Kapitel 67

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Regina hatte sich sehr über das Verhalten ihrer Enkel geärgert. Vor allem Dennis hatte sie sehr verletzt.

Bislang war er das Enkelkind gewesen, das ihrem Herzen am nächsten stand, aber jetzt hatte er ihr einen  Teil ihres Geburtstages, auf den sie sich seit langem gefreut hatte, verdorben. Sie ärgerte sich nach wie vor darüber und hoffte, dass sein Benehmen zumindest bei ihren anderen Gästen nicht in dauerhafter Erinnerung bleiben würde.

„Das war nicht nett von ihm! Da hätten seine Eltern mal ein bisschen besser auf seine Erziehung achten sollen!“, sagte sie zu sich selber, während sie die Haustür zum Haus ihrer Tochter und deren Familie aufschloss.

Sie hatte mit Miriam abgesprochen, deren Schnellkochtopf auszuleihen, da sie am Abend einen Gast, ihren Nachbarn Herrn Kunze, mit dem sie sich sehr gut verstand, erwartete. Sie freute sich bereits auf dieses Treffen und hoffte, dass sie sich eventuell endlich das „Du“ anbieten würden. War es nicht albern, immer noch beim „Sie“ zu verbleiben, auch wenn sich dies so gehörte? Sie kannten sich doch schon so lange und sie hatte ihn sogar zu ihrem Geburtstag eingeladen. 

Außerdem hatte er doch offensichtlich ein....gewisses Interesse an ihr...

„Dem werde ich einen leckeren Braten servieren. Mit dem Topf geht es schneller!“, dachte sie und ärgerte sich darüber, dass sie sich das gewünschte Kochwerkzeug selber holen musste. 

„Miriam muss bis heute Mittag arbeiten! Warum macht sie das überhaupt? Wäre sie nicht berufstätig, dann könnte sie mir den Topf vorbei bringen! Ich bin doch auch nicht mehr die Jüngste. Aber sie meint ja, sie wolle unbedingt auch Geld verdienen und sei froh, noch eine Stelle gefunden zu haben!“

Regina schüttelte missbilligend den Kopf über die Tatsache, dass ihre Tochter nach einer fast fünfzehnjährigen Kinderpause vor wenigen Jahren wieder halbtags in ihren alten Beruf eingestiegen war.

„Sie meinte, die Jungs seien alt genug und es sei ja nur für halbe Tage. Dass ich nicht lache! Die Kinder sind seitdem verwahrlost und frech geworden! Bei Janik liegt das wahrscheinlich an schlechten Erbanlagen! Der kann wahrscheinlich nicht mal was dafür und hätte einfach mehr Strenge gebraucht, um die schlechten Gene auszugleichen. Immerhin wurde er adoptiert und wer weiß, was für ein Pack seine leiblichen Eltern waren! Aber bei Dennis liegt es eindeutig an der Erziehung!“

Regina betrat die Küche und rümpfte missbilligend die Nase. Nicht nur die Kinder verwahrlosten. Dem Haushalt ihrer Tochter schien es ähnlich zu ergehen.

„Sie könnte ein bisschen besser aufräumen!“, murrte Regina, während sie ein Handtuch an einen anderen Haken hängte. „Das passt nicht zu den Küchenfliesen!“

Sie stieg, nachdem sie den Topf aus dem Schrank genommen und auf den Küchentisch gestellt hatte, die Treppe hinauf und betrat das Zimmer ihres Enkels Dennis. 

Missbilligend rümpfte sie erneut die Nase, als sie sah, dass das Bett nicht ordentlich gemacht worden war.

„Es wird Zeit, dass der Junge zur Bundeswehr geht, damit er das endlich einmal lernt! Seine Mutter bringt es ihm ja nicht vernünftig bei!“

Sie richtete das Bettzeug und wischte beim Hinausgehen einmal über das CD-Regal. „Staub! Furchtbar. Mal sehen, wie es in Janiks Zimmer aussieht!“

Sie öffnete die Tür zum Zimmer ihres anderen Enkels und schüttelte empört den Kopf. „Der hat sein Bett auch nicht gemacht.“

Sie richtete Janiks Bett, bis es aussah, als sei es Ausstellungsstück eines Möbelhauses. Zufrieden betrachtete sie anschließend ihr Werk.

„Sehr gut! So muss das sein! So und nicht anders.“

Ihr Blick fiel auf den Kleiderschrank und nach einem kurzen Moment des Zögerns öffnete sie ihn. Sie rümpfte erneut die Nase.

„Der sollte seine Pullover ein bisschen ordentlicher hinlegen! Ich glaube, ich werde das nachher auch noch bei Dennis kontrollieren....und was ist das, was da unter den Pullis liegt? Ein....Fell?“

Sie zog das Gefundene mit spitzen Fingern hervor und hielt es ein Stück auf Abstand. 

„Das ist ja grässlich! Das hätte Miriam schon längst entsorgen sollen! Also das nehme ich nachher mit und werde es so bald wie möglich entsorgen. Oder vielleicht gebe ich es auch dem netten Herrn Kunze für seine Tochter mit. Die kann es vielleicht noch als Decke für ihren Stand auf dem Trödelmarkt gebrauchen! Oder er behält es und benutzt es als Fußmatte, wenn er mal wieder an seinem Auto herumbastelt! Ein paar Ölflecken können das Ding auch nicht mehr verschandeln!“

Im Wohnzimmer fand Regina ein wenig später eine kleine Topfplanze, die ihrer Meinung nach der Entsorgung bedurfte. 

Auch das Pflänzchen wurde erbarmungslos in eine Plastiktüte gestopft und kurz darauf, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte, auf den nächsten Komposthaufen geworfen.

„So, das wäre geschafft!“, lobte sich Regina selber, als sie daheim die Tüte mit dem Fell in den Abstellraum legte. 

„Da wird es nicht allzu lange bleiben! Und Janik wird es wahrscheinlich nicht einmal bemerken! Bestimmt lag es schon seit langem da herum und er hat es gar nicht mehr angeschaut! Aber wehe, es geht darum, sich um etwas zu trennen! Dann benehmen sich fast erwachsene Menschen manchmal wie trotzige Kleinkinder!“

Janik spürte, dass etwas nicht stimmte, als er sein Zimmer betrat, auch wenn er im ersten Augenblick nicht wusste, um was es sich handelte.

Irgendetwas schien zu fehlen, etwas, das sich sonst in seinem Zimmer befand....

Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er zum Schrank eilte und diesen öffnete. Er hoffte darauf, dass sich sein Verdacht nicht bestätigen und er sein Fell wie immer vorfinden würde.

Er griff unter seine Pullover, aber dort befand sich dieses so vertraute Fell, das doch ein Teil seines Körpers war, nicht. Er riss die Pullover aus dem Schrank und begann dann, zwischen den Unterhemden und den T-Shirts zu wühlen.

Schließlich lag der gesamte Inhalt des Kleiderschranks auf dem Boden und er setzte sich hin und begann, den Haufen noch einmal zu durchwühlen.

„Das darf nicht wahr sein! Es kann doch nicht weg sein!“, sagte er sich wieder und wieder, ehe er aufstand und zu seinem Bett eilte.

Hatte er es vielleicht, auch wenn er dies bereits seit seiner Kindheit nicht mehr tat, unter das Kopfkissen gestopft?  Er warf sein Bettzeug auf den Boden und rückte sein Bett ein Stück von der Wand weg. War sein Fell eventuell dahinter gerutscht?

„Wo ist es?“, fragte er sich mit wachsender Verzweiflung. „Wo ist mein Fell?“

Er versuchte, sich zu beruhigen. Allzu weit weg konnte es nicht sein. Hieß es nicht, dass ein Selkie starb, wenn er sich zu weit von seinem Fell entfernte oder dieses zerstört wurde? Immerhin war er auch in der Schule tagtäglich weit entfernt von seinem entfernbaren Körperteil und als Kleinkind war er sogar mit seinen Eltern in den Urlaub gefahren, ohne es mitzunehmen.

Aber da hatte er, wenn auch nur unbewusst, gewusst, wo es sich befand.....

Er ließ sich auf sein Bett sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Ruhig bleiben, Janik! Ganz ruhig! Es ist nicht weg! Es kann nicht weg sein! Vielleicht....ist es ja irgendwie in die Wäsche geraten! Ich muss im Wäschekorb im Bad nachsehen!“

Janik lief ins Bad und leerte den Wäschekorb aus. Schmutzige Unterhosen, Hemden, Hosen und Socken verteilten sich auf dem Boden. Aber sein Fell blieb verschollen.

SelkiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt