangen, du hast es ja nicht extra gemacht."
Ich verdrehe die Augen und atme tief ein.
"Aus Erwartungen werden Enttäuschungen. Immer." sage ich und richte mich auf.
Auch der Mann richtet sich auf und sieht mich fragend an.
"Danke für die Gesellschaft, aber ich muss gehen." sage ich und lasse ihn stehen.
Ich höre noch, wie er mir nachruft, aber ich gehe einfach weiter. Ich brauche schlaf, vielleicht sehe ich dann New York nicht mehr so düster, wie gerade.

Wenn dir jemand nicht mehr aus dem Kopf geht, gehört er wohl genau dort hinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt