Ich erzähle sie ihm. Alles. Von Fiona, der Person, die mich zum Geschichten sammeln gebracht hat, von Anni, die mich sehr beeinflusst hat, von meinen Eltern, die mich oft nerven, aber die ich unglaublich liebe und von all den Geschichten, die ich schon gesammelt habe. Meine Geschichte kann ohne deren Geschichten nicht erzählt werden, weil sie ein Teil von ihr sind. Und so muss ich ihm zumindest auch einen kleinen Teil von ihren ihm erzählen.
Meine Geschichte kommt mir, während ich ihm sie erzähle überhaupt nicht mehr langweilig vor. Von gemeinsamen Lachen, bis unfassbare Tiefe, die mich zum weinen bringt, ist alles dabei und ich bin am Ende wirklich froh, dass ich sie erzählen konnte. Auch wenn ein großer Teil von anderen stammt.
Vor allem meine Gedanken scheinen ihn zu interessieren. Sein Blick verrät es mir. Wenn ich darüber rede, was ich über die Macht eines Ortes, an dem man sich gerade befindet, denke. Wenn ich erzähle, wie ich über die Tage nachdenken. Dass wir jedes Jahr unser vielleicht zukünftiges Hochzeitsdatum beschreiten. Und den Tag, an dem unser Kind oder unsere Kinder mal geboren werden. Aber auch unserem zukünftigen Todestag begegnen wir jedes Jahr auf's neue. Dass es mich fasziniert und erschreckt und das zur selben Zeit.
Die Zeit vergeht wie im Flug und so sitzen wir, bis es wieder hell wird, da. Ich rede und er hört zu.
Ich lehne mich zurück und atme tief durch, als ich ende.
"Jetzt kennst du meine... Und die von ein paar anderen." sage ich und sehe ihn an.
Sein Blick lässt mich keine Sekunde los. Seinen Kopf hat er auf die Hände gestützt und er scheint gar nichts sagen zu wollen. Er sieht mich einfach nur an.
"Träumst du?" frage ich und sehe lege den Kopf schief.
Unglaublich, wie befreit ich mich fühle. Ich hätte schon viel früher meine Geschichte erzählen sollen. Nur, früher war er eben nicht da und somit kein Zuhörer für mich und meine Geschichte.
"Ich bin nur fasziniert. Dachte, du könntest sie nicht erzählen."
"Dachte ich auch, aber wahrscheinlich liegt's an dir, du Geist." sage ich lachend.
'Ben' lehnt sich zurück und sieht auf seine Armbanduhr. An seinem Gesicht kann ich schon erkennen, dass er gleich aufspringen und verschwinden wird.
Weil er mal wieder 'weg' muss.
"Oh, ich muss gehen."
"War klar." sage ich und verdrehe die Augen.
"Ob meine Geschichte jemals ihren Teil von dir bekommt." sage ich, als wir beide aufstehen und ich ihn zur Tür begleite.
"Wird sie, nur heute noch nicht. Tut mir leid."
Er geht zum Fahrstuhl und wartet auf ihn. Ich lehne am Türrahmen und lehne meinen Kopf daran, während ich zu ihm sehe.
"Mach's gut." sagt er, bevor er in den Fahrstuhl steigt.
"Weißt du, dass nicht Gutes in 'Mach's gut' ist?" frage ich lächelnd und er hält kurz inne.
Er möchte fragen, was ich damit meine, das sehe ich ihm an, doch er hat keine Zeit.
Das 'weg' ruft ihn zu laut.
Als er weg ist, bleibe ich noch einen Moment stehen und schüttel den Kopf.
Es amüsiert mich schon ein wenig, was wir hier haben, auch wenn ich es schade finde, dass er mich anlügt und mir nichts erzählt, aber alles von mir weiß.
Nachdem ich in meine Wohnung zurückgehe, ziehe ich mir endlich dieses Kleid aus und schlüpfe in meine Pyjama und mache mir noch einen Kaffee.
Den Schlaf kann ich eh vergessen, ich bin viel zu aufgewühlt. Vor Freude und ein wenig auch vor Enttäuschung, weil er mich wieder verlassen hat.
Ich setze mich an den Pc und fahre ihn hoch. Zuerst versuche ich Anni über Skype anzurufen, aber da sie nicht drangeht, versuche ich es mal bei meiner Mutter. Es ist erst sieben Uhr, aber wahrscheinlich ist sie schon wach und wartet auf einen Anruf. Und das bestimmt jeden Tag.
Seit ich hier bin, haben wir erst zweimal geskyped und das nur, weil ich ihr das Heulen ersparen wollte. Unser erster Videochat war die Hölle. Sie heulte und heulte und ich musste sie beruhigen. Wir bekamen kein wirkliches Gespräch zustande und so heulte sie eine halbe Stunde lang herum und ich sagte ihr, dass sie aufhören soll und das es mir gut geht.
Beim zweiten Gespräch wollte ich ihr erst von meinem Chaos auf der Party berichten, aber hab es dann gelassen. Sie hätte sich sonst noch ein Ticket gekauft und stände hier auf der Matte. Das würde mir noch fehlen.
"Monia?"
Das Bild wackelt und ich weiß sofort, dass sie wohl gerade unterwegs ist und mit dem Handy versucht zu skypen.
"Mama, ich seh nur den Boden und deine Füße." sage ich und verdrehe dabei die Augen.
Ob sie das jemals hinbekommt die richtige Kamera einzustellen und nicht ständig wieder zu verstellen?
"So besser?" fragt sie und nun seh ich ihr Gesicht.
Nah.
Zu nah.
"Also ich seh... Mama!"
Ich sehe nur ihre braunen Augen und ein Teil ihrer Stirn.
"Was tust du denn?" frage ich leicht genervt und schüttel den Kopf.
"Du weißt doch, dass ich mich mit sowas nicht auskenne." sagt sie etwas verzweifelt.
Kurz wird das Bild schwarz und dann endlich. Ich sehe ihr Gesicht und nicht nur einen Teil davon.
Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und lehne mich etwas belustigt zurück.
Schon süß irgendwie, wie sie sich bemüht mit der Technik zurecht zukommen und das nur, weil ihre Tochter gern die Heimat verlässt.
"Guten Morgen." begrüße ich sie.
"Guten Morgen ist gut, mein Schatz. Wir haben schon 13 Uhr."
Ach ja, die Zeitverschiebung... Wie ich es immer wieder vergesse und mich wunder, wenn Anni oder meine Mutter mal nicht rangehen. Jetzt kommt es mir wieder, woran es liegt.
Anni ist zwar eine Nachteule, deswegen möchte sie auch immer, dass ich sie, wenn es bei mir Abends ist, anrufe, weil sie tagsüber gerne mal schläft, aber auch sie hält es Nachts mal nicht wach.
"Und wie läuft es, Schatz?"
"Mmh..." brumme ich mit noch einem Schluck Kaffee im Mund.
"Ganz gut." sage ich, als ich ihn runtergeschluckt habe.
"Ganz gut?" fragt sie.
Oh je, hätte ich doch nur 'Alles super' oder sowas gesagt. Jetzt macht sie sich wieder Sorgen, das höre ich schon an ihrer Art, wie sie das gefragt hat heraus.
"Ja. Alles ist gut. Nicht nur ganz gut. Alles ist perfekt. Keine Sorge." sage ich und stelle die Tasse auf den Schreibtisch.
"Sicher?" fragt sie.
"Jahaaaa." sage ich und lehne den Kopf an die Rückenlehne.
"Ich kann dich ja mal besuchen kommen und..."
"Mama, ich bin doch schon in sieben Monaten wieder da, bitte... Ich bin hier nicht her, damit ihr mir wieder alle nachkommt." sage ich flehend und schließe meine Augen.
Ein lautes Piepen ertönt und ein 'Oh nein' ist von meiner Mutter zu hören, dann ist der Bildschirm schwarz und alles ist still.
"Mama?" frage ich und öffne die Augen.
Kurz darauf vibriert mein Handy.
'Ich schreib dir gerade von Papa's Handy.'
Ja, gut, dass sie das dabei schreibt, steht ja nicht auch über dem Chat.
'Mein Akku ist leer. Hoffe, ich seh dich bald mal wieder. Kuss, Mama.'
Mit einem Grinsen lege ich das Handy auf den Tisch zurück.
Diese Frau macht mich fertig.
Und ihre Rolle in meiner Geschichte ist auch eine der witzigsten, die darin vorkommen. Allein sie hat 'Ben' und mich so oft zum Lachen gebracht. Dafür bin ich ihr schon dankbar.
Ich nehme wieder meine Tasse und trinke meinen Kaffee aus, als mein Skype sich öffnet und Anni's Bild erscheint.
"Hey!" begrüße ich sie laut, als ich rangehe.
"Hey." sagt Anni verschlafen und gähnt erstmal.
"Was gibt's?"
"Dracula war gestern auf der Party und danach in meiner Küche." antworte ich.
Sofort ist sie hellwach und haut fast die Maus vom Schreibtisch.
"Ich. Will. Alles. Wissen." sagt sie und ich beginne sofort zu erzählen.
Dass ich mit ihm auf der Party geredet habe und er mir ziemlich ausgewichen ist und das ich ihm meine Geschichte erzählt habe und er bis vor einer Stunde noch hier war, aber dann weg musste.
Anni stützt den Kopf auf die Hand und sie scheint wieder nach einer Theorie zu suchen, die einen vom Stuhl haut.
"Zerfallen Vampire nicht zu staub, wenn Sonnenlicht an sie kommt?" fragt sie.
"Anni, nicht schon wieder das Thema. Er ist kein Vampir."
"Du hast ihn doch Dracula genannt."
"Das war ein Scherz, Liebes."
"Und was ist es dann?"
"Wenn ich das nur wüsste..." sage ich und haue mir leicht den Kopf auf den Tisch.
So langsam glaube ich echt an Anni's Theorie mit dem Vampir. Es passt halt einfach alles so gut. Nur das mit dem Sonnenlicht hinkt. Als wir essen gingen, war es hell.
"Und seinen richtigen Namen hast du auch noch nicht?"
"Nein..." murmel ich und hebe den Kopf.
"Kannst du nicht endlich mal herkommen?" frage ich und ziehe eine Schnute.
"Ich komme nächsten Monat. Versprochen!" sagt Anni.
"Du wolltest schon vor 'nem Monat mal kommen..."
"Jaaaaa, das ging nicht. Mein Freund hat gestresst und meine Mutter war auch irgendwie nicht einverstanden, aber nun ist alles wieder gut und ich bin frei."
"Frei?"
"Ja, ich bin doch seit ein paar Wochen single. Oh, verdammt. Das habe ich dir gar nicht gesagt." sagt Anni und haut sich gegen die Stirn.
"Dein Liebesgefasel von Vlad Dracul hat mich das vergessen lassen."
"Vlad Dracul." wiederhole ich sie lachend.
"Woher hast du das denn?"
"Ich glaube aus der Schule. Aber ja, ich bin single und frei und halleluja." sagt Anni fröhlich und dreht sich mit ihrem Stuhl einmal um sich selbst.
Ihr Freund, Mark, war nicht gerade einer, den man unbedingt an seiner Seite braucht. Ständig wollte er bestimmen, was sie macht und wo sie hingeht. Oft hat sie sich das auch gefallen lassen, aber es gab auch Momente, in denen sie ihm ihre Meinung geigte und dann war das Geschrei groß. Es ist gut, dass sie die Last los ist.
"Nächsten Monat also." sage ich und Anni nickt.
"Wehe, du kommst nicht, dann schicke ich dir meinen Vampir."
"Schick ihn ruhig, ich hab genug Knoblauch im Haus."
Lachend sitzen wir da und mir kommen sogar die Tränen. Ich freu mich jetzt schon drauf, wenn Anni endlich hier ist und wir ihn vielleicht mal gemeinsam suchen gehen und ihn vielleicht sogar finden.
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Wenn dir jemand nicht mehr aus dem Kopf geht, gehört er wohl genau dort hin
FanfictionKeiner von uns ist zufällig an dem Platz, wo er gerade steht, sitzt oder geht. Es könnte sein, dass wir an diesem Ort im nächsten Moment etwas Unvergessliches erleben, eine Person treffen, die uns beeinflusst oder nur etwas Kleines, zunächst Unschei...