17.1. Heute (überarbeitet).

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Emma

„Pass doch auf!"

Die wütende Stimme des Mädchens geht im fließenden Strom der Studenten unter. Als sie mir zusätzlich noch eine Beleidigung hinterherfaucht, die mir glatt die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, wenn mir nicht inzwischen alles egal wäre, drehen sich einige Leute nach mir um. Das war die dritte Person, die ich angerempelt oder gestoßen habe, seitdem ich vor zehn Minuten das Medienstudio verließ. Oder besser gesagt, seitdem Professor Harlow mich hinauswarf.

Durch den Streit mit Raven war ich so abgelenkt, dass ich kein Wort von dem hörte, was er mir über die Regeln im Studio erzählte. Ich überhörte seine Warnung über Programme, die ich unter keinen Umständen öffnen sollte und machte mich sofort unbeliebt, als ich genau diese Programme tatsächlich öffnete. Nach zehn Minuten lustlosem Herumklicken auf diversen Bildbearbeitungsprogrammen und dem Verunstalten eines meiner Lieblingsbilder gab ich schließlich auf und wollte das Konzept für eine Hausarbeit erstellen, was ich nach zwei Minuten wieder hinwarf, weil ich mich einfach nicht konzentrieren konnte. Als ich dann auch noch meine Wasserflasche über Professor Harlows Schoß ausleerte verlor er die Geduld mit mir. Er bat mich zu gehen und erst wieder zu kommen, wenn ich begriff, dass man sich die Zeit im Medienstudio auch verdienen muss.

„Andere warten Monate darauf, hier arbeiten zu dürfen, Miss Anderson", belehrte er mich in einem hochnäsigen Ton, der meine innere Zicke dazu brachte, die Fingernägel anzuspitzen und sich kampfbereit zu machen.

Als ob ich das nicht wüsste!

Immerhin warte ich selbst seit zwei Jahren darauf, endlich im Studio zu arbeiten. Die Sache mit Raven hat mich völlig durcheinandergebracht und ich weiß im Moment einfach nicht, wo mir der Kopf steht. Seitdem wir uns kennen beschränkten sich unsere Streitereien auf die Auswahl eines Filmes oder den Lieferservice. Wir waren nie länger als einige Stunden wütend aufeinander.

Mir geht Ravens Gesichtsausdruck nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe noch nie gesehen, dass sie jemanden mit so kalter Miene angesehen hat. Es war, als würde sie jedes Gefühl für mich abtöten und das bricht mir das Herz. Raven ist meine beste Freundin und ich habe es vermasselt. Ich weiß nicht, was ich mache, wenn sie mir nicht verzeiht. Ich muss dringend mit ihr reden und die Sache klären.

Als ich vor dem Fitnesscenter stehe, wo Raven zweimal die Woche einen Yoga Kurs besucht, pumpt mein Herz reines Adrenalin durch meinen Körper. Ich bin so nervös, dass ich kaum stillstehen kann und nestle unruhig am Riemen meiner Tasche herum. Gerade verlässt eine Gruppe Mädchen das Gebäude und ich suche sofort nach der blonden Mähne meiner Mitbewohnerin. Die Mädchen laufen lachend und entspannt an mir vorbei, niemand scheint auf mich zu achten, doch Raven kann ich nirgends sehen. Ich halte zwei aus der Gruppe zurück und frage, wo Raven ist.

„Sie war heute nicht im Kurs", sagt eine der beiden.

Sie hat rotbraune Haare, die sie sich zu einem festen Dutt hochgebunden hat. Ihre brünette Freundin nickt zustimmend und die beiden lassen mich stehen.

Raven war nicht in ihrem Yoga Kurs? Dabei fiebert sie jede Woche auf diese beiden Stunden hin. Seitdem sie einen jungen brasilianischen Yoga Lehrer hat, lässt sie keine einzige Stunde ausfallen. Selbst als sie mit einer Angina krank im Bett lag, war sie schon fast in ihrem Yoga Outfit zur Tür hinaus, ehe ich sie aufhalten und zurück ins Bett stecken konnte.

Mit hängenden Schultern und einem drückenden Gewicht auf der Brust, gehe ich zurück zum Campus. Eigentlich möchte ich mich nur auf der Couch zusammenrollen und mich in Selbstmitleid suhlen, aber vorher muss ich noch einen Kurs über Sound und Animation hinter mich bringen. Ob es sehr auffällt, wenn ich heute einfach schwänze? Der Kurs ist rappelvoll, also würde meine Abwesenheit nicht auffallen, aber diese Woche werden die Praxisprojekte vergeben und wenn ich nicht da bin, bekomme ich womöglich noch ein Thema wie Rauschunterdrückung zugeteilt. Nein danke. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als mich durch die zwei Stunden zu quälen und mir währenddessen Ravens eisigen Blick wieder und wieder vor Augen zu führen.

Stuck In Your Head! *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt